Cherry

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Die beiden Tage vergingen schnell und ereignislos. Ich hielt mich auf Abstand zu Patrick und Kyla und erkundete lieber das Haus. In jeder Ecke gab es etwas neues Verrücktes zu entdecken und auf meine Bitte hin, zeigte Patrick mir sogar einen engen Geheimgang, der unter das Haus in einen Keller und vom Keller durch eine Klappe ins Freie führte.
Während ich also 'Entdeckungsreise' spielte und immer die Augen offen hielt - für den Fall das irgendwo ein Schrank herum steht, der mich nach Narnia bringen könnte - breitete sich die frostige Stimmung des Ehepaars immer weiter aus. Als sie irgendwann mein Zimmer zu erreichen drohte, packte ich vorsichtshalber schon mal meinen Koffer und beschloß spazieren zu gehen. Jeder Winkel in Falmouth schien unberührt und unentdeckt. Einmal schloss sich sogar Kyla meinem Spaziergang an, doch wir sprachen nicht viel. ,,Oh wie schön", ,,Finde ich auch" und ,,Schau mal hier", schienen die einzigen Sätze in unserem Lexikon, namens Hirn, zu sein.
Die Stimme in meinem Kopf meldete sich übrigens nicht nochmal und ich beginne sie ein Stück weit zu vermissen.
Wie dem auch sei... Nun sitze ich auf dem Beifahrersitz von Patricks Wagen und winke und grinse Kyla mit all meiner übrig geblieben Kraft zu, bis sie endlich aus dem Rückspiegel verschwindet. Ich lehne meine Stirn an das kalte Fensterglas und beobachte den Sturm der auf der anderen Seite tobt. Wind und Wasser klatschen gegen das dünne Glas; lassen es beben. Der Trampelpfad wird zu einer Schlammpiste und die kurze Fahrt zu einem wahren Abenteuer. Irgendwann holpern wir schließlich auf die Hauptstraße und ich stoße erleichtern einen Schwall Luft aus.
,,Wer kam eigentlich auf die Idee das Haus so... kurios einzurichten?", zerschneide ich die Stille, die auf Dauer unerträglich zu werden scheint. Doch Patrick hat keine Lust zu reden.
,,Wir beide. Jeder hat was anderes abgeschleppt", meint er monoton und ich beschließe den Mund zu halten.
Zwei der vier Stunden verschlafe ich, die anderen beiden überbrücke ich mit Musik. Auf Stille habe ich überhaupt keine Lust.
,,Kannst du hier bitte links abbiegen und mich vor dem Tierheim rauslassen?" Meine Stimme ist kratzig und rau, als hätte ich Monate keinen Ton von mir gegeben.
,,Warum?", fragt er und umfährt mit den Händen nervös das Lenkrad.
Ich zucke die Schultern. ,,Muss noch was klären." Wie gesagt: Ich war schon immer eine gute Lügnerin. Nicht das es mir nicht schwerfällt zu lügen, aber an meiner Glaubwürdigkeit lässt sich nun mal nicht ruckeln.
Sichtlich angespannt parkt Patrick das Auto vor dem Tierheim.
,,Ich warte auf dich", presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ich traue mich nicht, ihm zu sagen dass ich den Rest des Weges auch zu Fuß schaffen würde. Ich steige einfach aus und torkel zur Eingangstür.
Die gleiche hübsche Blondine ist erneut kurz vorm abschließen. Sie erkennt mich und schenkt mir ein freundliches Lächeln.
,,Hallo. Charisma Rose, richtig?"
Ich nicke. ,,Hallo."
,,Es tut mir wirklich leid, aber der neue Besitzer antwortet nicht auf meine E-Mail." Sie klingt ernsthaft enttäuscht.
Ich stütze meine Ellenbogen auf dem Tresen ab und vergrabe mein Gesicht in meinen Handflächen.
,,Haben sie denn nicht die Telefonnummer desjenigen?", frage ich mit tränenerstickter Stimme.
,,Doch, doch. Natürlich. Aber wir dürfen die Besitzer nur im Notfall mit einem Anruf belästigen." Sie legt niedergeschlagen ihren runden Kopf schief.
Eine einzelnen Träne schafft es sich durch meine geschlossen Lieder zu kämpfen.
,,Aber diese dumme Regel bezieht sich nur auf Angestellte. Sie sind hier nicht angestellt, oder etwa doch?" Die hochgewachsene Blondine stupst mich vorsichtig an. Sie zieht einen Block und einen Kugelschreiber hervor und schreibt eine Zahlenreihe von ihrem Computerbildschirm ab; ihre Schrift ist klein und verschnörkelt.
Anschließend schiebt sie den Block zu mir herüber.
Meine Atmung setzt aus, mein Herzschlag verdreifacht sich und ich muss mehrmals blinzeln, um mir sicher zu sein, dass ich die Nummer nicht einfach nur falsch gelesen habe.
,,Sind sie sich sicher, dass das die richtige Nummer ist?"
Die Blondine überprüft schnell die Zahlen. ,,Ja. Warum?"
,,Nur so... Danke." Für ihre Mühen schenke ich ihr ein dümmliches Grinsen. Ich reiße das beschrieben Blattpapier vom Block, knülle es auf dem Weg nach draußen zusammmen und pfeffer es in das Wageninnere. Patrick mustert mich. Geschockt, irritiert und nervös zugleich.
,,Da!" Ich deute auf den Zettel zu seinen Füßen, woraufhin er sich vorbeugt, um ihn aufzuheben und aufzufalten. Seine Mine wird starr.
,,Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du meine Katze aus dem Tierheim geholt hast!? Wieso habe ich Cherry nicht bei dir daheim gesehen!? Und warum, um alles in der Welt, reagierst du nicht auf die Mail der verdammten Blondine!!!" Mit jedem Wort werde ich lauter, bis ich letzten Endes die ganze Nachbarschaft zusammenplärre. Und das nur wegen einem Zettel, auf dem in kleinen, verschnörkelten Zahlen Patricks Telefonnummer steht.
Ich knalle die Autotür zu und renne den restlichen Weg zu mir nach Hause.
Es schüttet wie aus Eimern und als dann noch der Wind anfängt mir meine Haare ins Gesicht zu peitschen, ist es mit meiner Konzentration völlig dahin. Ich stolpere, falle hin und rappel mich wieder auf. Immer und immer wieder.
Ich ignoriere die Seitenstechen und das stetige, gleichmäßige Hämmern in meinem Kopf und renne noch schneller.
Bis auf die Kochen durchnässt und halb erfroren klopfe ich gegen das massive Holz. Matt öffnet mir und zieht verwundert die Augenbrauen in die Höhe. Ich gehe schweigend und tropfend an ihm vorbei, entledige mich meiner klebenden Klamotten und fische mein Handy aus der Hosentasche, dessen Ladegerät noch in meinem babyblauen Koffer steckt. Genervt wähle ich Joshuas Nummer.
Er hebt nach dem ersten Tuten ab.
,,Was denn, Cara?", fragt er höflich.
Ich spreche extra laut, damit Matt auch alles mitbekommt: ,,Kann ich für einige Wochen zu dir ziehen?"
,,Klar doch", meint mein Bruder und wirkt nicht sehr überrascht, über meine plötzliche Bitte.
,,Jetzt? Sofort?", flehe ich also weiter.
,,Von mir aus. Bin in 10 Minuten da." Dann legt er auf.
Matt mustert mich von oben bis unten.
,,Hiermit annulliere ich unsere Verlobung!", sage ich geradeheraus.
Matthews Kinnlade klappt ein Stück herunter, doch auch er scheint von meiner Aussage nicht überrascht zu sein.
,,Ich bin dir doch scheißegal! Im Krankenhaus war ich dir genauso scheißegal, wie hier daheim! Dass du dir die Mühe mit den Tagesplänen gemacht hast, das finde ich unglaublich süß, aber das ist auch das Einzige was du in meiner Gegenwart zu Stande gebracht hast! Ich weiß nicht was mich dazu geritten hat dich heiraten zu wollen, aber es war der größte Fehler meines Lebens. Ich liebe dich noch weniger als du mich liebst! Wir passen überhaupt nicht zueinander und du gehst mir ehrlich gesagt ziemlich auf die Nerven! Du kannst alles was in diesem Haus mir gehört behalten. Sogar die Skulpturen, sogar meine Klamotten. Ich schenke dir alles und du brauchst auch kein Geld an mich abzutreten. Ich hätte nur gerne den Hund und... die alte Couch oben auf dem Dachboden. Das ist alles..." Gut vielleicht war das etwas hart, aber ich musste meinen Aggressionen wenigstens einmal Luft machen und das tat unglaublich, unglaublich gut.
Ich atme hektisch und klammere mich an einer Stuhlehne fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Matt zählt leise und langsam bist zehn, dann erklärt er mir, dass Filou in der Küche liegt.
Zwei Minuten später sitze ich im strömenden Regen auf einigen Steinstufen, mit Filou an meiner Seite. Behutsam lasse ich meine Fingerkuppen durch sein langes, nasses Fell fahren, bis Joshua endlich mit der Klapperkiste seines Freundes auftaucht. Ich rutsche auf den Beifahrersitz und nehme meinen Hund in den Fußraum. Ohne mich mit Fragen zu löchern, fährt Joshua mich zu sich nach Hause. Dort bietet er mir an, dass ich in dem schmalen Bett schlafen kann, doch ich bevorzuge das mollig warme, kleine, gelbe Sofa.
Zuvor belebe ich allerdings meine Glieder mit einem heißen Bad wieder. Der Dampf lässt den einzigen, winzigen Spiegel beschlagen.
Ich wasche meine Haare mit Joshuas Shampoo und flechte sie nass zu einem Zopf, da mein Bruder noch nie etwas von einem Föhn gehört hat.
Danach mache ich es mir zusammen mit Filou auf dem Sofa bequem und falle augenblicklich in einen komatösen Schlaf.

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