Das Zigeunerlager

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Zigeuner mit alten Geigen,
Grafen mit schwarzen Dirnen,
Reizender, schamloser Reigen,
Finsteres, sprechendes Schweigen,
Schweißperlende Stirnen.
Unheimlich alte Weiber,
Glühende Glutweinbecher,
Zotende Rossetreiber,
Mitunter Räuber,
Unmaßgeblicher Beschreiber,
Je interessanter je frecher.

Ludwig Eichrodt, Das Haidebild


Nach dieser Begegnung versuchte ich, nicht mehr auf die Schatten zu achten, die ich aus dem Augenwinkel sah, aber mit der Dunkelheit kamen auch sie zu Scharen, kichernd, flüsternd, sie riefen meinen Namen. Ich biss mir auf die Zunge, um mich davon abzuhalten, ihnen zuzuhören.

„Wie weit ist es noch?", fragte ich. Erst einen Moment später wurde mir klar, dass Pan gerade geredet hatte. Es schien ihn nicht weiter zu stören.

„Nicht mehr weit." Pan drehte sich um und lief rückwärts weiter. „Wir bleiben einfach in einer der Höhlen. Da ist es wahrscheinlich nur halb so gefährlich wie...-"

Irgendetwas riss ihn von den Füßen, er prallte gegen einen Baum. Ich fuhr herum. Ein zweibeiniges Wesen stand zwischen den Bäumen, Hufe anstelle von Füßen, ein unmenschlich menschlicher Körper. Ich konnte mich nicht bewegen, versuchte zu verarbeiten, was ich sah. Alles an ihm war unwahrscheinlich, sein Körper von hellem Fell überzogen, ein Geweih thronte auf seinem hirschähnlichen Schädel. Die viel zu menschlichen Augen des Wesens richteten sich auf mich und ich vergaß, wie man atmete. So viel Schmerz in seinem Blick. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Pan sich aufrappelte.

„Hey, Schätzchen!"

Pan richtete zwei silberne Dolche auf das Wesen, sein Grinsen war unmenschlich. Das Wesen schnaubte, ich zuckte zurück.

Pan sprintete los und rammte dem Wesen einen Dolch in die Seite.

Dunkelrotes Blut rann über die Flanke des Wesens, es röhrte vor Wut. Pan tänzelte zurück, das Wesen schlug mit seinen viel zu menschli­chen Händen nach ihm. Es konnte nicht echt sein. Pan fuhr herum, beide Dolche bereit, um sofort zuzustechen, abwartend stand er da. Ich sah zu dem Wesen, dessen silbernes Fell sich rot färbte, zurück zu Pan, der mir den Rücken zugewandt hatte, ein Jäger, der auf seine Beute wartet. Über seine Schultern zog sich ein schwarzer Schriftzug, der unter seiner Weste verschwand. Ein Tattoo, und ich war mir sicher, dass es eben noch nicht da gewesen war.

Das Wesen stürzte sich auf ihn und Pan rammte ihm beide Dolche gleichzeitig in den Magen.

Die Spitzen drangen mit Leichtigkeit durch Haut und Knochen. Das Wesen röhrte schmerzerfüllt, als Pan die Dolche immer weiter in seinen Körper trieb, Blut tropfte von seinen Ellenbogen auf den Boden. Pan riss die Dolche aus dem Bauch des Wesens und sprang einen Schritt zurück, der schwere Körper landete auf dem Boden in seinem eigenen Blut. Das helle Fell war rot getränkt. Das Tattoo war verschwunden.

„Na also." Pan drehte sich zu mir um und grinste, Blut tropfte von seinen Händen. „War doch ganz einfach."

„Du warst auch schon schneller, Keijo."

Tiberius stieß sich von einem Baum ab.

„Bin etwas aus der Übung." Pan wischte das Blut von seinen Armen. Es half nicht sonderlich viel. „Was machen wir jetzt?"

„Weitergehen."

Pan verdrehte die Augen. „Du versaust einem aber auch jeden Spaß."

Spaß?"

Ungläubig starrte ich ihn an. Pan grinste nur verschmitzt und ging weiter.

„Er ist er." Tiberius ging an mir vorbei. Ich sah zu dem Hirschwesen zurück, aber der Waldboden war leer. Kein Blut. Keine Leiche. Mir drehte sich der Magen um. „Was hast du erwartet?"

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt