Jade zeigt mir den Garten, die große Terrasse und anschließend ihren Lieblingsort. Den Stall.
Für eine Familie mit so viel Geld ist er ziemlich klein, für eine Familie mit normalem Tageseinkommen ist das hier das Paradies.
Eigentlich sollte ich mich nun unwohl oder bedrückt fühlen, schließlich kann ich mich dank eines Pferdes an fast nichts mehr erinnern. Vielleicht sollte ich sogar Angst haben, doch ich werde nur von einem starken Glücksgefühl ergriffen.
Jade wirft mir einen unsicheren Blick zu und ich fordere sie mit einem Grinsen auf mir die einzelnen Pferde vorzustellen.
Wir betreten zuerst eine kleine, weit vom Grundstück entfernte Koppel. Sie ist von Bäumen umgeben und ein stinkender Sumpf ziert die hintere Hälfte. Eine verspätete Biene fliegt über die Wiese und verschwindet im dichten Gestrüpp. Über mir ziehen die letzten Vögel lautstark flötend in den Süden.
Jade lehnt sich an den brüchigen Holzzaun und zeigt auf eines der beiden Pferde.
,,Da nur ich und Marian reiten besitzen wir kaum Pferde. Hunde und Katzen, sogar Vögel und Fische, doch kaum Pferde. Das dort ist Marians Pferd. Eigentlich heißt sie Esmeralda, doch Marian nennt sie Estrelle."
Für ein nicht mal fünfzehn jähriges Mädchen ist die Stute etwas groß, aber sie wirkt sanftmütig und entspannt.
,,Sie hat ein schweres Leben hinter sich. Sie wurde geschlagen, gewalttätig eingeritten und bekam manchmal tagelang nichts zu fressen. Den Menschen war sie egal. Als Marian und ihre Mutter sie gerettet haben, war ihr Willen bereits gebrochen. Sie ließ alles mit sich machen und schnippte nicht ein einziges mal mit dem Kopf. Sie hat panische Angst vor Gerten und Sporen und duldet inzwischen nur noch meine Schwester auf ihrem Rücken. Immer wenn Marian in ihrer Nähe ist, glitzert Lebensfreude in Esmeraldas Augen", schwärmt meine Freundin, doch ich spüre eine gewisse Distanz dem Pferd gegenüber.
Esmeralda ist mager und schwarz. Staub heftet in ihrem dichten Pelz. Ihr Blick ist traurig und demütig. Mähne und Schweif sind splissig und ihre Hufe unförmig. Gleichgültig grast sie neben einem zweiten Pferd. Ein Wallach. Nicht klein genug, um als Pony durchzugehen, aber auch nicht groß genug, um als Pferd bezeichnet zu werden. Die Mähne und der Schweif sind raspelkurz und das Fell schmutig rot.
,,Das ist Petro. Er ist der Älteste und wird nur noch als Beistellpony genutzt."
Ich nicke und verliere mich in dem Anblick der friedlichen Tiere, die hier wohl irgendwann ihre letzten Atemzüge tun werden. Petro ist halb so groß, wie Esmeralda, doch beide haben diese missbrauchte, ausgenutzte und verletzte Fassade. Der zerstörte Körper, die leidende Miene, die steifen Glieder.
Was die beiden wohl alles schon durchmachen mussten?
Ich bin froh, dass es ihnen jetzt so gut geht. Sie scheinen es verdient zu haben.
Menschen sind dumm und grausam. Die Menschheit ist meiner Meinung nach das Schlimmste was der Welt passieren konnte.
Jade und ich gehen zurück zum Stall. Ein windschräges Häuschen. Hinten links ein großer Heuberg, hinten rechts Schubkarren, Mistgabeln und Besen. Eine niedrige Stahltür führt in eine Sattelkammer, eine andere in eine Futterkammer und eine weitere in einen alten Waschraum. Sie liegen alle drei direkt nebeneinander. In einem Anbau werden Einstreu, Heu- und Strohballen gelagert. Eine teure, schwarzgoldene Kutsche steht zwischen den völlig überladenen Spanplatten und ist abgedeckt mit einer dunkelblauen Plane. Von den insgesamt neun Boxen, sind nur drei belegt.
,,D'Artagnan, Cuppido und Reika", stellt meine Freundin mir die Pferde vor.
Cuppido ist ein schneeweißer, geschmeidiger Wallach. Seine Mine ist unbeteiligt und ein wenig ermüdet; seine Bewegungen flüssig.
D'Artagnan hingegen ist ein kastanienbrauner Hengst, der mich wild und unfreundlich anstiert. Er wirft seinen großen Kopf nach oben und stößt ein schrilles Wiehren aus.
Angetan hat es mir Reika. Eine hübsche, schlacksige Fuchsstute, mit muskelbepackten, langen Beinen und aufgeregtem, jedoch freundlichem, Blick. Sie ist genauso groß wie Cuppido, welcher gerade behutsam von Jade getätschelt wird. Sie hebt den Zeigefinger und meint: ,,Sag 'Guten Tag'! Sag 'Guten Tag'!"
Cuppido kräuselt sofort die Lippen und schlägt seinen Schädel von rechts nach links, das seine gewellte Mähne sich in der Luft kringelt. Ich lache.
,,Hast du ihm das beigebracht?"
Jade nickt stolz und ich beuge mich vor um das schöne Tier am Hals zu streicheln.
In dem Moment indem meine Fingerspitzen sein weiches, weißes Fell berühren, bohrt sich eine Erinnerung erbarmungslos in mein Hirn. Ich kann es nich verhindern und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch gar nicht. Ich muss der Vergangenheit ins Auge sehen, meine Fehler einsehen und es in Zukunft besser machen.
Ist doch ganz simpel.
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Our Second Chance
Teen FictionRoman: Charisma und Patrick haben in ihrem gesamten Leben nur einen einzigen wirklich schweren Fehler gemacht. Sie haben beide für den anderen entschieden. Und sie haben diese Entscheidung nicht im Vorteil für sich getroffen. Sie haben nur an den an...