Elementarhexe

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Böser Dämonen die finstre trug,
Zwergartig, lasterhaft, grausam und voller Lug.
Keck lenkten sie auf mich die hin wie Laffen,
Die im Vorübergehn nach einem Tölpel gaffen.
Sie lachten, flüsterten und tauschten listig flink
Manch freches aus und manch geheimen Wink

Charles Baudelaire, Beatrice

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Verständlicherweise. Schließlich war ich die halbe Nacht hindurch wach gewesen. Irgendjemand hatte das Fenster aufgemacht. Bisher war mir noch nicht mal aufgefallen, dass es hier ein Fenster gab, aber jetzt wurde es mehr als deutlich, als das Licht der Sonne mir genau ins Gesicht schien. Mit einem Stöhnen drehte ich mich um - und fiel aus dem Bett. Natürlich. So was konnte auch nur mir passieren. Grummelnd rappelte ich mich wieder auf - und erstarrte. Keine fünf Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war eine graue Schnauze aufgetaucht. Zu dieser Schnauze gehörte der graue Körper eines Wolfes, der mich aus intelligenten, goldenen Augen ansah. Ich konn­te einen überraschten Laut nicht unterdrücken, auch wenn ich eigent­lich ziemlich froh war, dass ich nicht vor Überraschen geschrien hatte. Kam schließ­lich nicht allzu oft vor, dass man von einem Wolf geweckt wurde.

Apropos Wolf: Was hatte der hier eigent­lich zu suchen?

„Äh... Keira?"

Überrascht sah ich auf. Gin stand einen halben Meter neben mir und sah - genau wie ich - auf den Wolf vor meiner Nase.

„Weißt du, wo der herkommt?", fragte ich ihn, während ich wieder auf die Beine kam. Der offensichtlich noch ziemlich junge Wolf - die Wölfin, wie mir jetzt auffiel, war noch recht klein -, dem das zu langweilig zu sein schien, drehte sich um und sprang mit einer seltsamen Leichtfüßigkeit auf Greys Bett. Er rollte sich einfach am Fuß­ende zusammen. Sie schien es gar nicht zu bemerken, murmelte nur irgendetwas Unverständliches, ohne wach zu werden. Gin fuhr sich durch das ziemlich verwu­schelte, rote Haar und gähnte.

„Keine Ahnung, wie sie das macht", meinte er und sah zu Grey, „aber das konnte sie schon immer gut."

„Es ignorieren, wenn ein Wolf auf ihr Bett klettert?"

Gin zuckte mit den Schultern und erwiderte mein Grinsen.

„Ich hätte gesagt schlafen wie ein Stein, aber das läuft wohl ungefähr aufs Gleiche hinaus."

Kurz sahen wir einfach nur auf die Wölfin, die sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte und offensichtlich schlief.

„Wo sind eigentlich die anderen?", fragte Gin nach eini­ger Zeit und deutete auf das leere Bett, in dem Tiberius letzte Nacht geschlafen hatte. Weder er noch Pan waren irgendwo zu sehen. Ist ja auch nicht gerade einfach, sich in so einem kleinen Zimmer zu verstecken.

„Gute Frage." Ich wandte mich um, in Richtung Tür. „Aber das werden wir schon noch rausfinden."

„Gut, von mir aus", meinte er schulter­zuckend, bevor sich ein verschmitztes Grinsen auf seine Züge schlich. „Ist ja nicht so, als hätte ich gerade irgendwas Besseres zu tun."

„Stimmt wohl."

Ich sah zu, wie er sich seine Jacke schnappte. Mittlerweile bemerkte ich die Kälte kaum noch, aber Gin schien sie immer noch ziemliche Probleme zu bereiten.

„Ist es wirklich so schlimm?"

Die Worte waren raus, bevor ich sie aufhalten konnte. Überrascht sah er mich an, bevor Verstehen in seinen Augen aufblitzte.

„Feuer und Winter vertragen sich wohl nicht so sonder­lich gut."

Er versuchte, möglichst unbeein­druckt zu wirken. Ich sah ihm trotzdem an, wie sehr ihm die Kälte eigentlich zusetzte - und auch, wie ungern er darüber reden wollte. Des­wegen tat ich ihm den Gefallen und wechselte das Thema.

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt