Das Schloss

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Doch wüstes Volk in der Sorge Gewand
Nahm Thron und Reich in Beschlag.
Weh, nie mehr dämmert in jenem Land
Der Tag, weh, nimmer ein Tag!
Und alles, alles, was dort umher
Je prangte an Herrlichkeit,
Ist nur eine traumhafte Mär
Aus längst vergessener Zeit.

Edgar Allan Poe, Das verwunschene Schloss

„Euren Blicken nach ist es das", stellte Tiberius hinter uns fest. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir stehen geblieben waren. Pan grinste.

„Jepp."

Tiberius zog nur eine Augenbraue hoch.

„Worauf wartet ihr dann noch?"

„Darauf, dass du fragst."

Pan schenkte mir einen aufmunternden Blick, bevor er seine Schritte beschleunigte und als erster zwischen den Fels­wänden hindurch­schlüpfte. Einige Sekunde später kam er zurück.

„Alles sicher. Ihr könnt kommen!"

Ich warf einen Blick zurück auf Gin und Grey, die mich er­wartungsvoll ansahen. Wie es aussah, sollte ich als nächste gehen. Seufzend folgte ich Pan und ging zwi­schen den Felsen hindurch. Der Anblick, der sich mir bot, verschlug mir glatt die Sprache. Vor uns lag ein vielleicht zehn Meter langer Vorsprung, wieder mit diesem wider­lich kranken Gras bewachsen, danach führte eine Klippe scheinbar hunderte Meter hinab. Und dann, etwas weiter hinten, hob sich ein riesiges Schloss schwarz von dem apfelmusfarbenen Himmel ab. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich die prunkvollen Verzierungen sehen, den rei­chen Stuck, der die Türme schmückte. Ein riesiges Fes­tungstor bildete den Eingang, nach beiden Seiten gingen breite Gänge ab, die durch große Rundbögen zu betreten waren, die eine unheimliche Kerkeratmosphäre verur­sachten. Über dem großen Haupttor hielten zwei riesige Gargoyles Wacht, bei denen ich mir gar nicht so sicher war, ob sie wirklich nur zur Verzierung gedacht waren. Ich bekam eine Gänsehaut, obwohl es gar nicht kalt war, allein wegen der gruseligen Ausstrahlung des Schlosses. Pan neben mir verschränkte die Arme vor der Brust. Ihn schien die Anlage nicht halb so sehr zu beeindrucken wie mich.

„Tja, ich hätte mehr erwartet. So verschwendungssüchtig, wie er angeblich sein soll..."

Ungläubig starrte ich ihn an. Er zuckte nur grinsend die Schultern.

„Du glaubst gar nicht, was es hier alles für Schlösser gibt. Dagegen ist das da nur eine Ansamm­lung von Steinchen."

„Da hat er recht", stimmte Tiberius, der gerade ebenfalls durch die Lücke zwischen den Felsen kam, Pan zu. We­nigstens sahen Gin und Grey genauso überwältigt aus wie ich. Pan grinste immer noch und ging weiter auf den Abgrund der Klippe zu.

„Na dann, auf in die Schlacht. Wir wol­len Soryas schließlich nicht warten lassen...-"

Seine Worte gingen in ein krampfhaftes Husten über, er krümmte sich zusammen.

„Pan!"

Mit schnellen Schritten ging ich zu ihm und packte ihn an den Schultern. Im selben Moment stieg mir ein bei­ßender Geruch in die Nase, so scharf, dass ich am liebs­ten die Luft angehalten hätte. Eisen, schoss es mir durch den Kopf. Verdammt, verdammt, verdammt! Pan hielt meinen Arm fest, sein Gesicht war bleich wie ein Laken, während das Husten immer schlimmer wurde. Er ging in die Knie und krümmte sich zusammen, sein ganzer Kör­per wurde von dem Husten geschüttelt, das beinahe ei­nem Röcheln glich. Ich hielt ihn weiter fest, doch Pan schien es gar nicht zu bemerken. Keuchend versuchte er, Luft zu holen, doch es wollte nicht funktionieren, weil ihn sofort ein weiterer Hustenanfall schüttelte.

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt