Der schwarze Fluss II

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Mantel im schwarzen Wind. Leise flüstert das dürre Rohr
In der Stille des Moors; am grauen Himmel
Ein Zug von wilden Vögeln folgt;
Quere über finsteren Wassern.

Georg Trakl, Am Moor (Fassung II)

Trotzdem folgte er Pan, genauso wie wir anderen drei es taten. Nach nicht einmal hundert Metern blieb Pan plötz­lich stehen. Ich beschleunigte meine Schritte, um sehen zu können, was los war - und erstarrte. Vor uns lag ein gut zwanzig Meter breiter Fluss, weißer Nebel waberte über seinem tiefschwarzen Wasser, das Rauschen des schnell fließenden Wassers war das einzige Geräusch weit und breit. Direkt vor uns machte er eine Biegung, sodass er von uns weg nach Nordosten führte - genau die Richtung, die wir eingeschlagen hatten.

„So, da wären wir. Wir müssen nur dem Fluss folgen, dann kommen wir auch bei unserem Ziel an. Alles ganz einfach", erklärte Pan. Tatsächlich führte direkt neben dem Fluss ein Weg entlang, der durch den dichten Nebel allerdings nicht sonderlich gut zu erkennen war. Die Bäume, die direkt am Ufer des Flusses standen, waren viel kleiner als die übrigen Bäume und blätterlos, ihre Äste streckten sich wie gierige Finger dem Himmel ent­gegen, als wollten sie nach dem Mond greifen. Ein kalter Schauder überlief meinen Rücken.

„Pan? Bist du sicher, dass das so eine gute Idee ist?", fragte ich leise.

„Keine Angst", sagte er mit einem Grinsen und nahm meine Hand. „Es ist alles in Ordnung. Ich pass auf dich auf."

Ich war mir nicht wirklich sicher, ob er irgendetwas gegen einen Fluss ausrichten konnte - ich meine, es ist ein Fluss. Den kann man schlecht bekämpfen - aber seine Hand, die meine festhielt, gab mir Sicherheit. Mir fiel auf, dass Pan zwischen mir und dem Fluss lief, als wir unseren Weg fortsetzten. Ob ich da einfach nur zu viel reininterpretierte, oder gab es hier wirklich eine Gefahr, vor der er mich beschützen wollte?

„Was ist das für ein Fluss?", flüsterte ich.

„Der schwarze Fluss", erklärte Pan in derselben Laut­stärke. „Angeblich sind in seinem Wasser so viele Wesen gestorben, dass das Wasser sich schwarz gefärbt hat, und bei Vollmond soll es angeblich tiefrot sein." Ein eisiger Schauder überlief mich und ich drückte seine Hand fester, bevor mir sein Grinsen auffiel. „Keine Sorge, das mit dem roten Wasser stimmt nicht. Ich hab's überprüft."

Sein Blick wanderte wieder zu dem wilden Gewässer. Wahrscheinlich reichte es schon, sich ihm nur auf wenige Zentimeter zu nähern, und man würde ins Wasser gezo­gen werden und ertrinken. „Die Wesen darin machen mir um einiges mehr Sorgen."

„Welche Wesen?", fragte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch.

„Alles Mögliche. Kelpies. Sirenen und Undinen. Die Kinder des Leviathans und wahrscheinlich noch einige mehr." Mit wachsamem Blick sah er auf die schwarze Oberfläche, die nicht erahnen ließ, wie tief das Wasser darunter wirklich reichte.

„Den meisten bin ich schon begegnet und bisher ist es auch immer gut ausgegangen, wie du siehst - schließlich leb ich noch und sie nicht." Er grinste kurz. „Aber wirk­lich gefährlich ist der Uisce."

„Was soll das sein?", fragte ich leise. Wer soll das sein?

„Der Uisce", erklärte er. „Angeblich soll er alle Gewäs­ser erschaffen haben, die es gibt, in der Menschenwelt und auch hier. Bisher habe ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen, aber...", Pan beugte sich näher zu mir runter und sprach ganz leise, direkt an meinem Ohr, „angeblich soll er für all die Toten in diesem Fluss ver­antwortlich sein, wenn er seine Opfer von der Böschung zu sich in die Fluten zieht...-"

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt