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Als wir, Tarik hat den Arm um mich gelegt, lachend den Gang entlang gehen, begegnen wir Joanna, die uns merkwürdig ansieht. „Hallo ihr beiden. Wie war euer Picknick?" fragt sie dennoch freundlich. „Ganz gut! Wir haben getanzt!" teile ich ihr sofort fröhlich mit. „Klingt ja spaßig!" sagt sie trocken und geht weiter. „Was ist denn mit ihr los?" frage ich Tarik. „Keine Ahnung... Sie scheint mich nicht sonderlich zu mögen!" antwortet er nur knapp und zieht mich weiter den Gang entlang. In meinem Zimmer angekommen gibt Tarik mir einen kurzen Kuss und flüstert mir ein: „Wenn du heute Abend auf das Dach kommst, gibt es mehr!" Dann geht er. Lächelnd gehe ich ins Badezimmer und schaue mich in dem immer noch auf dem Waschbeckenrand liegenden Spiegel an. Meine Frisur ist komplett zerstört und die Blumen sind mittlerweile welk. Meine dezent aufgetragene Schminke ist etwas verrutscht und im Ganzen sehe ich echt beschissen aus. Seufzend löse ich die letzten Blumen aus meinem Haar und kämme mir meine Haare wieder glatt. Dann schminke ich mich ab und ziehe mir mein Kleid über den Kopf. Ich flechte mir schnell einen Zopf und ziehe mein Nachthemd an. Schließlich setze ich mich auf mein Bett und lasse mir die Geschehnisse noch einmal durch den Kopf gehen. Tarik ist so süß! Als ich ihn kennen gelernt habe hat er mich ja schon irgendwie fasziniert, aber dass er doch so romantisch sein kann, hätte ich damals noch nicht gedacht! Plötzlich klopft es an meinem Fenster und ich muss fest stelle, dass es schon dunkel geworden ist. Schnell springe ich vom Bett und laufe zum Fenster, welches ich hastig öffne. Tarik greift meine Hüfte und hebt mich hinaus in die Dunkelheit. Zur Begrüßung gibt er mir einen langen Kuss, dann nimmt er mich an die Hand und zieht mich an unseren gewohnten Sitzplatz. Wir setzen uns und lassen die Beine baumeln. Seine Hand ist mit meiner verschränkt und wir schauen schweigend in den Mond. „Glaubst du eigentlich an Schicksal?" unterbricht Tarik die Stille. Ich zucke mit den Schultern. „Ich ja. Und ich glaube, es war Schicksal, dass du ausgerechnet an dem Abend hierher gebracht worden bist, als auch ich hierher zurück kam. Ich saß genau hier. Wie wir jetzt und habe zu dir runter gesehen. Irgendwie wusste ich, dass du etwas Besonderes bist. Also habe ich nach gesehen, in welches Zimmer sie dich gebracht haben. Und weißt du was? Sie haben mich genau in dasselbe Zimmer gebracht, in dem ich auch damals war. Deshalb hatte ich auch den Schlüssel für dein Fenster." Ich bin für einen Moment sprachlos, dann spreche ich das aus, was mir die gesamte Zeit durch den Kopf geflogen ist. „Du warst hier auch schon einmal Patient?" Er nickt. „Was hattest du denn?" „Depressionen." Das verwundert mich. „Deshalb wird man gleich eingewiesen?" Er nickt. „Ich wollte mich umbringen, Aimee! Mehrmals." „Aber warum?" Er seufzt. „Ich habe meine Mutter verloren, als ich zehn war. Meinen Vater zwei Jahre später. Ich lebte bei meiner Tante und meinem Onkel. Mein Onkel missbrauchte mich täglich. Mich und meinen Bruder. Mein Bruder war drei Jahre jünger als ich. Er war schwach und irgendwann hat er es nicht mehr ausgehalten. Er hat sich umgebracht. Ich habe es vor ihm schon mehrmals versucht, aber jedes Mal bin ich gescheitert. Er hat es geschafft und ich habe ihn gefunden. Weil ich seinen Körper an gehoben hatte, war ich voller Blut. Ohne ihn wollte ich nicht mehr weiter leben. Also nahm ich das Messer, mit dem er sich zuvor die Kehle durchgeschnitten hatte und in diesem Moment kam mein Onkel rein. Er sah mich, blutverschmiert, mit dem Messer und davor meinen toten Bruder. Er dachte ich hätte ihn umgebracht. Er bekam Angst. Also ließ er mich einweisen und so bin ich hier gelandet." Ich halte einen Moment die Luft an und versuche all diese Informationen zu verarbeiten. Schließlich frage ich nur: „Wie alt war dein Bruder, als er starb?" „Zehn" antwortet er. „Also warst du dreizehn!" murmel ich zu mir selbst. Er nickt. „Das Ganze ist jetzt also schon vier Jahre her?" Er schüttelt den Kopf. „Nein. Heute sind es fünf Jahre." Ich schaue ihn traurig an und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Nach einer kurzen Pause frage ich ihn: „Was weiß ich eigentlich noch nicht über dich?" Er lächelt leicht. „Vieles! Zum Beispiel, dass ich in drei Tagen achtzehn werde!" 

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