Wie Feuer und Eis

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Wirst du ein Engel sein,
der mich begleitet?
mein Unstern oder, der
mich irreleitet?
Mein Glück? mein Unglück? o!
mein Fluch? mein Segen?

Cäsar Flaischlen, Wirst du ein Engel sein

Wir fuhren zu der fremden Stimme herum. Vor uns stand eine hochgewachsene Frau von vielleicht dreiundzwanzig Jahren mit langen, dunkelblonden Haaren, die im durch den Schnee zurückgeworfenen Widerschein des Sonnen­lichts golden wirkten. Sie trug ein langes, viellagiges Gewand von einem eisigen Blau, dessen Rock teilweise von Weis durchzogen war, sowie auch das zarte Mieder. Sie war wunderschön. Neben ihr waren zwei stattliche graue Wölfe, einer lag zu ihren Füßen, der andere stand neben ihr und ihre hellhäutige Hand ruhte auf seinem Kopf.

„Und mit wem haben wir das Vergnügen?", fragte Tibe­rius, ohne sich sein Überraschen anmerken zu lassen. Der lie­gende Wolf hob den Kopf und sah Tiberius aus un­heimlichen, blau leuchtenden Augen an, während seine Herrin lächelte - ein schönes Lächeln, wenn auch nicht halb so gütig wie das von Taramyria, aber trotzdem nicht halb so verschlagen wie so manch anderes, das ich hier bisher gesehen hatte.

„Verzeiht meine Unhöflichkeit." Ihre Stimme war weich, auf eine Weise, die mich an fallenden Schnee erinnerte. „Man nennt mich Iuvea Tînruan."

Ihr Name hing zwischen uns in der Luft, uns allen war klar, was das bedeutete.

„Doch eigentlich ist es an mir, euch nach euren Namen zu fragen", fügte sie hinzu, aber ihr Blick war nur auf Grey gerichtet. „Wie heißt du?"

„Grey", sagte sie, während sie die Frau mit großen Augen anstarrte. In den Augen Iuveas blitzte etwas auf, doch es ging zu schnell vorbei als dass ich es genau hätte erkennen können.

„Interessant", meinte sie und strich dem Wolf, der neben ihr saß, wie geistesabwesend über den Kopf. „Er ähnelt deinem alten Namen."

„M-Meinem alten Namen?"

Grey erbleichte sichtlich, ihre Hände, in denen sie immer noch Blätter und Stift hielt, zitterten.

„Natürlich." Iuveas eisblaue Augen leuchteten wie Saphi­re, während sie auf uns zutrat, die Wölfe standen auf und folgten ihr auf den Fuß, als wären sie an sie gebunden. „Oder dachtest du, Mutter und Vater hätten dir keinen Namen gegeben?"

Grey fielen die Blätter und der Stift aus der Hand und landeten im Schnee, mit weit aufgerissenen Augen starrte sie die Fremde an, während sie einen Schritt zurückwich. Fassungslos starrte ich Iuvea an, mein Blick wanderte von ihr zu Grey und wieder zurück. Hatte sie gerade wirklich gesagt...?

„Dann erklär uns doch mal, warum wir dir glauben soll­ten", sagte Pan gelassen, als würde ihn die ganze Situation kein bisschen berühren. Aber weil ich so dicht neben ihm stand, spürte ich seine Anspannung trotzdem. Die junge Frau lächelte.

„Warum sollte ich lügen?"

„Aus Spaß an der Freude?", schlug Pan vor.

„In wiefern sollte sie mit dem Hause Tînruan in Verbin­dung stehen?"

Tiberius' Stimme hätte Eis schneiden können.

„Sie", Iuvea deutete auf Grey, die sie wie paralysiert anstarrte, „ist die jüngste Tochter der Herren dieses Gebietes und damit" - sie machte eine kurze Pause und sah jeden einzelnen von uns an, bevor ihr herausfor­dernder Blick wieder bei Tiberius landete - „auch meine Schwester."

Grey schüttelte nur den Kopf, in ihren Augen standen Tränen. Verständlich - schließlich stellte diese Schnepfe da gerade ihr komplettes Leben auf den Kopf! Dafür hät­te ich sie hassen können.

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt