31. Kapitel

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Nach gefühlten Minuten keuchte ich auf und alle Augen huschten vom Arzt auf meine Gestalt, als dieser pfeifend aus dem Zimmer verschwand und nicht erkannte, dass er hatte eine Bombe fallen lassen.

Intuitiv fuhr ich mit den Händen über meinen flachen Bauch und tastete die Stelle ab, als könnte mir die Hautstelle verraten, ob der Arzt mich nur am Arm genommen oder wirklich die Wahrheit gesagt hatte.

„Ich-", begann ich. Mein Atem stockte und Harry verwandelte sich in eine Statue. Seine Angst, ein Vater zu werden, hatte ihn schlussendlich eingeholt und schlug ihm mit solch einer Wucht ins Gesicht, dass er mit weit aufgerissenen Augen auf meinen Bauch starrte.

„Wie?", fing ich erneut an und kämpfte gegen die Tränen an. „Ich nehme doch die Pille?" In diesem Moment kümmerte es mich nicht mehr, dass mein Vater direkt neben mir stand und alles über seine kleine Tochter erfuhr, die in seinen Augen mehr als nur naiv war. Und dann durchzuckte mich ein Stromschlag. Während Harry und ich getrennt waren, hatte ich die Pille abgesetzt und nicht wieder eingenommen.

„Kyla", flüsterte Eleanor, als hätte sie meine Gedanken erraten und führte die Hand zum Mund.

Harry, der von dem Schreck langsam erwachte, legte mir vorsichtig die Hand auf den Oberarm. „Es tut mir leid, Kyla." Tränen füllten sich in seinen Augen und ich fragte mich, was in seinem Kopf genau vorging. Er hatte mir damals ausdrücklich klargemacht, dass er noch zu jung für ein Kind war, aber ich konnte nicht anders, als zu überlegen, ob ein Teil von ihm ein Platz für ein Kind im Leben hatte.

Niall, der wieder im Zimmer stand, lehnte gegen die Wand und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Sein Brustkorb hob und senkte sich, als wäre er kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

Meine Mutter hatte die Arme um meinen Vater gelegt, während dieser mich mit harten Augen ansah und den Kopf schüttelte.

Louis zog Eleanor an sich. Liam legte die Arme um Sophia und Zayn strich über Perries blondes Haar.

Ich wollte schon immer Kinder haben, aber ich hätte mir nicht im Traum vorstellen können, dass dieser Wunsch schon mit meinen zwanzig Jahren in Erfüllung gehen würde. Und je weiter ich in die Gesichter meiner Familie und Freunde blickte, desto stärker wurde mir bewusst, dass ich in einem tiefen Loch steckte.

„Werde das Ding so schnell wie möglich los", sagte mein Vater plötzlich und Sophia schnappte laut nach Luft.

„Was redest du da, Nick?" Meine Mutter trat einen Schritt zurück und starrte den Mann an ihrer Seite erschrocken an.

„Ich dulde keine schwangere Frau in meinem Haus. Wenn sie der Meinung ist, das Kind behalten zu müssen, kann sie sich direkt auf die Wohnungssuche begeben." Mit diesen Worten ging er aus dem Zimmer und ließ alle anderen verwirrt zurück. Auch wenn ich wusste, wie mein Vater tickte, konnte ich die Enttäuschung hinter meinen Augen nicht verbergen.

„Dein Vater weiß nicht, was er da redet. Egal wie du dich entscheidest, ich werde hinter dir stehen." Meine Mutter legte ihre zitternde Hand auf meine Schulter.

„Nein, er hat Recht, Mama", flüsterte ich. „Ich werde es abtreiben."

Harry nickte in Gedanken verloren und legte seine Hand in die Meine.

***

„Bist du mir böse, wenn ich hier auf dich warte?", fragte Harry, der blass wie eine Leiche war und den Rand des Sitzes im Wartezimmer fest umklammerte. „Mir geht es nicht sonderlich gut."

Ich nickte knapp und ging im Eiltempo in den Behandlungsraum, um es so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Der Arzt richtete sich sofort auf, als er mich hereinkommen sah und reichte mir lächelnd die Hand. Danach deutete er auf die Liege und ich legte mich stumm darauf.

„Mal sehen, wie es dem Kleinen geht", sagte er und schob mein T-Shirt hoch, damit er meinen Bauch freibekam. Ich fragte mich, wieso er nachsehen wollte, wenn er doch wusste, dass ich aus einem bestimmten Grund hier war. Ohne darauf etwas anzumerken, ließ ich zu, dass er das kalte Gel auf meinem Bauch verteilte und danach das Gerät leicht über die Stelle strich.

„Aha", flüsterte er und ich biss mir vor Neugier auf die Unterlippe. Nach gefühlten Stunden legte er das Gerät wieder beiseite und reichte mir ein Tuch, damit ich mir das Gel wieder abwischen konnte. Während ich noch damit beschäftigt war, dies zu tun, legte mir der Arzt plötzlich etwas auf den Oberschenkeln.

Als ich einen Blick darauf warf, spürte ich, wie die Tränen aus meinen Augen kullerten.

„Das ist ihr Kind, Mrs. Smith", flüsterte der Arzt und ohne auf eine Antwort zu warten, stand er auf und trat auf die Tür zu. „Ich hole die Abtreibungsunterlagen." Danach verschwand er und ließ mich alleine zurück.

Meine Hände zitterten, während ich das erste Ultraschallbild in die Hände nahm und den kleinen runden Punkt anstarrte. Der Punkt war so klein und erschien so nebensächlich, doch war mehr als nur aussagekräftig.

„Können wir loslegen?" Der Arzt trat wieder in den Raum und ich verschwendete keine weitere Sekunde und nahm ihm die Papiere entgegen. 

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