SITZUNG V I E R

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SITZUNG V I E R

„Hallo Michelle."

Das zierliche Mädchen steht vor dem Tisch auf dem ein Ordner liegt mit der Aufschrift »Mila Dresch«. Ihr alter Name. Er versetzt ihr einen Stich. Er ist der Beweis dafür, was sie alles aufgeben musste. Was sie alles verloren hat. Der Beweis, für ihr altes Leben!

„Setz dich ruhig...",biete ihr Dr. Fritscher an.

Michelle setzt sich. Ihre braunen kurzen Haare sind kaum gestylt. Unter ihren grünen Augen sieht man dunkle Augenringe. Ihre Augen sind leicht gerötet. Ihren zierlichen Oberkörper hat sie in einem viel zu großen Pullover gesteckt. Für Anfang September ist es ganz schön frisch draußen.

Der Ausschnitt des Pullovers zeigt, dass ihre Schlüsselbeinknochen deutlich zu sehen sind.

„Michelle? Isst du viel", fragt sie die Fritscher.

Sie zuckt nur mit den Schultern. Auf dem Sessel sieht sie aus wie ein Häufchen Elend. Sie sinkt immer mehr in sich zusammen. Ihre Haut wird von einer Gänsehaut überzogen. Sie zittert.

„Wie geht es dir, Michelle?"

Wieder nur ein Schulterzucken von ihr.

„Michelle, damit ich dir helfen kann musst du mit mir reden..."

Wieder ein Schulterzucken ihrer Seite aus.

„Willst du denn, dass ich dir helfe?"

Schulterzucken.

„Ok, wenn du noch nicht mit mir sprechen willst, dann ist das okay. Ich weiß, dass du momentan eine sehr schwere Zeit durch machst. Und ich habe vollstes Verständnis dafür, dass das du mir nicht vertraust. Ich weiß, dir fällt es schwer zu vertrauen. Aber bitte verrate mir, ob du schon mit jemandem über diese Ereignisse gesprochen hast."

Michelle sieht den Boden an. Und schüttelt den Kopf.

Nach dem was passiert ist, hat sie immer wieder versucht mit jemandem zureden. Doch mit ihrer Mutter konnte sie darüber nicht mehr reden. Sie ist eine Verräterin! Michelle hat das Vertrauen zu ihr verloren. Wieso soll sie jemandem vertrauen, der die eigene Familie hintergangen hat.

Jedes Mal, wenn Michelle versucht hat mit Kira zu reden, meinte diese, dass sie erst einmal ihr eigenes Leben auf die Reihe bekommen musste. Sie konnte sich jetzt nicht noch mehr Leid, noch mehr Trauer, noch mehr Belastung ertragen. Und irgendwann hat es Michelle einfach aufgegeben. Sie hat sich aufgegeben!

Ihr Vater versucht alles um einen Neuanfang zu finanzieren. Er hat einen super Jobangebot bekommen und hängt sich voll rein. Nur leider fehlt ihm dadurch die Zeit mit seiner Familie. Deshalb hat er die Psychologin Dr. Fritscher um Hilfe gebeten.

Alex und Jackson sitzen die ganze Zeit vor dem Fernseher. Und Michelle weiß, dass sie mitbekommen, wie dreckig es ihr geht. Aber keiner der Zwei spricht sie an. Sie gehen ihr sogar teilweise aus dem Weg. Der einzige der noch zu ihr hält ist Nick. Und auch er ertrinkt immer mehr in seinen eigenen Sorgen.

Michelles Familie bricht immer mehr auseinander und sie hat das Gefühl, dass das alles wegen ihr passiert. Sie möchte ihre Familie nicht noch mehr kaputt machen. Sie möchte nicht noch mehr Erwartungen an sie stellen, die sie nicht erfüllen können oder werden.

„Michelle, wenn du nicht mit mir reden willst. Ist das okay. Aber wenn du selbst nicht mehr mit deiner Familie redest, wird es Zeit, dass du mit jemandem redest! Dieses Ereignis wird dich  kaputt machen!"

Sie nickt, steht auf und läuft zur Tür. Sie hält es nicht länger aus, so von ihr angeschaut zu werden. Dieses gespielte Mitleid, kann sie sich bei ihr sparen. Sie ist ja nicht dumm. Dieser durchbohrende Blick von Dr. Fritscher lässt einen unwohl fühlen.

„Michelle...bitte. Bleib hier. Es bringt nicht wenn du vor deinen Problemen wegläufst!"

Michelle blickt über ihren Kopf zu Dr. Fritscher. Diese sieht sie flehend an. Der Blick von Michelle versetzt ihr einen Stich. Sie hat schon oft Fälle gehabt, die schwer mit sich kämpfen mussten. Aber Michelle ist anders. Sie will das ihr geholfen wird. Hat aber Angst davor Leuten zu vertrauen. Sie hat eine schützende Mauer um sich gebaut. Die selbst sie nicht mehr überwinden kann. Sie hat zu hoch gebaut! Und mit jedem Tag der vergeht, wird die Mauer höher. Je höher sie wird, desto schwerer wird es für Michelle werden sie zu überwinden.

„Es bringt nichts davor weg zulaufen, denn es holt dich irgendwann ein...",sagt die junge Dame. Sie schaut Michelle flehend an. Sie kann es selbst nicht erklären, aber sie hat es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht der Familie Schmitz zu helfen. Die Familie vor dem Verfall zu bewahren. Sie weiß selbst, dass es keine leichte Aufgabe wird. Aber sie will ihr bestes geben um dieser Familie zu helfen. Dr. Fritscher selbst ist mit ihren dreißig Jahren alleinerziehende Mutter und auch wenn sie nicht schlecht als Psychologin verdient, schaffen sie und Ben es immer gerade so über die Runden. Oftmals wünscht sie sich einen Mann an ihrer Seite. Ihr erster Freund Silvio hatte Krebs und ist gestorben, da war Ben zwei Jahre alt. Seit dem hat sie immer wieder einmal einen Freund mit nach Hause gebracht. Doch die längste Beziehung hielt nie länger als drei Wochen. Sie wünscht sich nichts mehr, als einen Vater für ihren Sohn. Und einen Freund an ihrer Seite, der ihr bei ihren Problemen hilft. Oftmals geht ihr die Arbeit sehr nahe und liegt in ihrem Bett und überlegt wie sie ihren Patienten helfen kann. Sie hat nicht wirklich Freundinnen. Nur Jessica, die ebenfalls einen kleinen Sohn hat. Und auf Ben ab und zu mal aufpasst. Mehr hat sie nicht. Zu ihren Eltern hat sie schon lange keinen Kontakt mehr und auch sonst ist da keine Verwandtschaft, die ihr bei steht.

Lange Zeit hat auch Dr. Fritscher nicht ihren Ängsten und Sorgen gestellt. Doch irgendwann hat sie eingesehen, dass sie mit ihrem Freund Silvio abschließen muss um richtig weiterleben zu können. Und die einzige Person die ihr dabei geholfen hat, nicht in ihrem eigenem Mitleid zu versinken, ist Ben gewesen. Ihr kleiner Sohn hat ihr immer wieder Kraft gegeben. Ihre privat Situation hat sie oft auf auch ihre Patienten bezogen und ihnen geraten einen Anker zum Leben zu suchen. Ein Anker, wegen dem es sich lohnt weiter zu Leben. Weil dieser Anker einen braucht!

Michelle schaut zu Boden, ihr läuft eine heiße Träne die Wange hinunter. Dann dreht sie ihren Kopf wieder Richtung Ausgang und verlässt den Raum.


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Eine kleine Zusatzinfo. Ich bin zurzeit auch dabei den ersten Teil zu überarbeiten und habe mich entschlossen Sky/Michelle im ersten Teil um zu benennen. Also nicht wunder, wenn auf ihrer Akte Mila Dresch steht. Außerdem kann es passieren, dass über Sachen gesprochen wird die erst im überarbeiten Teil passieren. Keine Sorge die Grundstruktur bleibt, aber einige Dinge gefallen mir einfach nicht mehr.

Sunriseave100

Vierlinge Survival (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt