Kapitel 3: Nicht allein

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Eines Morgens im Herbst kniete Natalia am Seeufer und wusch sich das Gesicht und die Arme. Danach stellte sie sich mit den nackten Füßen ins kalte Wasser, klemmte ihren Rock mit einem Arm nach oben und wusch sich mit der anderen Hand zwischen den Beinen. Sie zuckte immer wieder, weil das Wasser so kalt war. Boris war im Wald unterwegs um seine Fallen zu kontrollieren. Natalia ahnte nicht, dass sie beobachtet wurde. Eine junge Frau hielt sich im Unterholz versteckt und sah der anderen beim Waschen zu. Als Natalia ihren Rock sehr weit lüftete, erkannte die Unbekannte den vorgewölbten Bauch. Sie war schwanger. Durch die karge Nahrung war Natalia dünn und so fiel das Bäuchlein stärker auf. Die Fremde kauerte noch länger im Unterholz, um die andere junge Frau mit der dunklen Lockenmähne zu beobachten. Natalia füllte nach dem Waschen noch ihre beiden Wasserbeutel und machte sich auf den Rückweg. Die Unbekannte folgte ihr in gewissem Abstand. Sie wollte wissen, ob die Schwangere allein hier lebte. Natalia kroch durch das Loch, das sie an der Vorderwand der Hütte ausgespart hatte und hängte wieder das Rehfell davor. Die Fremde blieb in der Nähe und sah bald darauf einen jungen Mann zur Hütte kommen. Er trug einen Fuchs in einer Hand. Wer waren diese beiden? So wie es aussah lebten sie schon eine Weile hier. Sie würde wieder vorbei kommen, um mehr über diese Zwei zu erfahren. Ihre Männer waren einige Tage fort auf Beutezug. Hoffentlich erwischten sie genug, denn der Winter stand vor der Tür. Es roch schon danach. Dann fiel bald der erste Schnee. Boris präsentierte stolz den Fuchs: "Das gibt ein schönes Fell und genug Fleisch." Natalia lächelte: "Ja, ich ziehe ihn gleich ab." Sie band den Kadaver an den Hinterbeinen zwischen Ästen fest und begann das Fell am Bauch aufzuschneiden. Die andere Frau war bereits verschwunden.

Am nächsten Morgen ging die Fremde wieder zu dem Unterschlupf der beiden. Da sie nicht wusste, wie der Mann reagieren würde, wollte sie sich lieber der Frau nähern, wenn er weg war. Darauf musste sie nicht lange warten. Als er den Lagerplatz verlassen hatte, wartete sie noch ein wenig und schlich dann langsam zu dieser Hütte aus Ästen. Natalia schlüpfte gerade nach draußen und sah in einiger Entfernung eine Frau stehen. Erschrocken griff sie nach ihrem Messer und richtete es in die Richtung der Fremden. Die andere mit dem dunkelblondem, langen Haar hob beschwichtigend die Hand: "Keine Angst. Ich will dir nichts tun." Natalia hielt das Messer noch immer fest: "Wer bist du?"

„Ich lebe ebenfalls hier im Wald." Sie kam langsam näher, aber Natalia blieb misstrauisch: "Allein?" Die Dunkelblonde antwortete: "Nein, wir sind mehrere Frauen und Männer. Ich heiße Olga, und du?!" Die Dunkelhaarige nahm das Messer immer noch nicht weg: "Natalia. Ich lebe mit meinem Mann hier. Er müsste gleich zurück sein." Sie ließ Olga nicht aus den Augen. Die zeigte auf die Hütte: "Wie lange lebt ihr schon hier?"

„Seit dem Sommer", war die Antwort. Olga entgegnete: "Wir haben euch bis jetzt nie bemerkt. Unser Lager ist nicht weit von hier." Natalia blickte in die Richtung, in die Olga wies. Dann sagte die andere: "Du bist guter Hoffnung, nicht?!" Als Natalia sie erschrocken ansah, strich Olga über ihre eigene Wange: "Ich sehe es dir an." Sie kam noch näher: "Steck doch das Messer endlich weg. Niemand wird dir etwas tun." Natalia ließ es schließlich sinken, aber wegstecken tat sie es noch nicht.

„Wie lange bist du schon in anderen Umständen?", fragte die Fremde. Natalia überlegte: "Drei Monde. Noch nicht lange." Olga nickte: "Ich hatte ebenfalls ein Kind erwartet, aber es verloren."

„Das ist mir beim ersten Mal auch passiert." Dass sie nachgeholfen hatte, band sie der Fremden lieber nicht auf die Nase. „Bist du verheiratet?" Olga lachte: "Nicht mit dem Segen der Kirche. Wir leben zusammen." Natalia erwiderte nichts darauf, aber fragte: "Du sagtest, dass ihr mehrere seid. Wie viele denn?"

„Sieben Männer und drei Frauen. Im Moment sind unsere Männer auf Jagd für einige Tage."

„Dann sind sie hoffentlich erfolgreich. Boris ist gerade unsere Fallen kontrollieren." Olga sagte: "Ja, das hoffe ich auch. Der Winter kommt bald. Vielleicht könnt ihr euch uns anschließen. Gerade in deinem Zustand." Natalia zuckte die Schultern: "Ich weiß nicht. Das muss ich Borja fragen."

Von Räubern und DirnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt