„Es ist doch so unfassbar, dass so etwas wie du, trotz seiner Abgebrühtheit noch Liebe empfinden kann.", bekam ich sofort an den Kopf geworfen. „Danke?", erwiderte ich. Vollkommen in schwarz gekleidet lief ich durch die Wohnsiedlung, in der ich noch am Morgen Zeitung ausgetragen hatte. Ich war am Ende der Straße, an einem Feld und einem Haus mit großem Garten angelangt, an dem uns keiner hören konnte, wenn wir nicht grade allzu laut sprachen. Immer wenn ich „geschäftlich" unterwegs war, trug ich Pferdeschwanz und meinen Trenchcoat. Ich sah damit zwar ein bisschen aus, als wäre ich ein Detektiv, aber das ist mir lieber, als total auffällig mit Ski-Maske durch die Siedlung zu rennen. „Keine Ursache, ich sag gerne, was ich denke." „Haha.", sagte ich sarkastisch. Im Grunde genommen besserte ich mir abends mein Taschengeld auf, wenn man es für sehr naive Leute umschreiben möchte. Slayer trat von einen Fuß auf den anderen, das konnte ich hören. Der Fußboden war nass und seine Schuhsohlen aus Gummi mit Profil, wie meine auch. Natürlich war „Slayer" nicht sein richtiger Name, alle nannten ihn nur immer so. Genau, wie er mich auch nicht bei meinem richtigen Namen nannte. „Wie dem auch sei...ich war heute Morgen hier und ich habe dieses verdammte Haus langsam echt satt. Außerdem brauche ich wieder Geld, so ein Konzertflügel bezahlt sich nicht von allein, außerdem ist noch Weihnachten und die ganzen Geschenke..." „Ja, ist mir klar. Jetzt lass uns endlich anfangen, wir sind schließlich nicht zum Spaß hier.", unterbrach er mich. „Naja, du vielleicht nicht.", erwiderte ich lachend. Es war zwar dunkel, aber ich konnte geradezu spüren, wie er mit den Augen rollte. „Hier.", sagte er. Man konnte aber das Lächeln in seiner Stimme genau hören. Ich fing das kleine Fläschchen, welches er mir zuwarf und steckte es in meine Jackentasche. „Gehen wir?", fragte er. Der Schein meines Handydisplays erhellte mein Gesicht und noch ein wenig den Platz um mich herum. „Pichi?", fragte er erneut. Erst jetzt bemerkte ich ihn. Pichi ist übrigens spanisch für elegant. Alle erzählen mir immer, wie elegant ich bin, darum hab ich auch unglücklicherweise diesen Namen verliehen bekommen. Immerhin, auf jeden Fall noch besser, als Poisson - Globe, was französisch für Kugelfisch und der Name einer Bekannten von uns ist, weil sie etwas korpulenter ist und somit manchmal nicht durch alle Einstiegslöcher passt. „Ja, tut mir leid. Mein Freund macht nur grade Stress, weil er denkt ich verlasse ihn...", reagierte ich endlich und etwas hastig. Ich wollte schließlich nicht, dass er schon wieder was nach mir warf. „Dann mach's doch, wenn er es eh immer schon denkt.", bemerkte er nur. „Nö. Ich liebe ihn ja schließlich irgendwo." „Haha, ja. Irgendwo.", kommentierte er. Jetzt war ich diejenige, die das Gespräch abwürgte und endlich zur Tat schreiten wollte. „Geht's jetzt los oder was?", drängelte ich und deutete mit dem Kopf Richtung Tür. Schnell tippte ich noch eine Nachricht in mein Handy ein, als Slayer nicht hinguckte und mit seinem Telefon hantierte. „Kann es losgehen oder muss jemand noch mal aufs Klo?", fragte er ins Mikro und sprach vielleicht auch so halb mit mir, das weiß ich nicht genau. Ich denke aber, das war aus „Beverly Hills Cop" zitiert. Er steckte das Handy ein und nickte mir zu. Leise schlich ich zum Haus und beobachtete das einzige Zimmer, in dem Licht brannte. Aus seiner Jackentasche kramte Slayer, der aussah wie ein Neger, noch ein wenig Puder. „Dein Ernst? Das wirkt jetzt überhaupt nicht schwul.", lachte ich. Slayer ist eigentlich weißhäutig, wie jeder andere deutsche Staatsbürger, dessen Vorfahren nicht eingewandert sind, auch. Aber wenn wir manchmal etwas in Gegenden machen müssen, in denen uns einige Menschen sehen könnten, ist ein wenig Maskerade angesagt. Wenn ein Anwohner sagt, er habe einen Schwarzen gesehen, werden die Behörden niemals nach einem Weißen suchen. Wie dem auch sei, ich war dran. Da ich erst fünfzehn, also klein und unschuldig war, war ich meistens diejenige, die die beknackten Parts übernehmen musste, diesmal hatten wir aber einen anderen Plan und waren somit gleichermaßen scheiße dran. Slayer ging um das Haus herum, während ich vom Vorgarten aus das Fenster beobachtete. Gerade, als ich mich zwischen den Buchsbaumkugeln zurechtgefunden hatte und mir das Gras am Schienbein stachelte, weil es mal wieder hätte geschnitten werden müssen, vibrierte mein Handy und ich bekam die Nachricht, dass Phase 1 abgeschlossen sei. Es würde nun nicht mehr lange dauern. Ich konnte mich ja nicht hinlegen oder derartiges, da ich sonst Stofffasern hinterlassen würde, die man finden und mir zuordnen könnte und das ganze Tamtam mit der Polizei war nicht wirklich erstrebenswert für mich. Aus lauter Langerweile warf ich einen Blick nach oben in den Himmel. Wir hatten Vollmond. Es war echt ein wunderschöner Abend und auch wunderschön in der Hinsicht, dass meine Eltern erst am nächsten Tag von ihrer geschäftlichen Reise wiederkommen würden und ich somit länger aufbleiben konnte. Ja, ich denke eben wie eine Fünfzehnjährige. Ich bin auch eine. Also? Noch Fragen? Schnell zog ich meinen Kopf zurück, als ich bemerkte, dass im oberen Stock ein Fenster geöffnet wurde und der heiße Dampf vom Badezimmer in die nächtliche Kälte zog. Es war an der Zeit für meinen Part. Ich schluckte meine ganzen Zweifel an dem Plan hinunter und begann, mich dem Haus mehr zu nähern. Meine behandschuhte Hand (ja, zur Abwechslung hatte ich mal Handschuhe, sogar welche aus Leder, weil dann keine Fingerabdrücke von mir bleiben) legte sich um einen Pfosten und die andere stütze sich an der Wand ab. Ich musste mich äußerst langsam bewegen, damit es von weitem nicht auffiel, dass ich an der Fassade entlang kletterte. Abgesehen davon, dass man sich nicht nur bescheuert vorkommt, wenn jemand die ganze Zeit hinter dir steht und dich erst dann anspricht, wenn du schon oben bist, war es auch noch scheiße anstrengend, sich die ganze Zeit im Schneckentempo zu bewegen. Am schlimmsten ist jedoch, wenn du anfängst voller Aufregung zu schwitzen und sich dein ganzer Schweiß im Lederhandschuh sammelt, einfach furchtbar. Endlich hatte ich es geschafft und legte meine Arme auf das Fensterbrett. Es war niemand drin, das konnte man daran sehen, dass das Licht aus war. Zur Sicherheit lauschte ich noch einmal und hievte mich dann über das Fensterbrett hinein ins Bad. Ich unterdrückte einen Schrei, als ich in einer Wasserpfütze landete. Vorsichtig strich ich meine Schuhe an dem Fußabtreter ab, den ich dann zusammenrollte und in meine Jackeninnentasche stopfte. Das ist ziemlich eklig, wenn dir so ein feuchtes Ding andauernd an dein T-Shirt drückt. Dummerweise geht das aber nicht anders, wenn du keine Spuren hinterlassen willst und nicht gerade möchtest, dass drei hobbylose Forensiker deine neuen Stalker werden, wenn sie aus dem Dreck von deinem Schuh die Route der letzten zwei Tage ablesen können. Langsam beugte ich mich ein Stück hinunter und warf einen Blick durch das Schlüsselloch. Das Adrenalin in meinem Körper stieg an und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Doch ich musste mir wieder ins Gedächtnis rufen, dass auch nur ein kleinster Moment der Unaufmerksamkeit das Ende bedeuten könnte. Doch jetzt, da ich schon einmal im Haus war, war die Hälfte geschafft. Ich zückte mein Handy und tippte ein: bin drin. Warum wir keinen speziellen Funkkanal oder irgendein ähnliches Kommunikationsmittel verwenden? Das ist einfach. Funk kann man abhören, außerdem muss man da sprechen, was deutlich lärmaufwendiger ist. Wenn die Polizei die Handys von dreiundsechzig Millionen Menschen in Deutschland überprüfen möchte, kann sie das gerne machen, aber zur selben Zeit werden tausende Verbrechen abgewickelt und sie werden tausende verdächtige SMS-en lesen. Außerdem haben wir Störsender in unseren Handys, damit man sie nicht orten kann. Auf der oberen Etage war das Licht jedenfalls aus, also drückte ich leise die Klinke hinunter und zog die Tür einen Spalt auf. Die Wärme des Hauses überkam mich und ich trat vorsichtig in den Flur hinein.
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Frozen Love
RandomDie merkwürdige Geschichte von ungeklärten Gefühlen, zwei Auftragskillern und einer feindlichen Übernahme. Danke für über 500 Reads! Love you ❤️