SITZUNG S E C H S
„Wie geht es dir, Nick?" Dr. Fritscher sitzt wie immer in ihrem Sessel. Das eine Bein über dem anderem überschlagen. Ihre Haare hat sie zu einem lockerem Dutt zusammen gebunden. Ihre Nägel sind sauber in einem weinrot lackiert. Was perfekt zu ihrer kaffebraunen langen Strickjacke und der weißen Bluse passt. Dazu trägt sie eine schwarze Jeans.
„Weiß nicht...",er zuckt kraftlos mit den Schultern. Er hat sich in dem bequemen Sessel zurück gesetzt und seine Ellenbogen auf den Lehnen abgelegt. Sein Blick schweift ins Leere.
„Ich kann mir gut vorstellen, dass das was du gestern erfahren hast ein großer Schock für dich ist. Hat Michelle schon einen Schwangerschaftstest gemacht?"
Er schüttelt den Kopf. „Nein, hat sie nicht. Auch wenn Papa sie gestern am liebsten dazu gezwungen hätte. Doch sie hat es noch nicht gemacht. Ich kann sie verstehen. Sie hat Angst. Das haben wir alle. Ich will mir nicht ausmalen, wie krass sie sich verändern würde, wenn der Schwangerschaftstest positiv ausfällt. Sie wird daran zugrunde gehen!" Er schaut auf und starrt ihr in die Augen. Wobei sich Dr. Fritscher erschreckt. In seinen Augen liegt so viel Schmerz aber auch Wut. Er sieht fertig aus. Müde, erschöpft.
„Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass sie nicht schwanger ist. Und wenn sie es doch sein sollte, dann könnte sie immer noch abtrei-" „Will sie nicht! Sie kann keinem Menschen das Leben nehmen! Ich weiß, dass sich das in ihrer Lage doof anhört. Sie denkt dabei nicht an sich. Würden sie es nicht bereuen, wenn Sie Ben abgetrieben hätten? Auch wenn er bei einer Vergewaltigung entstanden wäre."
„Nein! Ben ist mir wirklich sehr wichtig. Aber diese Beziehung zwischen Mutter und Kind entwickelt sich mit der Zeit. Anfangs, in der Zeit in der nicht mal den Ansatz einer Schwangerschaft sieht...da habe ich noch keine Verbindung zu Ben gespürt. Das kam erst mit der Zeit. Ich weiß nicht, wie ich in Michelles Lage handeln würde. Aber als Ausstehende ist ihr nur zu raten es abzutreiben. Weil wie du es schon gesagt hast, sie daran zugrunde gehen würde. Aber es ist wirklich schwierig." Sie schweigen beide einen Moment. „Was würdest du denn machen?"
„Ich kann mich da nicht hineinversetzten." Er schüttelt den Kopf. „Nein, wirklich nicht. Ich will nicht mit ihr tauschen. Ich kann mir nicht im geringsten Vorstellen, was sie durchgemacht hat. Aber ich habe Angst. Sie hat gesagt, dass da noch andere Sachen vorgefallen sind. Sie redet mit mir nicht darüber! Ich will sie ja auch nicht ausquetschen. Aber sonst redet sie nicht!"
„Was denkst du denn, ist sonst noch passiert?"
„Ich-ich weiß es nicht. Ich weiß nur noch ihren völlig aufgelösten Blick, als sie mich in die Hütte gebracht haben! Und das sie überall Wunden hatte." Vor seinen Augen spielte sich die Scene ab, wie die zwei Männer ihn in die Hütte geschliffen hatten. Großartig gewehrt hat er sich nicht. Es hätte so oder so keinen Unterschied gemacht. Er weiß nicht, wie die Polizei von der Hütte Wind bekommen hatte. Aber so schnell wie er da gewesen war, war er auch wieder weg. Er kann sich nicht mehr an alles erinnern. Doch an das laute Geräusch, dass die Pistolen abgegeben habe, kann er sich noch genau erinnern. Er weiß noch, wie er sie in den Arm genommen hat und sie liegen blieben, bis auch der letzte Schuss gefallen war. Die Polizei, hatte nur noch Kyle und Jack festnehmen können. Alle anderen waren tot. Alle anderen sind nun nicht mehr am Leben. Kyle und Jack hatten sich freiwillig gestellt. Er weiß noch, dass eine Polizistin kam und den beiden versicherte, dass alles gut werden würde. Und das alles zu Ende wäre. Aber damit lag sie falsch. Denn dieses Ende ist erst der Anfang von allem gewesen. Vor der Tür ist alles voller Blaulichter gewesen. Viele Leute liefen durch die Gegend. Leute von der Polizei. Sanitäter. Leute vom Leichenhaus. Anwohner liefen herum. Und das obwohl die Hütte etwas im Wald liegt. Alles neugierige, sensationsgeile Leute. Leute die Langeweile hatten. Er weiß noch, wie er mit dieser Wärmedecke am Krankenwagen lehnte. Dabei zusah, wie sie Mila auf einer Trage in den Krankwagen schoben. Wie sie die Augen geschlossen hatte und leise vor sich hin geweint hatte. Er weiß noch, wie die Leute ihm Fragen stellten. Was ist passiert? Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt? Haben Sie irgendwo Schmerzen? Wollen Sie sich nicht setzten? Was haben diese Leute gemacht? Keinem Einzigem hatte er eine Antwort gegeben. Zu sehr ist er selbst verwirrt gewesen. Er war regungslos an ein und derselben Stelle stehen geblieben. So lange bis ihn ein Sanitäter aufforderte einen Schritt sich vom Wagen zu entfernen, damit dieser wegfahren könne. Er selbst war mit einem der Polizeiwagen mit gefahren.
„Wie hat dein Vater auf das Gespräch reagiert, Nick?"
„Keine Ahnung...Er hat den ganzen Abend so getan, als wäre nichts passiert. Doch er hat Michelle kein einziges Mal angesehen. Wirklich kein einziges Mal! Er hat geweint. Seine Augen sind rot gewesen. Doch er hat es einfach ignoriert. Wir haben alle mitbekommen, wie er Michelle angeschrien hat, diesen Schwangerschaftstest zu machen. Ich weiß nicht, ob es die anderen noch mitbekommen haben, aber in der Nacht ist er an den Kühlschrank gegangen und hat ein paar gute Schlucke aus der Wodka-Flasche genommen. Es mag sein, dass Sie das jetzt anders interpretieren. Aber ich nehme eher an, dass er damit nicht so gut umgeht."
„Was hast du gemacht, als du deinen Vater mit der Wodka-Flasche in der Hand gesehen hast?"
„Nichts! Ich bin nicht sein Vater! Es ist andersrum. Er sollte sich um uns kümmern. Nicht wir um ihn."
„Ja, Nick, das schon. Aber dein Vater hat deine Mutter durch seine Lügen verloren. Sein Sohn ist gestorben. Seine Tochter ist vergewaltigt worden. Und er denkt, dass es seine Schuld ist. Viellei-"
„Er ist daran schuld!" Nick erschreckt sich selbst vor den Wort, die seinen Mund verlassen haben. Die ganze Zeit hat er die Wahrheit verleugnet. Aber er hat eingesehen, dass er ein Kind gewesen ist. Sein Vater war für den Wagen verantwortlich. Nicht er. Ja, er hätte seinen Vater nicht ablenken dürfen. Aber sein Vater hätte sich nicht ablenken lassen dürfen! Sein Vater ist schuld!
„Wie bitte?", Dr. Fritscher glaubt nicht was sie hört. So hat sie Nick nicht eingeschätzt. Nick ist nicht einer, der die Schuld irgendjemandem gibt. Das sieht ihm nicht ähnlich.
„Mein Vater ist an allem schuld!", wiederholt er kalt. Ohne mit der Wimper zu zucken. Mit einem Ekel in der Stimme. Als würde er sich vor seinem Vater regelrecht ekeln.
„Ich-äh ich verstehe nicht, wie du deinem Vater die ganze Schuld geben kannst..."
„Vielleicht nicht an allem...ja, mein Gott ich habe vielleicht auch einen kleinen Anteil dazu beigetragen. Aber er hat das Sorgerecht für uns. Und was hat er gemacht? Sich mit Drogen zu gedröhnt! Es war nicht meine Aufgabe ihn aus der Scheiße zu ziehen! Ich war sechs! Man kann doch nicht von einem sechs jährigem erwarten, dass er seinen Vater aus der Scheiße zeiht! Und dennoch habe ich alles versucht! Wissen Sie, ich kann einfach nicht mehr! Ich kann und ich will nicht mehr! Ich bin es satt mir Vorwürfe zu machen, für etwas woran ich mich nur noch dumpf erinnern kann! Ich bin es satt immer hundertfünfzig Prozent zugeben. Wann bekomme ich mal etwas zurück? Denken Sie, mein Vater hätte einmal »Danke« zu mir gesagt? Nein! Kein einziges Mal! Warum soll ich ihm weiter helfen? Warum soll ich mir weiter den Arsch aufreißen? Wenn es nicht wertgeschätzt wird?! Ich hab da einfach keinen Bock drauf! Und vielleicht ist das auch der Grund, warum ich ausgeflippt bin. Vielleicht wollte ich sogar ins Gefängnis. Damit er sieht, wo er ohne mich dran ist! Ich bin doch Momentan der Einzige, der versucht unsere Familie zusammen zuhalten! Macht sonst ja keiner. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Und -nichts gegen sie- aber alles was Papa macht, ist uns zu einer Psychologin zu schicken. Die kann euch besser helfen, als ich es je tun könnte. Und jetzt will er uns auch noch zum Kickboxen schicken! Er ist einfach nur zu feige! Er hat die Eier nicht, sich mit uns damit auseinander zusetzten! Weil er genau davor Angst hat, was jetzt eingetroffen ist! Weil er Angst davor hat, dass wir denken, dass er an allem schuld ist."
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Vierlinge Survival (2)
Novela Juvenil!!komplette Geschichte wird überarbeitet. Dies wird nicht der zweite Teil der Vierlinge bleiben!! Michelle Schmitz hat die Hoffnung aufgegeben, dass sie das Vergangene ignorieren kann und einfach neu Starten kann. Sie und ihrer drei Brüder versuche...