Rache

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Umsonst mag mit den rauhen Händen
Ins weite Dunkel ohne Unterlass
Aus grossen Eimern und senden


Charles Baudelaire, Das Fass des Hasses

„Es... Es ist...", murmelte Pan, vor lauter Entset­zen waren seine Augen geweitet, während er auf den toten Wald vor uns starrte. „Wie konnten sie das nur tun?"

Ich konnte nichts erwidern, mein Blick war genauso wie seiner auf den Wald gerichtet. Alle Bäume, die hier ge­standen hatten, waren krank, wirklich alle. Die meisten von ihnen hatten morsche Stämme, an einigen schlän­gelten sich seltsam rote Adern hinauf, der Boden, der in den Nebelwelten, wie ich sie bisher kennen gelernt hatte, sonst immer von unzähligen Fahnen und allerlei Pflanzen bedeckt war, war hier nur karger Boden mit kränklichen, gelben Pflanzen, gelegentlich giftig aussehenden Schlingpflanzen, die einen der wenigen noch stehenden Bäume erwürgten. Pan ging langsam auf einen der morschen Bäume zu, zögernd legte er eine Hand an den Stamm - und zuckte zurück, machte einen Schritt nach hinten.

„Was ist los?", fragte ich und schaffte es endlich, mich aus meiner Starre zu lösen.

„Der Baum ist... verseucht", erklärte Pan leise, sein Blick war immer noch unver­wandt auf die Baumreihen gerichtet.

„Wie meinst du das... verseucht?"

Pan schien mich gar nicht zu hören.

„Verseucht mit Eisen", erklärte Tiberius, der unbemerkt hinter mich getreten war, sein Blick war ebenfalls auf Pan gerichtet. „Die Verdammten haben das getan, um Elfen fern zu halten."

Ungläubig sah ich ihn an.

„Aber... Aber ich dachte, sie wären auch Feenwesen."

Ich dachte, alle Feenwesen lieben den Wald!

Tiberius nickte langsam, sein Blick war düster.

„Wie es aussieht, war ihnen ihr Schutz wichtiger."

„Dann lassen wir uns nicht aufhalten", sagte Pan unver­mittelt und fuhr zu uns herum.

„Pan...-"

„Lasst uns gehen."

Ohne auf eine Antwort zu warten, marschierte er los, di­rekt zwischen den halbtoten Bäumen hindurch. Besorgt sah ich ihm nach. Das konnte doch nicht gut ausgehen! Mit schnellen Schritten folgte ich ihm, doch er ignorierte mich einfach.

„Pan, komm schon."

Er reagierte gar nicht, sah mich nicht mal an. Hilfesuchend sah ich mich zu den anderen um, doch die sahen genauso ratlos aus wie ich. Ergeben ließ ich mich etwas nach hinten fallen, sodass ich neben Tiberius lief. Mittlerweile konnte auch ich die Energie in der Luft spüren, es war mehr ein Gefühl des Unbehagens, aber eindeutig da. Erneut beobachtete ich Pan. Er hatte absolut dicht gemacht, den Blick starr nach vorne zu Boden gerichtet, die Hände tief in den Taschen seiner Weste vergraben. Fehlte nur noch, dass er sich die Kapuze über den Kopf zog, um zu zeigen, dass er nicht mit uns reden wollte.

„Ich habe ihm ja gesagt, dass er drüben bleiben soll", sagte Tiberius neben mir. Das hörte sich ziemlich an wie Ich hab's dir ja gesagt.

„Du wusstest doch, dass er das niemals machen würde", meinte ich, wandte den Blick aber nicht von Pan ab.

„Natürlich. Auch wenn es besser für ihn gewesen wäre."

„Ist hier wirklich alles...?"

„Mit Eisen verseucht? Ja", erklärte der Magier. „Spürst du es?"

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt