9. Kapitel

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Lucy POV

Ein Tag nach dem anderen vergeht, in dem ich nichts von Carlo höre. Am Anfang dachte ich noch, dass er einfach Zeit braucht, um alles zu verarbeiten, bis er endlich mit mir darüber reden kann. Aber jetzt habe ich die Hoffnung irgendwie aufgegeben, dass er sich noch einmal bei mir melden würde. Trotzdem existiert noch ein kleiner Teil in mir, der die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hat.

Heute ist es schon zehn Tage her, seit dem Abschlussessen und dem Vorfall mit Nick. Jeder Tag ist mir wie eine Ewigkeit vorgekommen. Und ich weiss jetzt, dass es viel die schlimmere Strafe ist, wenn man einfach ignoriert wird, als wenn man beschimpft wird. Denn selbst wenn Carlo wütend wäre, was auch vollkommen logisch wäre, würde es zeigen, dass er noch Gefühle für mich hat und ich ihm in irgendeiner Weise wichtig bin. Aber jetzt sieht es so aus, als wäre ich ihm egal. Ich weiss auch nicht ob wir noch zusammen sind oder ob wir uns getrennt haben. Ich weiss gar nichts, ausser dass ich ordentlich Mist gebaut habe und meinen Freund zurück haben will.

Eigentlich will ich ihm ja schreiben, aber ich fürchte mich viel zu sehr vor seiner Reaktion. Würde er ausrasten und mich beschimpfen? Würde er einfach gleichgültig klingen? Oder würde er mir ganz ruhig, vielleicht auch traurig sagen, dass es zwischen uns aus ist?

Wie auch schon die Tage zuvor liege ich auf einem Liegestuhl im Garten, höre Musik und warte. So habe ich mir meinen Sommer nicht vorgestellt. Ich dachte, dass ich Spass haben werde und es der Sommer meines Lebens werden würde. Aber jetzt sitze ich bloss hier und tue gar nichts. Nicht einmal mit meinen Freundinnen habe ich etwas unternommen, da ich einfach nicht genug Energie aufbringen kann, so zu tun, als ob alles okay sei. Und ich will auch nicht die olle Spassbremse sein.

Am Anfang hat sich Fabiana echt lieb um mich gekümmert und sich jeden Tag bei mir gemeldet, aber ich war so dumm und habe jedes Mal abgeblockt. Und mittlerweile ist sie zu sehr damit beschäftigt, mit Steve nach einer Wohnung zu suchen, da sie noch diesen Sommer zusammen ziehen wollen. Jasmin ist seit ein paar Tagen im Urlaub, deshalb hat sie auch keine Zeit mehr und auch von Julie habe ich seit drei Tagen nichts mehr gehört. Wahrscheinlich hat sie auch genug von mir und meiner dauerhaft schlechten Laune. Der einzige, der sich bei mir gemeldet hat, ist Nick. Er hat sich noch ein paar Mal für den Vorfall entschuldigt, obwohl es überhaupt nicht seine Schuld war. Das habe ich ihm auch einmal geschrieben, danach habe ich seine Nachrichten ignoriert.

Wegen diesem ganzen Chaos hatte ich auch gar keine Zeit oder Energie, mir über meine Zukunft Gedanken zu machen. Was will ich machen, wenn dieser Sommer vorbei ist? Meine Eltern haben eine Deadline aufgestellt und mir gesagt, dass ich bis Anfang August wissen muss, was ich machen will, sonst bin ich mein Zuhause los. Das verstehe ich auch, denn ich wollte nicht, dass mein Kind einfach auf meine Kosten zuhause wohnt und nichts macht. Aber dadurch lastet einfach noch mehr Druck auf mir, dem ich einfach nicht standhalten kann.

Während ich so da liege, wird mir erst richtig bewusst, wie abhängig ich von diesem Typen war. Alles hat sich nur immer um ihn gedreht. Ich habe mich selbst aufgegeben für unsere Beziehung. Und jetzt, wo nichts mehr ist, weiss ich nicht mehr, wer ich bin und was ich will. Ich habe nie Pläne für mich alleine gemacht. Es gab immer nur „uns". Aber es ist schon lächerlich, dass ich mein ganzes Leben für einen Typen aufgegeben habe. Klar war es schlussendlich mein Fehler, aber es hat ja auch einen Grund weshalb das alles passiert ist und wahrscheinlich sollte unsere Beziehung einfach nicht sein und ich bin ohne ich besser dran.

Es scheint so, als hätte es plötzlich „klick" gemacht und meine ganze Motivation kehrt plötzlich zurück. Ich werde mir jetzt ein eigenes Leben aufbauen. Ein Leben von dem ich immer geträumt habe. Und irgendwann werde ich schon ein Typen treffen, der besser in mein Leben passt als Carlo.

Ich stehe auf und gehe wieder rein, wo ich mich in meinem Zimmer mit meinem Laptop aufs Bett setze und alle Optionen durchgehe, die ich jetzt habe. Dabei landen meine Gedanken immer wieder bei einem Sprachaufenthalt in England. Das war schon immer mein Traum und irgendwie ist der im letzten Jahr ein wenig in den Hintergrund geraten. Ich wusste, dass ich das nie tun kann, weil es die Beziehung mit Carlo nur unnötig erschweren würde.

Ich google ein paar Sprachschulen in England und schaue mir die Kurse an. Dabei bleibe ich bei einer Sprachschule in Brighton stecken. Nicht nur die Schule an sich finde ich schön, sondern die Stadt an sich war schon immer eines meiner Reiseziele. Ausserdem gibt es da einen Kurs, der Ende September beginnt und dann kurz vor Weihnachten zu Ende ist. Das wäre doch perfekt!

Leider ist der Anmeldeschluss schon in einer guten Woche, weshalb ich mich schnell entscheiden muss und es auch noch mit meinen Eltern darüber sprechen muss. Zudem muss ich mich selbst noch ein bisschen an den Gedanken gewöhnen, dass ich vielleicht bald für ein paar Monate alleine im Ausland leben werde. Das kommt doch ein bisschen plötzlich, weil ich mich eigentlich von diesem Gedanken verabschiedet hatte.

Als nächstes schreibe ich Fabiana eine lange Nachricht und entschuldige mich bei ihr, dass ich in den letzten paar Tagen ziemlich grob zu ihr war, obwohl sie mir nur helfen wollte. Danach entschuldige ich mich auch noch bei Julie und Jasmin. Zuletzt bleibt noch Nick übrig. Ich zögere ziemlich lange, bis ich mich endlich dazu entschliesse, auch ihm zu schreiben.

Hey Nick, ich möchte dir nur noch einmal sagen, dass es nicht deine Schuld ist. Es ist meine Schuld. Und ja, es mag zwar aus sein zwischen Carlo und mir, aber ich glaube, dass es vielleicht besser so ist. Ich hoffe, du kannst deine Ferien geniessen und vielleicht sieht man sich ja wieder einmal. Lucy

Da kommen wir nun zu einer weiteren Sorge, die mich schon etwas länger plagt. Ich habe Angst, dass ich den Kontakt zu meinen Freunden, die ich jeden Tag in der Schule gesehen habe, verliere. Das will ich auf jeden Fall verhindern, deshalb nehme ich mir vor, mich regelmässig bei ihnen zu melden. Und mit Nick hatte ich vorher gar nicht viel zu tun, deshalb ist es vielleicht ganz interessant, ihn besser kennenzulernen.

Die nächste Sache, die ich in Angriff nehme, um mein Leben wieder in Ordnung zu bringen ist Sport und Fitness. Schnell ziehe ich mich um und schnappe mir meine Laufschuhe. Ich verabschiede mich von meiner Mutter, die gerade in der Küche ist und gehe dann nach draussen.

Beim Laufen kann ich immer sehr gut abschalten. Es ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch für die Seele. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch eine Tätigkeit finden muss, welche die Seele reinigt. Bei manchen ist es Sport, bei anderen die Musik, andere Schreiben und machen Menschen zeichnen. Bei mir ist es definitiv der Sport, da ich nicht sehr musikalisch bin und weder singen, noch ein Instrument spielen kann. Und ich schreibe zwar ganz gute Schulaufsätze, aber das war's dann auch schon. Und zeichnen kommt bei mir gar nicht in Frage, da für mich schon Strichmännchen eine Herausforderung sind.

Obwohl es heute sehr warm ist und die Sonne scheint, was das Joggen nicht unbedingt erleichtert, geniesse ich es heute. Es ist bestimmt schon über zwei Wochen her, seit ich das letzte Mal aktiv Sport betrieben habe.

Eine gute Dreiviertelstunde später komme ich völlig verschwitzt, aber glücklich nach Hause. Ich ziehe meine Schuhe aus und will direkt unter die Dusche gehen, werde aber von meiner Mutter aufgehalten.

„Du hast Post gekriegt", meint sie und streckt mir einen grossen, weissen Umschlag hin.

Neugierig greife ich danach und frage mich, von wem er wohl sein könnte, da ich normalerweise nie Post kriege, abgesehen von irgendwelchen Bankauszügen und Rechnungen.

Was wär das Leben ohne dich? (CRO FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt