Cinderella Story

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Heute bin ich mit Jade verabredet. Filou liegt noch immer in meinen Armen, also versuche ich aufzustehen ohne ihn dabei zu wecken. Bis auf ein leises Jaulen gibt er kein Lebenszeichen von sich.
Da ich ziemlich faul bin, ziehe ich nur eine saubere Jeans an; wechsle Hemd und Sport-BH nicht. Stattdessen kämme ich meine roten Haare und fasse sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen, sodass es aussieht als würde helles Blut oberhalb meines Haargummis zusammenlaufen und als Wasserfall an meinem Hinterkopf herunterfließen.
In dem Augenblick in dem ich nach meiner Zahnbürste greife, dringt ein Poltern, gefolgt von einem fürchterlichen Scheppern, zu mir ans Ohr. Ich jage barfuß die Treppe herunter und trete mir prompt einen Splitter in die Zehe.
Sobald ich unter Schmerzen in das Wohnzimmer gehumpelt bin, beginnen die beiden Streithähne herumzuplärren, sodass ich kein Wort verstehe. Matt kniet am Boden und hat den verkaterten Joshua im Schwitzkasten, welcher nach hinten austritt wie ein Pferd.
,,Lass ihn los, du Vollidiot!!", gehe ich dazwischen. Doch Matt denkt gar nicht mal daran.
,,Er hat in meinem Wohnzimmer gepennt und in meinen Blumentopf gekotzt!", verteidigt er sich.
,,Er hat in unserem Wohnzimmer übernachtet!!!", kreische ich fuchsteufelswild und trete meinem Verlobten - wortwörtlich - in den Hintern. Tatsächlich lässt er meinen Bruder endlich los. Geschockt starrt Matt mich an.
,,Komm, Joshy! Ich fahre dich nach Hause!", entscheide ich, während ich - immer noch sockenlos - in meine teuren, gefütterten Winterschuhe schlüpfe.
Im Türrahmen drehe ich mich noch einmal um und füge hinzu: ,,Übrigens, mit deinem Auto!"

Joshua sitzt in sich zusammengesunken auf dem Beifahrersitz von Matts teurem Wagen und lehnt seine Stirn gegen das kalte Fensterglas. Er hat die Lieder gesenkt und atmet schwer.
,,Das mit Matt, tut mir leid... Ich dachte nicht, dass er so ausrasten würde", entschuldige ich mich, beobachte aber weiterhin die Straße vor mir.
,,Danke", brummt mein Bruder nur und ich kann nicht raushören ob das sakastisch oder todernst gemeint ist. Den Rest des Weges legen wir schweigend zurück.
Als ich vor seinem Haus parke, drückt er mir einen schwammigen Kuss auf den Haaransatz, steigt aus und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Kurz lasse ich meinen Kopf auf das schwarze Lenkrad knallen, dann drücke ich das Gaspedal durch.

Zur verabredeten Zeit, werde ich von dem kleinen Buttler William zu einem großen, runden Salon mit vielen Fenstern geführt. In jeder nicht sehr eckigen Ecke, steht mindestens ein Sofa oder liegen mindestens zwei breite Sitzkissen. Wieder hängt ein silberner Kronleuchter von der Decke und wieder sieht er unbezahlbar aus. Drei lange, sandsteinfarbene Stufen führen mich hinunter in die Mitte des Raumes.
Ich trete an die Fenster. Mit aller Kraft versuchen die Sonnenstrahlen an den grauen Wolken vorbeizukommen, doch ohne sichtbaren Erfolg. Die Rosen der Rosenbüsche sind bereits verblüht und so strecken sich nur noch kahle Äste und feuchte Grashalme dem Himmel entgegen.
Als ich Stimmen höre, drehe ich dem trüben Tag meinen Rücken zu. Jade kommt in karierter Reithose, gefütterter Jacke und kniehohen Stiefeln die niedrige Treppe herunter. Einige blaue und schwarze Strähnen haben sich aus ihrem strengen Pferdeschwanz gelöst und fallen nun glatt, wie ein langes Pony, über ihre hohe Stirn. Hinter ihr geht ein Mann. Groß, braunes Haar, wache Augen.
,,Cara? Darf ich dir Javier vorstellen? Javier, das ist Charisma Rose. Die Schwester von Joshua Rose." Jade grinst mich an und geht einen Schritt beiseite, damit ich den jungen Mann in seiner ganzen Pracht bewundern kann.
Sein Händedruck gleicht dem Griff eines Schraubstocks und seine dicke Hornhaut reibt kurz über meine Fingernägel.
,,Ein sehr... exotischer Name. Aus welcher Sprache stammt er?", frage ich zögernd.
Javier lacht so glockenhell, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn sich auf einen Schlag alle Wolken verzogen und die Sonne sich in all ihrer Pracht gezeigt hätte.
,,Spanisch. Ich wurde nach einer Burg benannt, ist das zu glauben? Das Lustigste weißt du ja noch gar nicht! Meine Geschwister tragen völlig normale Namen."
,,Ach. Und die wären?" Neugierig verlagere ich mein Gewicht auf die Zehenspitzen; die Hände förmlich zusammengelegt.
,,Meine Schwester heißt Amelie und meine Brüder Alex und Oliver." Er tauscht einen sanften Blick mit Jade, die sofort rot wird und verträumt aus dem Fenster sieht.
,,Bist du der Älteste?"
Javier schüttelt den Kopf. ,,Amelie ist älter als ich. Meine Eltern wollten noch einen Jungen und es kamen ungewollt Zwillinge. Alex ist der Jüngste. Gerade mal 13 Jahre alt", erzählt er mir.
,,Dann bist du etwas besonderes", bemerke ich.
Er lacht wieder. ,,Wenn es nur so wäre. Deinen Namen finde ich ebenfalls sehr schön. Sehr exotisch. Charisma." Er zieht meinen Vornamen in die Länge.
Ich mag ihn, denke ich.
,,Vielleicht. Doch mit dem 'Rose' hintendran klinge ich wie ein billiges Parfüm."
,,Willkommen in meiner Welt." Er fixiert kurz seine Armbanduhr. ,,Ich muss dann los. Bye."
Javier sinkt in eine kleine Verbeugung und ich kann nicht anders als es ihm nachzutun. Danach wendet er sich an Jade. Unsicher drückt er ihre Hand und verlässt schließlich das Zimmer.
,,Er ist der Bodyguard von Marian. Sie ist noch so jung und hat bereits eine Morddrohung erhalten. Die Arme." Meine Freundin schüttelt unglücklich den Kopf.
Ich rufe mir Javier noch einmal ins Gedächtnis. Für mich sieht er nicht aus wie ein Bodyguard. Breite Schultern, genügend Muskeln, wache Augen und fester Händedruck, doch das war es auch schon. Nicht so groß und breit wie sie in den Filmen immer dargestellt werden und auch nicht annähernd so grimmig und schlecht gelaunt.
,,Ihr seid ein süßes Paar", gestehe ich und lasse mich neben Jade auf ein giftgrünes Sofa fallen.
Meine Freundin starrt mich an. Ihre Augen sind schreckgeweitet, als habe sie einen Geist gesehen.
,,Wir- Wir sind k- kein Paar", stottert sie.
,,Nicht?" Ich beiße mir auf die Unterlippe.
,,Nein." Der Schock weicht plötzlicher Trauer.
,,Aber er mag dich trotzdem. Sehr sogar."
,,Das ist das Problem..."
,,Tut mir leid, aber ich kann dir noch ganz folgen."
Jade sieht mich an, als würde sie gerade die Vor- und Nachteile einer Beichte durchgehen und als würde eine Ausweichmöglichkeit auf meiner Stirn geschrieben stehen.
,,Mein Dad... Er war sehr streng bei sowas", flüstert sie.
Anscheinend haben die Vorteile überwogen.
,,Sowas?", stochere ich weiter.
,,Er meinte immer ich soll einen Adeligen, Hochrangigen oder wenigstens einen reichen Mann annehmen. Ich habe mir viele Standpauken und Ohrfeigen eingehandelt... jedes mal wenn ich ihm widersprochen habe. Er schwor mir, er würde mich eigenhändig umbringen, wenn ich einen... Bürger mit nach Hause binge. Er war ein guter Vater. Er wollte immer das Beste für mich, aber meine Gefühle waren ein verhasster Streitpunkt. Selbst am Sterbebett hat er an seiner Theorie, nur Gleichrangige wären gut genug für mich, festgehalten. Ich kann ihn einfach nicht so hintergehen... Ich kann es einfach nicht."
Ich bringe keinen Ton heraus.
Sollte ich sie ermutigen, ihren Vater zu vergessen und mit Javier durchzubrennen? Oder sollte ich ihr ewig Trost spenden, weil sie zwar ihren Vater nicht enttäuscht hat, dafür aber irgendwann unglücklich oder gar nicht verheiratet ist?
Also schweige ich und nehme Jade in den Arm, als ihr die Tränen über die Wangen strömen.
,,Er war immer da für mich. Er hat mich nie im Stich gelassen. Er liebt mich. Und ich kann ihm, bis auf meine Anwesenheit, nichts zurück geben. Ich benutze ihn nur. Wahrscheinlich bin ich nicht gut genug für ihn."
Erneut schweige ich. Ich streichle ihren Rücken, aber ich schweige.
Irgendwann haben wir uns beide wieder halbwegs im Griff und beschließen ein neues Thema anzuschneiden.
,,Warum hat Marian eine Morddrohung erhalten?"
Jade lässt sich in die gelbgrünen Kissen sinken und atmet tief durch.
,,Der Mann der ihr die Drohung geschickt hat, war ein guter Freund meines Vaters. Nur aus dem Grund, hat mein Dad ihn bei seinen Finanzen beraten. Der Kerl denkt jetzt es wäre die Schuld meines Vaters, dass seine Firma in den Ruin gegangen ist. Es ist ihm auch scheißegal, dass er schon Tod ist. Dieses Schwein!! Unaufhaltsam terrorisiert er meine Familie."
,,Wie geht es Marian damit?"
,,Seid Javier da ist, besser. Davor hat sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und vor Angst und Selbstzweifel gehungert. Sie denkt es wäre allein ihre Schuld, dass sie die Drohung bekommen hat und es träfe sie recht, weil sie einem Vogel, als er von der Nachbarskatze gefressen wurde, nicht geholfen hat. Seid Javier da ist, ist sie wie ausgewechselt. Er verleiht ihr Flügel." Meine Freundin seufzt und vergräbt ihr Gesicht in ihren Handflächen.
,,Wie lange kennt ihr euch schon?" Ich rutsche unruhig herum, während Jade anfängt mit einer ihrer blauen, herausgefallenen Strähnen zu spielen.
,,Seid einem Jahr oder länger." Ihre Stimme ist so voller Leid, dass mein Herz in tausend Stücke zu zerspringen droht.
Zittrig stoße ich die restliche Luft aus meinen Lungen.
,,Miss Alventhur?" William steht auf der ersten Stufe und streicht unauffällig über sein schwarzes Jackett. ,,Miss Marian hat vor auszugehen."
,,Mit Freunden?"
Ihr Buttler nickt.
,,Geht Javier mit?"
,,Er kommt gleich, um sie abzuholen." William entblößt eine Reihe strahlend weißer Zähne. Selbst er weiß, was zwischen dem Bodyguard und der Prinzessin läuft.
,,Wo war er denn so kurz?" Jade beginnt nervös mit ihrem Fuß zu wippen und zwirbelt ihre Haare immer und immer schneller um ihren Zeigefinger.
Der Butler zuckt die Schultern.
,,Danke William." Meine Freundin wendet sich ab. Von ihm und von mir. Der trübe Tag scheint sie plötzlich zu faszinieren.
Der Butler geht in eine kleine Verbeugung über und macht sich auf zu gehen, doch ich weigere mich das zuzulassen.
,,William? Darf ich... Darf ich Sie duzen?"
,,Aber natürlich Miss Rose."
Ich beschwere mich nicht über meinen Titel. Zum Ersten, weil ich mich mit einem Schlag wie etwas Besonderes fühle und zum Zweiten, weil er mich trotzdem nicht beim Vornamen ansprechen würde.
,,Darf ich dich auch fragen, wie lange du schon für diese Familie arbeitest?"
Jade bekommt meine Frage kaum mit. Ihr Blick ist verklärt; ihre Lippen unnatürlich blass. Ich weiß schon warum ich mit dem Butler spreche.
,,Solange ich mich erinnern kann."
Wow... Sehr präzise.
,,Sir Alventhur hat mir den Job angeboten."
,,Verdienen sie viel?" Die Worte rutschen wir aus dem Mund. Ich kann nichts dagegen unternehmen, außer anschließend peinlich berührt in eine andere Richtung zu schauen.
William grinst, als hätte ich ihn gefragt warum die Sonne scheint oder seid wann das Universum existiert.
,,Bereits mit einem Jahresgehalt könnte ich in den Ruhestand gehen, doch ich arbeite hier nicht wegen dem Geld", erklärt er mir wie einem begriffsstutzigem Kleinkind.
Ich ziehe die Stirn kraus. ,,Warum denn dann?"
,,Ein andres Leben kann ich mir nun mal nicht vorstellen. Rente: Pfui." William schüttelt sich und ich muss lachen. ,,Kaffee oder Tee?"
,,Tee, bitte."
Er nickt und geht. Ich drehe mich wieder zu Jade. Ich habe ihren Butler unglaublich gern.
Nachdem ich meine Freundin fast fünf Minuten ohne Unterbrechung beobachtet habe, bringt William uns zwei Tassen Apfel-Feige-Tee vorbei. Ich bedanke mich höflich und warte bis Jade aus ihrer Trance taucht.
Sie umklammert die blaue Tasse, als wolle sie die Wärme in ihre Fingerknöchel saugen und ich tue es ihr mit einer rosanen Tasse gleich. Der Tee schmeckt perfekt. Süß mit einem leichtem, herben Nachgeschmack.
Wir plappern ein wenig über dieses und jenes. Belangloses Zeug, das niemanden wirklich interessiert und niemanden wirklich was kümmert.
Unser Gespräch schlägt zwar einen weiten Bogen ein, aber am Ende kommen wir dann doch zurück auf unser Ausgangsthema.
,,Liebes du ihn den?"
Jade wendet sich wieder ab. Inzwischen habe ich festgestellt, dass Vermeidung ihre Lieblingsstrategie ist. Ob bei unangenehmen Themen, Gesprächspausen oder wenn man sie einfach zu lange anschaut.
,,Als ob das von Bedeutung wäre", sagt sie und ihr Stimme trieft vor Spott und Verachtung.
,,Ich kann dir leider nicht helfen. Ich kann dir nur sagen, was ich an deiner Stelle tun würde."
Stille senkt sich über uns, was ich als Aufforderung zum weitererzählen auffasse.
,,Wenn mein Vater mich wirklich lieben und nur das Beste für mich wollen würde, dann würde er meine einzig wahre Liebe ebenfalls in sein Herz schließen. Er würde es verstehen und es würde ihm nichts ausmachen, wenn ich ausgehe. Ob er nun Tod oder lebendig ist. Es muss nur der Richtige sein. Ist er der Richtige?"

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