Auch wenn sich Anastasia und Semjon brav in Abstinenz übten, setzten die Wehen einen Monat zu früh ein. Die Geburt kam für die Siebzehnjährige sehr plötzlich und ging sehr schnell. Sie spürte in der Nacht Krämpfe im Bauch, die dann wieder verschwanden. Tagsüber kamen sie immer mal wieder, so dass sie sich manchmal setzen musste und verschnaufen. Die Männer waren auf Raubzug und Olga war mit Vera und den älteren Kindern Pilze sammeln. Nur Jelena und die Kleinkinder waren noch im Lager. Nastja legte sich stöhnend auf ihre Strohmatratze. Plötzlich wurden die Krämpfe sehr heftig, ihr ganzer Körper wurde von Wellen geschüttelt und sie schrie panisch nach ihrer Mutter. Jelena hörte die Schreie und kam herein gestürzt: "Was ist passiert?" Nastja sagte stockend: "Das ... Kind." Dann presste ihr Leib wieder. Sie konnte gar nichts dagegen tun. Jelena schöpfte schnell heißes Wasser aus dem Topf auf dem Feuer und suchte Tücher zusammen. Mit der nächsten Presswehe schwappte ein ganzer Schwall Fruchtwasser heraus und mit der nächsten sah man schon die dunklen Haare. „Es kommt", rief Jelena freudig. Sie legte Tücher zwischen Nastjas gespreizte Beine und wartete, bis der Kopf draußen war. Dann flutschten mit der nächsten Wehe die Schultern heraus und die Ältere fasste das Kleine vorsichtig unter den Armen und zog es heraus. Sie tränkte ein Tuch im heißen Wasser und rieb das Blut von der Haut des Kindes. Es hatte eine milchige Haut und war klein. Nastja richtete sich ein wenig auf und ließ sich das Neugeborene in die Arme legen. Neugierig lüftete sie das Tuch und sah nach dem Geschlecht. Es war ein Mädchen. Dabei musste sie schmunzeln, aber Semjon würde sehr enttäuscht sein. Die Kleine quäkte ein wenig, während Nastja sie betrachtete. Ihre Haut war von einer weißlichen Paste bedeckt, die kaum abging, wenn man rieb. Hoffentlich ging das mit der Zeit weg. Jelena band schon die Nabelschnur ab, durchtrennte sie und bald darauf kam die Nachgeburt.
Als Olga, Vera und einige Kinder zurück kehrten, war bereits alles getan. Jelena kam gleich auf sie zu: "Nastja hat ein Mädchen bekommen. Vorhin erst." Olga stürzte sofort voller Sorge zur Hütte ihrer Tochter: "Es ist doch noch zu früh." Da lag Nastja lächelnd auf dem Lager mit dem Bündel im Arm. Olga kauerte nieder, strich über Nastjas Stirn und lugte dann in das Tuch: "Ein Mädel und so klein." Die junge Mutter fragte: "Mama, was ist das auf der Haut?" Olga entgegnete: "Das ist, weil sie zu früh kam. Normal haben sie nur noch Reste am Leib. Wie ist es dir ergangen?" Nastja seufzte: "Ach, es ging schnell. Die Schmerzen waren auszuhalten. Nach einigen Wehen war sie schon draußen." Olga war noch immer wie überrumpelt. Plötzlich war sie Großmutter. Nastja gab ihrer Tochter noch keinen Namen. Sie wollte gemeinsam mit Semjon einen aussuchen. Bis dahin wurde sie die Kleine, die Süße oder Zwerg genannt.
Kurz darauf war die junge Mutter wieder auf den Beinen, aber Olga riet ihr, sich noch zu schonen und die Kleine noch in der Hütte zu lassen. Nastja holte die kleinen Gewänder aus der Truhe, die sie für das Kind genäht hatte. Für sie eine ganz ungewohnte Arbeit, aber für ihr Kind tat sie alles. Olga zeigte ihr, wie sie wickeln musste und dann zog Nastja ihrer Tochter eines der Gewänder an. Darin sah sie so putzig aus.
Boris Bande wollte nach einigen erfolgreichen Überfällen vor ihrer Heimkehr noch in ihr Stammfrauenhaus. Auf dem Ritt dorthin, kam Boris zufällig mit einem Krämer ins Gespräch. Der riet ihnen dringlichst davon ab, dort hinzu gehen: "Da wütet die Franzosenkrankheit*." Boris verwundert: "Franzosenkrankheit?" Der Krämer meinte: "Wo kommt Ihr denn her, dass Ihr noch nie davon gehört habt? Das holt man sich bei den Huren."
„ Gibt es noch andere Freudenhäuser in der Nähe?", wollte Boris wissen. Der Krämer schüttelte den Kopf. Der Hauptmann wandte sich seinen Männern zu: "Dann reiten wir am besten gleich heim." Die anderen waren zwar nicht begeistert, aber eine Seuche wollte auch keiner. Mischa würde sich gleich Vera krallen, bevor ihm Nikolaj zuvor kam. Die anderen hatten ja ihre Weiber.
Semjon war völlig überrascht, als ihm seine Gefährtin mit einem Kind im Arm entgegen kam. Er lief zu ihr und sagte schon: "Mein Junge." Da schüttelte sie den Kopf und meinte: "Nein, ein Mädchen. Ich sagte doch, du darfst dir nicht so sicher sein." Er murrte ein Ja und blickte in das schlafende Gesichtchen, das ihm Nastja hinhielt. Es traf sie sehr, als sie seine Miene sah. Sie hatte gewusst, dass er enttäuscht sein würde, aber dass er die Kleine kaum ansah. Sie überspielte ihren Kummer: "Wir müssen ihr noch einen Namen geben. Ich wollte damit auf dich warten." Er wandte sich ab: "Das hättest du nicht tun brauchen. Das ist deine Sache." Damit ging er zu seinem Pferd zurück und begann abzuladen. Boris sah seinem Schwiegersohn verärgert hinterher und Olga versuchte zu trösten. Sie legte Nastja die Hand auf die Schulter: "Das ist nur anfangs so." Dann legte sie den Arm um ihre Tochter und führte sie zur Hütte: "Weißt du, dein Vater hat ähnlich reagiert, als er dich das erste Mal sah. Aber noch am selben Tag, kam sein Vaterstolz." Nastja war den Tränen nahe: "Ich hoffe es. Senja hatte sich so auf einen Sohn versteift. Wie oft hatte ich ihn davon abzubringen versucht."
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Von Räubern und Dirnen
Historical Fiction"Borja, was hast du getan? Du hast ihn erschlagen." Natalia hielt geschockt die Hände vor den Mund: "Oh nein, wir müssen fort. Schnell! Ich will nicht hingerichtet werden." Sie war völlig durcheinander. Russland im Jahre 1528: Der junge Boris lebt...