SITZUNG Z W E I

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SITZUNG Z W E I

„Hallo Jackson", Dr. Fritscher begrüßt den großen Jungen. Der ihr Büro betreten hat. Die beiden geben sich die Hand und setzten sich dann.

„Wie war dein Tag heute, Jackson?"

„Es ging. War, schätzte ich mal, für den ersten Tag ganz ok..."

„Was ist heute alles passiert, gibt es da etwas, über das du mit mir reden möchtest?"

„Ähm...ja. Ich mache mir Sorgen um Michelle. Seit dem was passiert ist hat sie mit mir kein Wort gewechselt. Mit Luis...äh Alex redet sie auch nicht. Papa ist ja sowieso immer auf der neuen Arbeit. Ich glaube sie hat nur mit Nick geredet. Heute war es ganz extrem. Sie hing heute die ganze Zeit an Nick. Ich will nichts gegen sie sage, und ich weiß wie schwer es für sie ist. Aber das hat mich tierisch genervt. Sie war wie so ein kleines Kind. Wir haben dann etwas Stress mit zwei Typen gehabt. Und sie war auf einmal verschwunden."

„Ihr hattet Stress mit jemanden? Vielleicht hat es sie ja an etwas erinnert und sie musste da weg?! Vielleicht hat sie sich ja von der Situation erdrückt gefühlt?"

„Ja das kann sein. Aber sie kann doch jetzt nicht Ewig so ängstlich sein."

„Hab Geduld mit ihr, Jackson. Es ist jetzt erst ein Monat her. Für dich mag das viel klingen. Aber sie war fast eine Woche bei diesen Leuten. Für dich war sie einfach nur weg. Aber weißt du was sie da wirklich durch machen musste? Geb ihr ein wenig Zeit. Und versuche ihr in dieser Zeit bei zustehen. Sie braucht jetzt ihre Familie. Hat sich Nick denn sehr verändert?"

„Oja! Das hat uns alles sehr verändert. Wobei ich glaube, dass Nick und Michelle es am meisten verändert hat. Vor ein paar Monaten hätte es Michelle keinen Tag alleine auf ihrem Zimmer ausgehalten. Und Finn...äh Nick. Er war selten zuhause. Immer unterwegs. Und jetzt. Jetzt sitzt er fast nur noch in seinem Zimmer. Keine Ahnung was er da macht."

„Und du? In wie fern hat es dich verändert?"

„Mich? Mich hat das Ganze glaube ich am wenigsten verändert. Ich war wahrscheinlich auch am wenigsten betroffen. Papa haben wir im Grunde all das zu verdanken. Finn hat mit Papa das Geheimnis bewahrt. Und sich dann selbst in Lebensgefahr gebracht und Luis hatten sie ja auch mal für kurze Zeit. Ach diese verdammte Namensumstellung, sorry. Nick und Alex. Ähm.. Ich war die ganze Zeit nur indirekt betroffen. Klar, die Sache mit Paul. Das klingt vielleicht egoistisch, aber ich weiß, dass er nicht zurück kommt, wenn ich nur noch deprimiert durch die Gegend laufe."

„Hast du viel um ihn getrauert?"

„Kommt darauf an, was Sie unter trauern verstehen. Wenn Sie damit weinen meinen, dann nicht. Ich bin nicht die Art Mensch die Trauer mit Tränen ausdrückt."

„Wie hast du getrauert?" Sie legt den Kopf schief und überschlägt ihre Beine. Faltet ihre Hände ineinander und mustert den Jungen aufmerksam.

„Ich habe sehr viel nachgedacht. Hab mir Bilder angeschaut. Ich war eine Zeit lang etwas in mich gekehrt. Aber nicht lange. Ich weiß nicht. Ich wollte mehr trauern. Aber alles was ich mehr gemacht hätte, wäre gespielt und ich finde, dass ist nicht der Sinn von Trauern."

„Also fällt dir trauern schwer?",hakt sie nach.

Er stützt seinen Ellenbogen an der Lehne des Sessels ab und fährt sich durch das Haar und richtet sich dann auf.

Er seufzt. „Vielleicht. Ich glaube schon. Und irgendwie habe ich deshalb auch ein schlechtes Gewissen. Heißt das, dass mir die Person nichts bedeutet hat?"

„Ich denke nicht. Ich denke, dass du dich wahrscheinlich auch viel mit dem Trauern an sich auseinander gesetzt hast. Vielleicht hast du dabei vergessen zu trauern. Aber ich denke nicht, dass dir dein Bruder egal war. Hattet ihr denn ein gutes Verhältnis?"

„Es ging. Unser Verhältnis war nie so, wie das zu Nick, Alex und Michelle. Aber er war mein Bruder. Ich würde nicht sagen, dass wir ein schlechtes Verhältnis hatten. Er wurde kurz vor unserem Geburtstag von Papa vor die Tür gesetzt." Jackson macht eine kurze Redepause. „Er hat gerne mal etwas zu viel getrunken. Er war arbeitslos. Naja sowas halt. Aber ich habe ihn nicht gehasst..."

„Mhm... Und wie kommst du mit dem Neuanfang klar?"

„Hier in der Schule war es nicht so der Börner. Ich vermisse mein altes Leben. Hier muss ich mir alles neu aufbauen. Neue Freundeskreise. Es ist alles neu. Aber ich würde nicht sagen, dass es mir sonderlich schwer fällt. Es ist halt so und ich versuche das Beste daraus zu machen."

„Mir kommt es so vor, als könntest du mit dem Ganzen sehr gut umgehen. Versuchst du viel mit deiner Familie zu machen. Ich weiß, dass es einigen aus deiner Familie nicht so leicht fällt. Versuchst du ihnen zu helfen?"

Er schweigt. Seine Augen fixieren den Boden. Er hat gehofft, dass sie ihm diese Frage nicht stellt. „Wissen Sie. Ich weiß, dass es egoistisch ist. Aber ich habe im ersten Moment an mich gedacht. Die ganze schlechte und bedrückende Laune zuhause macht einen Krank. Ich bin oft im Wohnzimmer und spiele mit Alex an der PS4. Das lenkt mich ab. Meine Laune wird dadurch nicht nach unten gezogen."

„Das glaube ich dir nicht. Kann es sein, dass du einfach nicht weißt, was du für deine Familie machen kannst und dir deshalb diese Ausrede zurecht legst?"

„Vielleicht teilweise. Was soll ich denn tun? Soll ich Michelle beim heulen zu sehen? Sie redet doch eh nicht mit mir..."

„Vielleicht würde sie ja dann mit dir reden!"

„Sie redet doch nicht mal mit Nick. Und die beiden haben ein viel besseres Verhältnis zu einander."

„Du sagtest zu Beginn der Sitzung, dass dich Michelles Verhalten stört. Kann es sein, dass dich nicht ihr Verhalten stört, sondern es dich stört, dass sie Nick dir vorzieht?"

„Wie kommen Sie jetzt darauf?", fragt er etwas schnippisch.

„Es kam mir so vor, als wärst du ein wenig eifersüchtig auf deinen Bruder."

Jackson schluckt. Hat Sie recht? War er wirklich eifersüchtig auf seinen Bruder, weil er ein besseres Verhältnis zu Michelle hat. Und war er generell eifersüchtig. Oft schon war so, dass Nick einfach die besseren Karten hatte.

Da ist einmal diese Mädchen gewesen. Jackson fand sie toll. Er ist so verliebt gewesen, dass er sie in der Schule heimlich beobachtete. Doch sie stand nicht auf ihn. Stattdessen wollte sie dann mit Nick zusammen sein.

„Wieso bist du eifersüchtig auf deine  Bruder?", Dr. Fritscher hat es an seiner verkrampften Art festgestellt. Sie hat dadurch bemerkt, dass sie recht hat: Jackson ist auf seinen Bruder eifersüchtig.

„Wieso? Keine Ahnung! Jedes Mal ist er der Bessere. Der Tollere. Der Hübschere. Der Sympathischer! Ach was weiß ich. Immer ist er besser als ich. Immer. Jedes Mal vergleicht man mich mit ihm! Kein Wunder, dass ich so schlecht da stehe! Er ist ja auch einfach toll!" Seine Hand ballt sich zu einer Faust. Es ist das erste Mal, dass er dies ausspricht.

Vierlinge Survival (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt