P.s.: Ich bin noch Jungfrau!

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Aus einem mir unergründlichen Reflex heraus, nehme ich Patricks warme Hand, leite ihn sicher durch die Menschenmasse und führe ihn in den Raum, in dem wird das erste Mal nach meinem Unfall zusammengearbeitet haben. In das Zimmer in dem sich Patrick über die vielen Briefe und die Adelstitel aufgeregt hat, um mich zum Lachen zu bringen.
Die Gardinen sind noch immer zugezogen und die Heizkörper heruntergedreht, um andere Räume dafür besser heizen zu können. Der Steinzeit-Computer steht noch immer am selben Platz und die Luft ist stickig.
Ich verschließe die Tür hinter mir, dann ziehe ich den schweren Stoff vom Fenster weg und lasse gerade genügend Sauerstoff in das kleine Büro, um nicht jämmerlich zu ersticken. Doch der Wind ist kalt. Trotz meines Pullovers fröstel ich.
,,Was ist mit dir?", fragt Patrick, mit einer Spur von Besorgnis.
Ich stütze meine Handflächen gegen das beschlagene Glas.
Nun ist die Stunde der Wahrheit gekommen... Und nun macht sich Zweifel in mir breit. Wenn ich meinem Freund nun gestehe, dass Kyla in gewisser Weise fremdgegangen ist, habe ich nicht den blassesten Schimmer wie er reagieren wird.
Wird er mir glauben? Wird er sauer sein oder sich gar freuen? Wird er mir wieder seine Liebe gestehen? Sollte nicht eigentlich Kyla mit ihm sprechen? Warum ich? Warum muss ich immer meinen Rüssel in Dinge stecken, die mich nichts angehen? Doch jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher.
,,Was ist das... zwischen dir und Kyla?" Ich senke langsam die Lieder und lausche einfach meinem Herzschlag und Patricks unruhigen Atemzügen. In kenne ihn nun schon lang genug, um zu wissen, dass er mich nicht anlügen wird. Vielleicht wird er schweigen, aber er wird nicht lügen.
,,Ich... weiß es nicht. Bis vor wenigen Wochen war ich davon überzeugt, dass ich sie liebe. Anders als dich, aber ich liebte sie... und dann erfuhr ich, dass du im Koma lagst." Ich öffne meine Augen und sehe wie er den Boden anstarrt, als stünde auf ihm die Lösung für alle Probleme geschrieben.
,,Und dann?", stocher ich weiter. So leicht würde er mir nicht davonkommen.
,,Dann wurde mir klar, dass ich niemals ein Kind mit Kyla bekommen wollte. Wenn ich an mein zukünftiges Kind denke, sehe ich ein hübsches Mädchen mit feuerroten Haaren, blauen Augen und gütiger Seele." Mit jedem Wort spricht er leiser und dann spüre ich es. Die Träne, die an meiner Nasenwand herunterrinnt. Ich blinzel sie weg, bin mir allerdings zu stolz, um mir über das Gesicht zu wischen. Vielleicht sind Patrick und ich uns doch gar nicht so unähnlich.
,,Charisma..." Er greift meine Hände, die eiskalt geworden sind. Auch in seinen Augenwinkeln glitzern die Tränen. ,,Es tut mir so unendlich leid, was ich dir alles angetan habe. Aber ich versichere dir, ich wollte nur dein Bestes."
Ich muss lachen, woraufhin Patrick verwirrt die Stirn runzelt.
,,Was ist?", fragt er wieder. Langsam, ganz langsam, beginnt die Fassade zu bröckeln.
Ich ziehe meine Hände zurück.
,,Wir wollten beide das Beste füreinander, dabei hätten wir uns nur einmal aussprechen müssen. Stattdessen haben wir alles in uns reingefressen, bis es schließlich zu viel war und wir übergekocht sind. Wir hätten nur miteinander sprechen müssen."
,,Ich kann dir nicht folgen", wirft er ein, was mich nur noch mehr zum Lachen bringt.
Mit den Fingerspitzen streiche ich durch seine blond gelockten Haare, die auch ohne Gel an ihrem Platz bleiben.
,,Du hast Kyla doch nur geheiratet, um mir zu zeigen, dass du glücklich bist. Dass du über mich und Matt hinweg bist und ich mir keine Sorgen, keine Vorwürfe zu machen brauche. Habe ich nicht recht?"
In seinen Augen leuchtet etwas auf. Etwas so Strahlendes, dass niemand es hätte übersehen können. Er freut sich, dass ich die Wahrheit endlich erfahren habe. Er freut sich, dass er nicht mehr schweigen muss. Die versteckten Lügen haben ihn aufgefressen, doch jetzt ist er frei. Frei und plötzlich zerbricht die Fassade. Sie zerreißt, wie ein dünnes Taschentuch. Zerbricht, wie ein hohes Sektglas. Zerfällt, wie ein Haus, das zur Explosion freigegeben wurde.
Da ist er... mein alter, treuer Freund, der alles für mich tun würde, ohne darüber nachzudenken. Mein Freund der mich liebt wie ich nun mal bin. Bedingungslos.
Der mich schon immer geliebt hat und der mich immer lieben wird, egal was auch passiert. Egal was ich ihm alles antue. Egal wie viele Schmerzen ich ihm bereite.
,,Doch", haucht Patrick und stützt sich an einer Stuhllehne ab.
,,Weißt du, warum ich mich mit Matt verlobt habe?" Nun bin ich diejenige die seine Hände nimmt, doch im Gegensatz zu mir entzieht er sie mir nicht.
Patrick bringt nur die Kraft auf den Kopf zu schütteln. Ich grinse ihn an.
,,Weil ich der festen Überzeugung war, dass du etwas Besseres als mich verdient hast."
Er will mir sofort widersprechen, doch ich bedeute ihm mit einer einfachen Geste nur zuzuhören.
,,Ich war stolz, eitel und selbstverliebt", erzähle ich weiter. ,,Ich habe fast nur an mich gedacht und du glaubst gar nicht, wie weh mir das im Nachhinein tut. Ich war so... eine Dirne."
Patrick lächelt. Es ist ein schwaches Lächeln, doch es ist ehrlich und freundlich.
,,Ich glaube, du hast nicht die geringste Ahnung von der Bedeutung dieses Wortes", flüstert er und fixiert mein Gesicht mit seinen wunderschönen Augen.
,,Da hast du wohl recht... Doch worauf ich hinaus will ist, dass so jemand wie ich so jemanden wie dich nun mal nicht verdient hat. Du hast eine Frau wie Kyla verdient-" Ich breche ab. Nein, so eine Frau hat er nicht verdient. ,,Deshalb habe ich Matt geheiratet, damit du mit... ihr glücklich wirst."
Natürlich hat Patrick die Pause nur zu gut mitbekommen.
,,Was ist mit Kyla? Ich liebe sie ni-"
,,Das ist es nicht!" Eine zweite Träne rollt über meine heiße Wange.
,,Hat sie dir etwas angetan?"
,,Nein, nein", beschwichtige ich
ihn. Nicht mir.
,,Willst du mir endlich erzählen, was los ist?" Sanft legt er eine Hand auf meine Schulter und zieht mich ein Stück näher zu sich, sodass ich seine Wärme auf meiner erkalteten Haut spüren kann ohne ihn wirklich zu berühren.
Ich fixiere ebenfalls sein Gesicht, dann spreche ich das Unvermeidliche aus: ,,Kyla hat mit Matthew geschlafen... In meinem Haus... Meinem alten Zuhause."
Ich scheine geschockter über diese Nachricht als Patrick. Nicht ein Gesichtszug regt sich. Allein seine beiden Lachfalten hüpfen kurz und beinahe ungesehen nach oben.
Stille senkt sich über uns und als mir ein Schauder über den Rücken läuft, leiht er mir seine Jacke. Ich kuschel mich in den flauschigen Stoff und sauge seinen süßen Geruch in meine, vom weinen verkaterten Lungen.
,,Was wird jetzt aus uns?", zerschneidet meine raue Stimme die Ruhe vor dem Sturm.
,,Das liegt ganz an dir. Ich werde dir folgen, wohin du auch gehst."
Ich schüttle den Kopf. ,,Darum geht es nicht. Bist du denn so schwer von Begriff? Sobald ich dich küssen würde, wird sich mir Kyla in den Sinn drängen. Wie sie ihre Lippen genüsslich auf deine presst. Ich werde euch vor mir sehen, wie ihr Händchen haltend durch den Park lauft, wie ihr euch küsst und... wie ihr euch liebt. Wie ihr es treibt wie die Hunde!", jaule ich und sehe inzwischen nur noch verschwommen. Kein Wunder, bei all den Tränen.
Patrick starrt mich an. Seine Miene ist unergründlich und seine Hände plötzlich genauso kalt wie die meinen. Dann tritt er einen Schritt zurück.
,,Glaubst du, mir würde es da anders gehen? Glaubst du nicht, dass ich jedes mal, wenn ich dich sehe, an Matthew erinnert werde? Dass ich ihn genauso vor mir stehen sehe wie du Kyla? Wie er sein verdrecktes Maul aufreißt, Müll ausspuckt und schmutzig grinst! Wie du dich von ihm begrapschen lässt und er dir deine Jungfräulichkeit nimmt! Wie er dich flachgelegt hat! Wie er dich ausgenutzt hat! Wie er dich missbraucht hat! Glaub mir, für mich ist diese Erkenntnis um einiges schlimmer als für dich!"
Ich schlucke. Noch nie war Patrick so direkt zu mir. Noch nie so laut. Noch nie war er so wütend auf irgendwen. Noch nie hat er am ganzen Leib so gezittert. Er hatte sich stets unter Kontrolle.
,,Das ist etwas anders", murmel ich kleinlaut.
Patrick wird rot vor Zorn und knallt seine flache Hand links neben meinen Kopf gegen das Fensterglas.
,,Etwas anderes??", schreit er fast. Doch sobald er bemerkt welche Angst ich vor ihm und seinem jetzigen Verhalten habe, zieht er sich zurück, atmet tief durch und spricht wieder gefasster.
,,Etwas anderes... Etwas anderes...", wiederholt er.
Ich straffe die Schultern und drücke den Rücken durch. Ich würde mich nicht einschüchtern lassen!
,,Ja, etwas anderes!"
Patrick mustert mich von oben bis unten. Er scheint meine veränderte Körperhaltung sofort wahrzunehmen und ist sichtlich verwundert.
,,Gut! Dann erkläre mir den Unterschied zwischen mir und Kyla und dir und Matthew." Er spuckt mir Matts Namen wie den Namen eines Kinderschänders vor die Füße. Ansonsten hat er seine Wut wieder im Griff und ist bedacht darauf mich nicht einzuschüchtern oder zu erschrecken.
Vor wenigen Minuten hätte ich gesagt, er ist der Löwe und ich bin das Lamm, doch nun ist es genau umgekehrt. Ich habe die Macht und Patrick ist mir unterstellt.
,,Zuerst einmal hast du Kyla geliebt-"
,,Und du Matthew etwa nicht?", unterbricht er mich.
,,NEIN!! VERDAMMT NOCHMAL!! Ich habe ihn nicht geliebt und werde ihn nie lieben! Und genauso wenig habe ich meine Jungfräulichkeit an ihm verloren!!"
Patricks Kinnlade klappt herunter und seine Pupillen werden so rund und groß wie zwei schwarze Billardkugeln. Trotz seines geöffneten Mundes, gibt er keinen Mucks von sich.
Ich ziehe seine Jacke aus, werfe sie zu Boden, gehe an ihm vorbei und schließe die Tür auf. Die Finger in den Griff gekrallt, drehe ich mich noch einmal zu Patrick um, ohne ihn dabei direkt anzusehen.
,,Ich bin noch Jungfrau. Mein erstes Mal gehört einer ganz besonderen Person."
Dann verlasse ich das winzige Büro und hoffe, dass mein liebster Freund weiß, dass er diese ganz besondere Person ist.

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