Das Winterreich

2.3K 176 21
                                    


Gespenstisch durch die Winternacht
der große dunkle Vogel glitt,
und unten huschte durch den Schnee
sein schwarzer Schatten lautlos mit.

Gustav Falke, Winter

Keine fünf Minuten später waren wir wieder auf dem Uferweg, das schwarze Wasser des Flusses war unver­ändert dunkel, obwohl ich zwischen den Bäumen erken­nen konnte, wie der Himmel sich langsam aufhellte. Der Tag näherte sich. Dieses Mal bildeten Pan und ich das Schlusslicht, während Tiberius uns führte. Immer wieder sah ich Pan prüfend von der Seite her an, da ich Angst hatte, dass es ihm plötzlich doch schlechter gehen könnte. Die Wunden, die seinen Oberkörper bedeckten, sahen nicht viel besser aus als noch vor einigen Stunden, und mit jeder Minute kam er mir erschöpfter vor.

„Alles in Ordnung?"

Pan sah mich an, als würde er aus einer anderen Welt auftauchen und müsste er sich erst erinnern, was ich gerade gesagt hatte.

„Ja, alles...", begann er, als er plötzlich schwankte. Er blieb stehen und schloss die Augen. Kurzerhand packte ich ihn an seiner Kapuzenweste über der Brust.

„Pan", sagte ich eindringlich, ließ ihn aber nicht los, da ich befürchtete, er könne jeden Moment umkippen. Tiberius, Gin und Grey sahen zu uns zurück, Tiberius machte bereits Anstalten, zu uns zu kommen.

„Schon gut, alles in Ordnung!"

Pan grins­te, was allerdings ziemlich halbherzig aussah. Normaler­weise konnte er das besser, selbst wenn er nur so tat. Tiberius sah ihn misstrauisch an, nickte aber und führte die anderen weiter. Ich strich die Weste über seiner Brust glatt, machte aber keine Anstalten, weiterzu­gehen, son­dern sah ihn nur fragend an.

„Na gut, vielleicht war es doch ein winziges bisschen zu viel", gab er nach einiger Zeit stummen Anstarrens zu. Ich betrachtete sein immer noch viel zu bleiches Gesicht.

„Bist du sicher, dass du so weitergehen kannst?"

„Ja, ja, das geht schon." Er zog eine Grimasse. „Aber vielleicht sollte ich mich für heute aus Kämpfen raus­halten."

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Für heute?"

Pan lächelte und küsste mich auf den Scheitel.

„Ich bin immer noch Naturgeist, Süße." Er nahm meine Hand und wir folgten den anderen, bei der Berührung schien meine Haut zu kribbeln. „Und daran kann weder Uisce noch sonst irgendjemand etwas ändern."

„Aha."

Ich nickte langsam. Das war zwar nicht das, worauf ich hinaus wollte, aber auch gut. Bereits nach weni­gen Me­tern wurde er wieder langsamer, besorgt sah ich ihn an.

„Geh ruhig schon vor", sagte er. „Ich komm gleich... äh, nach. Genau."

Verdammt. So konnte das unmöglich weiter gehen.

„Pan, so geht das nicht." Ich versuchte, seinen Blick festzuhalten. „Du quälst dich doch, das sehe ich - und noch dazu vollkommen umsonst."

Pan grinste halb.

„Quatsch, das bildest du dir ein", meinte er. „Das ist nur die Heilung. Siehst du?"

Er zeigte mir seinen Arm. Ungläubig starrte ich die bei­nahe unversehrte Haut an, von den tiefen Wunden waren nur noch einige zarte Linien zu erkennen.

„Aber warum...?" warum geht es dir dann so schlecht?, hatte ich fragen wollen.

„Ich hab dir doch erzählt, dass Heilen unglaublich viel Kraft kostet, weißt du noch?"

Nebelsucher - Kinder des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt