Schlaflos

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Ei Tränen, meine Tränen,
Und seid ihr gar so lau,
Daß ihr erstarrt zu Eise
Wie kühler Morgentau?

Wilhelm Müller, Gefrorene Tränen

Ich schreckte hoch, als ich Geräusche vor der Tür hörte. Beinahe augenblicklich saß ich aufrecht da und versuchte, meinen Atem zu kontrollieren. Unweigerlich musste ich an die Geister denken, von denen Iuvea erzählt hatte. Was, wenn es hier wirklich Geister gab? Mittlerweile glaubte ich, dass hier in den Nebellanden alles möglich war. Etwas berührte mich am Arm, und beinahe hätte ich aufgeschrien, wenn ich nicht in diesem Moment die Stimme erkannt hätte.

„Beruhige dich", murmelte Pan, es klang, als würde er noch halb schlafen. „Das ist nur Tib."

„Woher weißt du das?"

Ich konnte mir die Frage einfach nicht verkneifen. Pan öffnete ein Auge, trotz der Dunkelheit konnte ich seine grüne Iris, die in der Dunkelheit zu leuchten schien, deutlich erkennen. Er sah belustigt aus, als wäre diese Frage vollkommen abwegig.

„Weil er schon genug Zeit mit mir verbracht hat, um das zu erkennen", war Tiberius' Stimme plötzlich zu hören. Einen Sekundenbruchteil später flammte Licht auf, nicht so hell, dass es den Raum erhellte, aber trotzdem genug, um meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen zu blen­den. Über Tiberius Hand schwebte ein kleines Licht. Mit einem Stöhnen zog Pan sich das Kissen über den Kopf und vergrub das Gesicht in der Matratze.

„Mann, Tib!", knurrte er mürrisch, seine Stimme war durch das Bett gedämpft.

„Hab dich nicht so."

Ungerührt setzte Tiberius sich auf die Kante von Pans Bett. Er sah unglaub­lich müde aus, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschla­fen, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Mir fiel auf, dass ich ihn auch kein einziges Mal wirklich hatte schla­fen sehen, seitdem wir aufgebrochen waren.

„Hast du noch was herausgefunden?"

Er schüttelte den Kopf.

„Nichts, was ich nicht schon vermutet hätte."

Vor sich hinbrummelnd setzte Pan sich auf, bevor er Tiberius musterte. Der erwiderte den Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Seufzend stand Pan auf und ging außen um das Bett herum.

„Leg dich schon hin", forderte er Tiberius auf, der ihn - genau so wie ich - verständnislos ansah. „Du brauchst den Schlaf viel dringender als ich."

Tiberius sah aus, als wolle er protestieren, doch Pan hob abwehrend die Hand.

„Du bist immer noch menschlich, Tib." Ein Grinsen schlich sich auf seine Züge. „Zumindest um einiges menschlicher als ich."

„Keijo, hör zu...", begann Tiberius, schüttelte dann aber den Kopf. Den Blick, den er Pan zuwarf, konnte man ein­fach nicht beschreiben. „Dickkopf. Von wem könntest du das nur haben?"

Pan grinste nur. Tiberius löschte das Licht und wieder war alles in Dunkelheit gehüllt. Trotzdem wusste ich, dass Pan unverändert an dem gleichen Platz stand wie gerade eben. Seine Augen leuchteten unheimlich in der Dunkelheit, auch wenn ich mir sicher war, dass er grinste.

„Und wo schläfst du jetzt?", flüsterte ich und rückte so ans Bettende, dass ich nach seinen Händen greifen konn­te. Er hielt meine Hände fest und drückte sie kurz.

„Du weißt doch, dass ich nicht so viel schlafen muss", erwiderte er genauso leise, aber ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.

„Sonderlich gut ist es für dich aber auch nicht." Ganz kurz zögerte ich noch, bevor ich mir ein Herz fasste und zugleich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. „Du kannst mit bei mir schlafen."

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt