Freiwillige Arbeit

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Aus dem Wochenende wurde ein Tag. Noch nicht mal! Ein halber Tag.
Ich ging mit Kyla schwimmen, frühstücken und in die Sauna. Auch die Massage ließen wir nicht aus, doch kurz darauf klingelte mein Handy.
Mit einer Hand halte ich das Handtuch zusammen, dass ich mir um den Körper geschlungen habe, mit der anderen krame ich das Telefon aus meiner Handtasche. Ungeduldig schiebe ich mir mit dem kleinen Finger die noch feuchten Haare nach hinten.
,,Ja?"
,,Rosy!!" Ich erkenne meine Tante weder an der leicht hysterischen Stimme, noch an der Nummer die auf meinem Display angezeigt wird. Der Spitzname mit dem sie mich betitelt hat, verrät sie ein uns andere mal.
,,Ja?", frage mich mit unschuldigem Unterton.
,,Am Sonntag ist die Spendengala! Wir brauchen dich hier! Du kannst nicht immer plötzlich verschwinden oder gar nicht erst kommen!"
Ich schaue mich nach Kyla um und finde sie seufzend in einem Whirlpool.
,,Aber Tante P-"
,,Nichts aber! Du schiebst jetzt deinen Arsch hierher und hilfst mir bei den Vorbereitungen! Hast du das verstanden?"
,,Gehöre ich nicht eigentlich zu den Leuten die freiwillig dort arbeiten?", provoziere ich sie vorsichtig.
,,Rosy!", empört sich meine Tante sofort. ,,Hat deine Mutter dich keinen Respekt gelehrt!?"
Als sie meine Mutter ewähnt, fühle ich mich wie nach einer ordentlichen Tracht Prügel.
,,Entschuldigung Rosy. Das wollte ich nicht. Wenn du nicht willst, braust du natürlich nicht zu kommen."
Ich stöhne und blicke noch einmal zu Kyla. Natürlich wäre so ein Wellness-Wochenende jetzt genau das Richtige für mich, aber ich kann doch nicht einfach meine eigene Tante im Stich lassen! Was wäre ich für ein Monster!
,,Keine Angst, ich komme gleich vorbei", murmel ich, woraufhin Pam einen Freudenschrei ausstößt. Dann legt sie auf.
Da ich Kyla den kurzen Urlaub über alles gönne, ziehe ich mich um ohne ihr etwas zu sagen, schnappe mir Filou und verlasse das Hotel. Draußen ist es eiskalt und ich schlinge geschockt die Arme um meinen Körper. Von hier aus bis zum GAZ ist es zu Fuß allerdings keine halbe Stunde und mit meinem Hund war ich auch noch nicht Gassi, deshalb beschließe ich zu Laufen.
Der Wind pfeift mir um die Ohren und weht meine glitschigen Haare so stark durch die Gegend, dass ich mich nicht wundern würde, wenn ich morgen mit einer Erkältung aufwache.
Während ich mich durch den tiefen Wald kämpfe spielen meine Gedanken mit mir Achterbahn. Sobald ich die Lieder senke sehe ich den heißen Wirlpool, das Salzbad oder den jungen Mann mit den langen, schwarzen Haaren vor mir der mich massiert hat. Ich rieche das Pfirsich-Massagegel und den betörenden Geruch des reich gedeckten Frühstücktisches. Ich höre das leise Plätschern des kleinen Brunnens, den ich von meinem Balkon aus sehen konnte und bin ein wenig eifersüchtig auf Kyla, die dieses Paradies bis morgen Abend genießen darf. Andererseits hat Kyla diese Pause um einiges nötiger als ich. Wir sind zwar keine richtigen Freundinnen geworden, aber die wenigen Stunden haben uns zusammengeschweißt. Ich kann sie jetzt verstehen. Nicht, dass ich ihren Seitensprung inzwischen gut heiße, aber ich kann verstehen warum sie das getan hat.
Sie schüttete mir ihr Herz aus und es war meine Aufgabe sie, das Frack, wieder zu flicken. Und was ist dafür besser geeignet, als ein Wellness-Wochenende auf Matthews Kosten? So schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.
Nun drängen sich mir allerdings andere Fragen auf. Was zum Beispiel soll ich jetzt Patrick sagen?
Deine Ex-Frau hat mit meinem Ex-Verlobten geschlafen, weil du sie für eine... Dirne verlassen hast?
Ja. Dirne ist das Wort das Kyla gestern verwendet hat. Irgendwie mag ich das Wort, auch wenn es nicht sonderlich auf mich zutrifft. Es ist nicht so direkt wie Schlampe oder Hure, dennoch eine solche Beleidigung.
Doch viel wichtiger als die Frage 'Wie?' ist doch die Frage 'Was wird jetzt aus uns?'. Aus mir und Patrick? Ich werde ihn niemals vergessen können, doch ist es mir möglich mit ihm zusammenzukommen und all die Probleme und Sorgen einfach zur Seite zu wischen? Was wenn er mich später um meine Hand bittet? Könnte ich dann ohne Zögern 'Ja' antworten oder stocke ich, mit Kylas verweintem Gesicht vor Augen?
Irgendwann werden die Bäume um mich herum weniger und die Häuser mehr, bis ich schließlich mitten im Zentrum der Stadt stehe. Ich laufe direkt auf das GAZ zu, reiße die Tür auf und verschließe sie auf der Stelle hinter mir, um der Kälte keinen Einlass zu gewähren. Da kratzt es leise am Milchglas und ich bemerke das ich Filou ausgesperrt habe. Schnell lasse ich ihn hinein, dann enledige ich mich meiner Winterjacke. Im GAZ wurden die Heizungen voll aufgedreht, sodass ich jede Minute überprüfen muss, ob ich auch ja nicht unter den Achseln schwitze.
Im Flur ist es still, doch auf jedem anderen Quadratzentimeter herrscht reges Treiben und ich versuche angestrengt nicht im Weg herumzustehen.
Letzten Endes rette ich mich mit einem Sprung hinter die kleine Getränkebar.
,,Das ist eine gute Idee", lobt mich meine Tante, als sie plötzlich aus dem Gemenge auftaucht.
,,Hier sind noch mehr Gläser", meint sie und stellt ein beladenes Silberblech vor mir ab. All das Tischgedeck darauf ist dreckig.
Ich schenke Pam ein freundliches Lächeln und mache mich an den Abwasch. Während meine Hände arbeiten, amüsieren sich meine Augen an dem Treiben in dem großen Saal.
Die Tische wurden schon letzte Woche zu drei langen Reihen in Hufeisenform zusammengestellt und vor Tagen gedeckt. Nun huschen einige junge Damen hin und her, um die letzte Deko anzubringen oder Sitzplatzkärtchen zu verteilen. Eine dieser jungen Damen ist Theresa. Sie hat auch so schon genug um die Ohren, da tritt eine andere Frau an ihre Seite und drängt mit genervten Gesichtsausdruck auf sie ein. In einer Hand hält sie die abgebrochene Lehne eines Holzstuhls. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Ich trockne ein Sektglas, stelle es in den bereits überfüllten Hängeschrank und widme mich dem Nächsten. Wieder lasse ich meinen Blick durch den Raum gleiten und erahne schließlich Back, der sich dehnt und streckt, um eine Gardine aus schwerem Samt vor einem der hohen, schmalen Fenster aufzuhängen.
Als ich beim siebten Glas angekommen bin, bringt Theresa ihm den Stuhl mit der abgebrochenen Lehne vorbei. Back drückt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, dann steigt er auf und mit der Hilfe seiner Freundin hat er die Gardine in null Komma nichts an ihren neuen Standort gebracht.
Dieses Schauspiel erinnert mich an meinen ersten Tag nach meinem Unfall hier. An Back und seinen Kampf mit dem Banner im gelben Salon.
Wie ein molliger Herr mir später berichtet, wird in diesem und dem anliegenden Speisesaal gegessen, doch die Spendengala an sich findet im Salon statt. Für seine Auskunft verlangt er nur einen fingerhutgroßen Schluck Wodka.
Ich schaue unter der Theke nach und lächle dem Mann traurig entgegen.
,,Tut mir leid. Kein Wodka. Wie wäre es stattdessen mit Sekt? Oder Wein?"
Ich möchte dem Arbeiter keine teure Flasche Champagner anbieten, die wohl für die Gäste bestimmt sind.
,,Nee. Dann lass stecken", winkt er ab und geht.
Irritiert schmunzelnd schaue ich ihm hinterher, als er in der drängenden Menschenmasse verschwindet.
Ziemlich schnell bin ich mit meiner Arbeit fertig, weshalb ich beschließe auch im andern Speisesaal nach schmutzigen Geschirr zu fragen.
Ich klemme mir das Silberblech unter eine Achsel, weiche einer Leiter aus und laufe Slalom. Die vielen Menschen nutze ich als Pylonen.
Im Flur ist es wieder ganz still und ich muss kurz stehenbleiben und die Ruhe genießen. Dann platziere ich das Tablet auf meinen Unterarmen und suche den zweiten, etwas kleineren Speisesaal nach Abwasch ab. Auf meiner Suche renne ich fast Jade um. Sie hat einige ihrer dunkelblauen Strähnen nahe der Kopfhaut eingeflochten und sie dann mit dem Rest ihre langen schwarzen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen gefasst. Ihre hübschen grünen Augen hat sie mit türkisem Eyeshadow und schwarzer Wimperntusche umrahmt, sodass ich mir ungeschminkt ein wenig fehl am Platz vorkomme.
Jade bemerkt meinen Blick und kreischt über die lauten Stimmen hinweg: ,,Das musste Theresa für mich machen. Ich schminke mich ja so selten, da habe ich mir heute Morgen doch grad den Eyeliner in die Pupille gehauen."
Ich verstehe meine Freundin. Den Tag verbringt sie hauptsächlich mit ihren Pferden, wozu sollte sie sich da schon aufstylen? Und wenn sie mal rauskommt, ist sie meist mit Familie oder Freunden unterwegs. Ich lache fröhlich.
,,Sieht gut aus!"
,,Danke... Pass übrigens auf. Patrick ist hier auch irgendwo." Mit diesem Satz lässt Jade mich stehen. Ich schlucke den Klos in meine Hals hinunter und zwinge mich zur Vernunft.
Also haben unsere Probleme schon die Runde gemacht? Ganz große Klasse!
Im Kopf zähle ich von nun an also von 100 rückwärts. Unterdessen schlage ich mich wacker durch die Menge und sammel, bis mein Silberblech bis zum Rand gefüllt ist.
Als ich zur Bar zurückkehren will, sehe ich ihn. Er lehnt im Türrahmen, um niemandem im Weg herrumzustehen und wartet auf Instruktionen.
Instinktiv senke ich den Kopf und drehe mich zur Seite. Ich ziehe mir die Kapuze meines Pullovers über den Kopf und verstecke - soweit es mit nur einer freien Hand möglich ist - meine arielleroten Haare unter dem dicken Stoff. In geduckter Haltung steuere ich die Bar an, stelle das Tablet ab und tue so, als müsste ich irgendeinen Gegenstand aus dem kleinen Kühlschrank ganz unten holen.
Nachdem ich bestimmt fünf Minuten in dem Ding nach diesem 'irgendetwas' gesucht habe, traue ich mich über die Theke zu linsen. Patrick ist verschwunden. Erleichtert atme ich auf und wende mich wieder meiner Arbeit zu.
Zuerst bin ich darauf bedacht alles im Blick zu haben, um Patrick frühzeitig erkennen zu können, doch bei einem Glas mit Goldrand schwindet meine Aufmerksamkeit. Nur für einen winzigen Moment spüle ich das Glas aus, versucht darauf nicht über die Goldverzierungen zu wischen.
Im selben Augenblick in dem ich aufschaue, sieht sich Patrick um. Er hat den kaputten Stuhl unter seinen Arm geklemmt, scheint etwas zu suchen und findet schließlich meinen Blick. Überraschung und Freude spiegelt sich darin. Kein Anzeichen von Unwohlsein, Traurigkeit oder Reue.
Nervös ziehe ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und bete das Patrick nur überlegt hat, ob er etwas trinken solle.
Allerdings kann ich ihm ja auch nicht ewig aus dem Weg gehen. Unsere Wege werden sich noch oft kreuzen und es wirkt auf mich so, als wären sie unweigerlich miteinander verflochten. Ich will das Problem unbedingt aus der Welt schaffen. Ich will nicht mehr dieses 'Was wäre wenn...?' oder 'Wie wird es jetzt weitergehen?' im Kopf haben. Ich will mich auf meinen freiwilligen Job, meine Boutique und meine Haustiere kümmern. Ich habe keine Lust stets abzudriften und mich in meinen eigenen Gedankengängen zu verlaufen. Ich muss mich nun mal meinen Problemen stellen. Weglaufen war noch nie eine gute Lösung. Ich bin zwar oft vor meinen Aufgaben davongelaufen, aber das heißt nicht, dass ich es als gute Lösung interpretiere. Viel eher als letzte Lösung.
Und da gestehe ich es mir endlich ein: Ich bin ein Feigling.
Aber jeder hat doch vor irgendetwas Angst? Macht uns das nicht menschlich?
Patrick hat inzwischen den Raum fast durchquert; Flucht wäre also sinnlos. Stattdessen streiche ich die Kapuze zurück, hole meine offenen Haare hervor und mache weiter den Abwasch.
,,Hey." Seine Stimme hat wieder dieses leicht überhebliche und als ich aufblicke erkenne ich, dass Patrick seine Maske erneut aufgelegt hat. Oder sie gar nicht erst abgelegt hat.
,,Wir müssen reden!", fauche ich deshalb gereizt. Schon immer habe ich Menschen verabscheut die sich für etwas Besseres hielten. Für eine überlegenere Rasse.
Und wie ich meinen alten Freund so ansehe, wird mir klar, dass ich diese Maske, diese Fassade zum Einsturz bringen will. Dass ich diejenige sein möchte, die ihn vor sich selbst rettet.

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