Fliegende Reptilien

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Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit
Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt
Von den Laternen, in die Dunkelheit
Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.

Georg Heym, Die Dämonen der Städte

„Hallooo!"

Mit einem Stöhnen drehte ich mich von Pan weg, der es sich - fröhlich wie immer - zur Aufgabe gemacht hatte, uns alle zu wecken. Ich hatte die ganze Nacht kaum ge­schlafen, die Nervosität war mit jeder Stunde gewachsen, sodass ich mich mittlerweile fühlte wie das reinste Ner­venbündel.

„Hey, Keira, aufwachen!" Pan berührte mich an der Schulter. Ich brummte. Er seufzte dramatisch. „Süße, glaubst du wirklich, dass ich mich von so was aufhalten lasse?"

Eigentlich nicht, aber man konnte es ja mal probieren... Überrascht quietschte ich auf. Pan hatte mich einfach so hochgehoben, als wöge ich nichts, und hielt mich jetzt auf seinen Armen.

„Lass mich sofort runter!"

„Nur, wenn du endlich wach bleibst", erwiderte er la­chend, setzte meine Füße aber wieder auf den Boden. Ich warf ihm einen bösen Blick zu - der durch ein Gähnen allerdings ziemlich an Wirkung verlor - und wischte mir nicht vorhandenen Staub von den eh schon ziemlich dre­ckigen Klamotten.

„Wo lang?", fragte ich alles andere als fröhlich und ver­schränkte die Arme vor der Brust. Pan lachte über meine Miene. Grey, die gemeinsam mit Gin und Tiberius etwas im Hintergrund stand, sah mich besorgt und beinahe mit­leidig an, bevor sie nach vorne deutete. Im nächsten Mo­ment kam Luna auf mich zugetrottet und schmiegte sich an mein Bein. Sehr süß, dachte ich düster. Ich wollte nichts Süßes. Ich wollte weiter schlafen! Aber da mir klar war, dass weder sie noch die anderen nachgeben würden, bückte ich mich und streichelte ihr über das seidige Fell. Ja, sie war schon echt knuffig. Lunas goldenen Augen blitzten, als könnte sie meine Gedanken lesen. Gruseliger Gedanke. Als ich mich erhob, trottete die kleine Wölfin sichtlich zufrieden wieder zurück zu Grey.

„Also, wo geht's lang?", wiederholte ich meine Frage.

„Erst mal hier raus, oder?"

Dieses Mal war ich nicht die einzige, die Pan einen giftigen Blick zuwarf. Tiberius und Gin waren offensichtlich auch leicht gereizt.

„Was habt ihr denn?" Pan verschränkte grinsend die Arme. „Nicht genug geschlafen?"

„Wie werden wir ihn am schnellsten los?", fragte Gin an Tiberius gewandt.

„Wir könnten ihn mit einem Zauber belegen", schlug Tiberius sogleich vor - was ich ziemlich überraschend fand, angesichts dessen, dass er Gin eigentlich nicht leiden konnte. „Allerdings würde er den beinahe sofort wieder lösen. Am sichersten wäre es natürlich, ihn zu köpfen, auch wenn ich diese Variante etwas drastisch finde."

„Hey!" Pan hüpfte ein bisschen, um auf sich aufmerksam zu machen. „Ich bin noch da, falls es euch nicht aufgefallen ist!"

„Deswegen reden wir ja darüber, wie wir dich loswerden können", erwiderte Tiberius unbeeindruckt. „Es gibt allerdings einen Zauber, der speziell auf sein... Naturell zugeschnitten ist - und den er mit Sicherheit nicht so schnell überwinden kann."

„Das wagst du nicht!"

Pan schien ziemlich genau zu wissen, was Tiberius meinte.

„Hört sich doch gut an."

Gin ignorierte Pan komplett. Tiberius zuckte nur gleichmütig mit den Schul­tern.

„Das wird er nicht, sage ich!"

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt