Kapitel 14: Neuigkeiten über Nora

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Oleg sagte zu Boris: "Wir müssen ihm irgendwo auflauern. Dort unten verläuft die Straße und er ist schnell unterwegs." Der Einhändige kannte sich in dieser Gegend gut aus und sie galoppierten über Felder und durch Waldstücke, um dem einsamen Reiter aufzulauern.

In einem Wäldchen banden sich Oleg und Boris ihre Tücher über Mund und Nase, zogen ihre Schwerter und warteten angriffsbereit im Gestrüpp.

Bald vernahm der Jüngere Hufgetrappel. Der Fremde war im Galopp unterwegs, aber noch weiter entfernt. Das Geräusch kam immer näher und Boris wurde immer nervöser. Er atmete tief durch, als Oleg das Zeichen zum Vorpreschen gab. Mit einem Satz sprang seine Stute auf die Straße und das Pferd des anderen stieg vor Schreck. Der Mann konnte sich aber oben halten. Oleg rief: "Gebt uns die Taschen, dann geschieht Euch nichts." Doch der Fremde dachte nicht daran, zog sein Schwert und galoppierte auf die beiden Räuber zu: "Niemals. Holt sie euch doch, ihr Gesindel." Boris versperrte dem anderen den Weg und kurz darauf kreuzten sie die Klingen. Der Fremde hieb mit aller Kraft auf den Burschen ein. Er parierte die Hiebe ganz gut, aber Boris bemerkte, dass der andere überlegen war. Oleg kam ihm zu Hilfe und bohrte seine Klinge in die Seite des Gegners. Boris hörte das Aufstöhnen des Mannes und sah zu, wie der langsam zur Seite kippte und aus dem Sattel rutschte. Stöhnend lag der Fremde im Staub der Straße und eine Blutlache breitete sich unter ihm aus. Oleg achtete nicht auf den tödlich Verletzten, sondern packte die Zügel des Pferdes und inspizierte die Satteltaschen: "Edelsteine! Ich werd verrückt." Und brach in freudiges Gelächter aus. Boris betrachtete noch immer entsetzt den Sterbenden. Da befahl Oleg: "Zieh ihn ins Unterholz und geb ihm den Gnadenstoß, wenn du willst. Verrecken muss er sowieso." Zögernd stieg Boris ab und blickte auf den Mann in der Blutlache hinab. Der hatte schon so viel Blut verloren und röchelte immer noch. Boris packte ihn an den Füßen und zerrte ihn ins Unterholz. Dort zog er seinen Dolch und tastete nach dem Herzen. Als er das Pochen gegen seine Handfläche spürte, streckte er die Hand mit dem Messer in die Höhe, fixierte die Stelle, überwand sich und stach mit aller Kraft zu. Er fühlte, wie ein Zucken durch den Leib ging, ließ den Messergriff los und sah den Körper an. Er schien endlich tot zu sein. Nur mit Mühe bekam Boris seinen Dolch wieder herausgezogen. Oleg tauchte neben ihm auf: "Gute Arbeit, Jungchen! Sieh was wir haben." Er streckte dem Burschen die offene Satteltasche hin: "Schau dir diese Klunker an. Das war ein Edelsteinhändler. Welch ein Fang. Das wird Sergej freuen. Am Pferd ist nochmal so eine. Der Gaul ist auch wertvoll." Dann durchsuchte er den Toten, nahm ihm den Geldbeutel und die Waffen ab. „Also, verschwinden wir in den Wald. Mit der Beute reiten wir nicht auf der Straße zurück."

Bis zum Anbruch der Dunkelheit streiften sie durchs Gehölz, bis Oleg endlich einen Rastplatz fand. Sie entzündeten ein kleines Feuer und aßen von ihrem Proviant. Der Einhändige öffnete nochmal mit seiner Hand und seinen Zähnen eine Satteltasche und bewunderte die Steine im Feuerschein: "Sieh, da sind Rubine darunter. Die findet man in der Taiga."

„Warst du schon mal dort?" Oleg grinste: "Nein, nur von Erzählungen. Dort sollen noch wilde Stämme leben. Mit Häuptlingen und Schamanen. Richtige Wilde!" Boris wurde neugierig: "Sehen sie aus, wie wir?" „Ich weiß es nicht. Vielleicht mehr wie die Schlitzaugen. Hast du schon mal einen gesehen?" Boris schüttelte den Kopf. Daraufhin zog Oleg seine Augen in die Länge: "So ungefähr. Und sie haben pechschwarze, glatte Haare und dunklere Haut. Da sehen alle gleich aus. Du erkennst nicht mal, was Männlein oder Weiblein ist, weil sie alle lange Zöpfe haben und so längere Gewänder." Er winkte ab: "Und die Sprache erst." Er machte die quäkenden Laute nach und Boris musste lachen.

Später als er in seinen Umhang gehüllt war und noch wach lag, überkam ihn die Erinnerung an seinen Vater. Er sah ihn reglos vor sich am Boden liegen mit der blutenden Kopfwunde. So wie der heutige Fremde blutend zu seinen Füßen gelegen hatte. Wieder hatte er gemordet und Natalia hatte das vielleicht gesehen. Er schämte sich vor ihr dafür, denn sie hätte das verabscheut. Nur um andere zu verteidigen. Seine Flucht war fast schon zwei Jahre her. Nun war er achtzehn und Vater einer Tochter. In den zwei Jahren war so viel geschehen und er hatte so viel gelernt. Vor allem in der Wildnis zu überleben. Ihm gefiel dieses ungebundene Leben. Sie waren frei, mussten sich nur dem Hauptmann beugen und hatten ihre eigenen Gesetze. Er betrachtete den Rappen des Fremden. Ein schönes, kräftiges Tier. Den würde er gern mal reiten, aber bestimmt wollte ihn Sergej für sich. Oleg schnarchte schon.

Von Räubern und DirnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt