SITZUNG D R E I

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SITZUNG D R E I

„Also Alex...wie geht es dir heute?"

„Ich schätze ganz gut. Den Umständen entsprechend."

„Bedrückt dich etwas, Alex?",fragt ihn Dr. Fritscher und streicht sich dabei eine ihrer brauen Haarsträhnen hinter ihr Ohr. Ihre leicht welligen Haare hat sie zu einen lockeren Dutt gebunden. Die grünen Augen sehen durch die Brille größer aus als sie eigentlich sind. Sie trägt eine weiße Blus und darüber eine grüne Strickjacke. Um ihren Hals hängt eine Kette mit dem Anhänger »B«. Das »B« steht für ihren acht jährigen Sohn Ben. Ihr dürres Handgelenk ist geziert von einem kleinem Silberarmband.

„Was denken Sie, soll mich bedrücken?"

„Lass es mich anders ausdrücken. Wie kommst du mit dem Tod deines Bruders zurecht? "

Alex ist ein kleiner als Nick und Jackson. Seine braunen Haare sind ein wenig gelockt, nicht wie bei Nick und Jackson. Was jedoch alle vier haben, sind dieselben grünen Augen. Er hat beide Ellenbogen auf die Lehnen abgelegt und sieht Dr. Fritscher an. Seine Hand ballt sich zu einer Faust.

„Paul ist tot, ich kann ihn nicht mehr zurück holen." In seine Aussage liegt so viel Verletzlichkeit.

„Wie war dein Verhältnis zu ihm gewesen?"

„Er war mein Bruder. Wir haben uns gut verstanden. Er war die Tage vor seinem Tod kaum bei uns gewesen. Ich wusste, dass er eine Freundin hat. Er hat sie geliebt. Und sie hat seinen Tod durch die Zeitung erfahren müssen. Ich hätte es ihr gesagt, aber ich konnte nicht. Zum einem gab es da diese Sache mit dem Zeugenschutzprogram und zum anderem konnte ich es nicht aussprechen, dass er tot ist! Ich hätte es nicht übers Herz gebracht. Die beiden waren glücklich. Verdammt glücklich. Paul hatte Angst Mama und Papa würden die Beziehung nicht dulden. Außer mir, hat er keinem davon erzählt. Kann sein, dass Michelle es mitbekommen hat. Viola tat Paul gut. Sie hat ihn wieder auf die richtige Spur verholfen. Seid die beiden sich kannten, hatte er aufgehört zu trinken. Und er hat eine Ausbildung angefangen. Kurz vor seinem Tod hat er sich bei uns gar nicht mehr gemeldet. Unser Kontakt ist im Grunde ganz abgebrochen. Dann war da unser Geburtstag. Und das war das letzte Mal, wo ich ihn wirklich wahr nahm."

Alex hat einen trockenen Ton angenommen. Es wirkt fast so, als sei ihm der Tod seines Bruder egal. Doch Dr. Fritscher vermutet etwas anderes dahinter. Sie denkt, dass er versucht seine Trauer in eine Art Leere umzuwandeln. 

„Verletz dich diese Erinnerung an ihn?"

„Nein!"

„Ist dir dein Bruder egal?"

„Nein!"

„Und wieso versuchst du dann die Erinnerungen an ihn zu vergessen?"

„Wie kommen Sie darauf, dass ich versuche die Erinnerungen an ihn zu vergessen?"

„Ist es denn nicht so?"

„ Nein, wieso sollte ich das tun?"

„Vielleicht damit du nicht mehr so viel trauerst? Vielleicht damit du dieses schreckliche Gefühl des Verlustes los wirst? Vielleicht machst du es auch nicht absichtlich sondern im Unterbewusstsein..."

»Ich werde immer für dich da sein, kleiner Bruder. Ich hoffe, das weißt du.«

»Ja, das weiß ich. Danke, Paul.«

Der Junge zuckt zusammen, als er sich an die Sätze seines Bruders erinnert. Nun bist du tot! Du bist fort! Du hast dein Versprechen nicht gehalten!

Alex läuft eine kleine Träne die Wange hinunter. Ihm wird bewusst, dass er die ganze Zeit versucht hat ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben in dem es seinen großen Bruder nicht mehr gibt. Die ganze Zeit hat er versucht nicht zurück zu blicken. Sein altes Leben hinter sich zu lassen und ein neues anzufangen. Aber die Vergangenheit bleibt bestehen. Sie verschwindet nicht einfach so. Paul wird immer ein Teil seines Lebens sein. Doch nur er entscheidet wie groß dieser Teil ist.

„Alex...wie geht es dir?"

„Paul ist tot, wie soll es mir da gehen?", fährt er sie an.

„Nein, weg von dem Gedanken an Paul. Wie geht es dir? Wie kommst du mit deinem neuem Leben zurecht?"

„Gut!"

„Sag mir was passiert ist, als diese Leute die entführt haben..."

Sein Blick geht ins Leere. Es sieht so aus als erinnert er sich an etwas. Er zuckt zusammen und kneift die Augen zusammen. Wieder kullern ein paar Tränen aus seinen Augen.

„Ich habe versagt!"

„Wieso hast du versagt?"

Doch Alex hört Dr. Fritscher gar nicht mehr zu. Seine Gedanken schweifen völlig ab. Und sie lässt ihm den Raum. Sie möchte, dass er sich damit auseinander setzt. Nur so kann er beginnen zu realisieren und zu verarbeiten. Sie merkt, dass er sich damit nicht wirklich auseinander gesetzt hat. Sie merkt nur, dass er sich die Schuld für etwas gibt.

»Eure Familie hätte sich vieles einfacher machen können!«

»Euer Vater hätte es euch viel einfach machen können!«

Er beginnt zu zittern. Auch wenn alle wissen, dass ihr Vater den Stein erst ins Rollen gebracht hat, so spricht dennoch keiner es aus. Keiner will es wahr haben. Was bringt es ihm jetzt noch Vorwürfe zu machen für etwas was neun Jahre her ist!?

Immer mehr sackt Alex in sich zusammen. Er hat sich diese Sitzungen einfacher vorgestellt. Doch er hat nicht damit gerechnet, die Wunden wieder aufreißen zu müssen.

Vierlinge Survival (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt