Epilog

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A S H T O N

Etwas ängstlich klammerte sich der Blondschopf an meinen Arm, sodass ich spüren konnte, wie sehr er zitterte. "Du brauchst keine Angst zu haben.", hauchte ich ihm an sein Ohr, doch er reagierte nicht. Mit riesigen Augen starrte er nach vorne zum schon aufgebautem Sarg, zu den vielen Blumen, die Michael so mochte. Und das Bild, wo er lächelte, als wäre nichts passiert. Als wäre er nur kurz weg, morgen wieder da. Doch Luke war still. Er schniefte nicht, wimmerte nicht. "Warte hier.", sprach er kaum hörbar geradeaus, löste sich von meinem Arm und lief alleine nach vorne zum offenen Sarg. Wir waren einer der ersten hier, was ich auch immer bevorzugte, da ich nicht in die traurigen Gesichter schauen möchte, die so einen liebevollen Menschen verloren haben. Erstaunlicherweise waren hier auch vielleicht hundert Stühle aufgebaut. Oder sogar mehr. Ich setzte mich in die zehnte Reihe, auf den erst besten Stuhl, und beobachtete Luke dabei, wie er sich dem schwarzen Sarg näherte. 

L U K E

Er hatte kein Anzug an, sowie es normalerweise sein sollte. Nein, er trug den Pullover, den er auch damals trug, als wir uns kennen lernten. Zugegeben, dieser Pulli war ausgeblichen, ausgewaschen und vielleicht auch etwas zu klein. Aber ich wusste, dass Michael ihn heute anhaben wollte. Sein blasses Gesicht bewegte sich nicht. Keinen Atemzug, kein Schnarchen. Meine Hoffnung, dass er vielleicht doch nur schlief, war also dahin. Meine Tränen kamen wieder, dabei dachte ich, dass ich schon leer war. Wo war sein Augenbrauen Piercing? Sie hatten es ihm abgenommen? Ein wenig Wut baute sich in mir auf, aber ich beruhigte mich schnell wieder, als ich hörte, wie Ashton sich hinsetzte. Ich spürte seine Blicke, verständlich. Sanft ließ ich meinen Finger über seine eiskalte Wange wandern, sah dabei einen kurzen Moment zu den roten Rosen, die fast überall aufgestellt waren. Eigentlich sollten es ja Weiße sein, aber Michael liebte rote Rosen. Vielleicht sollte es auch eine Art Botschaft an mich sein. Ich wusste es nicht. Ich wusste gar nichts. Es fühlte sich so an, als würde er gewusst haben, dass er bald sterben würde. Ich wollte Wörter aus meinem Mund kriegen, aber es klappte nicht. Ich wollte ihm noch etwas sagen, aber ich konnte nicht. Sanfter Wind wehte durch meine gemachten Haare. Langsam zog ich mir meinen Anzug zurecht, betrachtete immer noch, das letzte Mal, den Menschen, der mir von Anfang an geholfen hat. Den ich abgestoßen hatte. Den ich geliebt hatte. Die Tränen liefen wieder. Auf einmal legten sich starke Arme um meinen Hals. Ashton zog mich sanft zu sich und gab mir einen Kuss auf den Kopf. Ob Michael das gefallen würde? Wahrscheinlich nicht, wäre er hier. Aber ich wusste, dass er jetzt glücklich wäre. Vor allem, weil Calums Beerdigung direkt nach seiner sein würde. "Ich liebe dich, wir sehen uns bald, versprochen.", hauchte ich unter Tränen, lehnte mich etwas nach vorn und strich durch seine blauen Haare. Sie verblichen auch langsam. Er wollte sie noch färben. Ich wollte zusehen, wollte meine Haare auch mal färben, wie er. Mir gefiel es. Kurz hauchte ich ihn einen Kuss auf die trockenen Lippen. Es tut mir leid, dachte ich innerlich. Ashton zog mich beschützend in seine Arme, wo ich mich leise ausweinte. Auch, wenn ich sein weißes Hemd voll rotzte. 

Michaels Eltern hatte ich nicht zu Gesicht bekommen. Ich war mir sowieso unsicher, ob sie noch lebten, nach allem, was passiert war. Ich hielt es kaum mehr aus, blieb aber noch bis zu bitteren Ende da, bis er vollständig begraben wurde. Ich warf sogar zwei Rosen zu ihm herunter, ein Kuss folgte darauf. Die restliche Zeit war ich bei Ash, der mir Halt gab. Wer sollte es nun sonst tun? Nachdem die Zeremonie vorbei war, legte der Lockenkopf seinen Arm um mich, begleitete mich zu seinem Auto. Meins hatte ich nach dem Vorfall verschrotten lassen. Er öffnete schweigend die Beifahrertür für mich. Müde setzte ich mich hin, ließ meine Beine aber gedankenverloren aus dem Auto baumeln. "Möchtest du doch hin?", fragte er mich sanft, kniete sich zu mir herunter. Er nahm meine Hände, strich sanft über meinen Handrücken, während seine braun-grünen Augen mich ansahen. Langsam nickte ich. Aber ich wollte dort alleine hin. "Ich bleibe im Auto.", sprach Ashton, als hätte er meine Gedanken gelesen. Er richtete sich auf, half mir aufzustehen. Seit Tagen war ich total schwach. Mein Arzt meinte, es wäre der Stress und der Verlust. Ich meinte, es wäre einfach mein Körper, der am Ende wäre. Ashton drückte mir einen Kuss auf die Stirn, lächelte mich dann schwach an. Doch ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, denn ich sah Michael hinter ihm. Einige Meter weiter. Er lächelte mich an, nickte dann stolz. Auf einmal erkannte ich Calum neben ihn. Sie sahen sich an, doch mehr sah ich nicht, denn Ashton fuhr mir auf einmal durchs Haar. "Soll ich nicht doch lieber mit?", fragte er besorgt. "Ich schaff das."

Zwei Menschen waren hier. Der Pfarrer und ich. Ich hatte zwei Minuten Zeit, um in das Gesicht des Menschen zu sehen, der mein Leben ruiniert hatte. Nur ganz kurz hatte ich den Drang ihm ins Gesicht zu schlagen, doch ich tat es nicht. Natürlich nicht. "Danke.", waren meine leisen Worte, die ich Calum zum Abschied schenkte. "Pass auf Michael auf. Sag ihm, dass ich ihn liebe." Der Pfarrer machte es kurz, ließ mich eine Blume und eine Schippe Erde in das Loch werfen, schon war es vorbei. Es war nicht so wie gerade. Es war noch schlimmer. Und das aller schlimmste war, dass ich nicht wusste, ob niemand hier war, weil Calum sie alle umgebracht oder aus seinem Leben verscheucht hat. 

Langsam trottete ich zum Auto, öffnete die Tür und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Ohne etwas zu sagen, fuhr der fürsorgliche Lockenkopf los. Das Radio lief leise, nur mit Mühe konnte ich das Lied erkennen. "Hast du Hunger?", fragte mich Ashton mit einem schwachen Lächeln, in der Hoffnung, dass er mich ablenken könnte. Mein Blick wendete sich ab, sah aus dem Fenster. Es dämmerte schon und ich beobachtete die Bäume, an denen wir vorbei fuhren. "Luke?", versuchte er es erneut. "Ja.. eh.. Pizza.. klingt gut.", sagte ich etwas unsicher, schloss kurz meine Augen, sah dann wieder zu Ash. "Pizza.", versicherte ich ihm nun und zwang mich zu Lächeln. "Pizza.", nickte er und lehnte sich zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Ich bin stolz auf dich, weißt du das?", sprach er auf einmal drauf los. "Nein, aber jetzt.", gab ich zurück. Wir hielten an einer Ampel, an einer Kreuzung in der Innenstadt. Als ich nach rechts aus dem Fenster sah, erkannte ich Michael, wie er gelangweilt an der Ampel stand und wartete. Dann sah er mich, lächelte auf einmal. Es war kein normales Lächeln. Es war dieses Lächeln, was mir sagen sollte, dass ich alles gut gemacht hatte. Dass er auch stolz auf mich war. Dass er da sein wird, wenn ich ihn brauchen würde. Tränen liefen mir erneut über die Wange, durch ich wischte sie schnell weg, bevor Ashton sie sehen konnte. Abschließen war schon immer richtig schwer für mich. Jetzt konnte ich mir beispielsweise gar nicht vorstellen wieder normal leben zu können. Ashton wie Michael behandeln zu können. Wie denn auch, wenn ich ihn überall sah? Die Ampel wurde grün und der Lockenkopf neben mir fuhr los. Michael winkte mir hinterher, schenkte mir dabei einen Luftkuss, der mich kurz zum Lächeln brachte.

Amnesia {Cake/Muke ff} ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt