KAPITEL A C H T

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KAPITEL A C H T

Einige versuchen in ihrem Leben erfolgreich zu sein. Geld zu haben. Von Leuten bewundert zu werden. Einen guten Status in der Gesellschaft zu haben. Aber wozu versuchen es diese Leute? Wie viele scheitern an diesem Versuch? Wie viele schaffen es am Ende tatsächlich? Lohnt sich die Mühe? Die Opfer die man dafür lässt?

Ich weiß nicht was diese Leute antreibt. Aber vielleicht ist es das selbe, was mich antreibt. Auch wenn ich jeden Moment aufgeben möchte. Ich stehe nicht wieder auf. Ich schaffe es nicht. Dafür fehlt mir die Kraft. Alles was ich mache, ist dem Leben hinterher zu kriechen und zu hoffen irgendwann aufstehen zu können.

„Mhm...und Sie sind sich sicher?", er schnieft. „Verstehe, danke. Schönen Abend Ihnen noch." Papa stützt sich an der Spüle ab und schaut aus dem Fenster. In der Scheibe spiegelt sich sein Gesicht. Er weint. Sein Brustkorp hebt und senkt sich. Dann stößt er sich ruckartig von der Spüle ab und ich verstecke mich wieder ganz hinter der Wand. Ich höre wie der Kühlschrank geöffnet wird und eine Flasche aufgeschraubt wird. Unsicher schaue ich wieder um die Ecke. Er hat die Wodka-Flasche angesetzt und nimmt einige große Schlucke.

Dann fährt er sich mit der freien Hand durch das Gesicht und schnieft. Seine Griff um die Flasche verkrampft sich. Und dann schmeißt er sie auf den Boden. Schmeißt die Dekoration von der Theke.  „Fuck!",schreit er.

Ich bin die Einzige die zuhause ist. Jackson, Alex und Nick wollen sich die Umgebung anschauen. Wir leben hier jetzt seit zwei Wochen und ich habe noch nichts von der Umgebung gesehen. Außer den Schulweg, den wir seit einer Woche fahren. Papa ist eben erst von der Arbeit wieder gekommen. Ich war auf meinem Zimmer gewesen. Wollten ihn dann eigentlich fragen, ob er mit mir zur Apotheke fährt. Doch dann habe ich ihn telefonieren gehört und sofort gemerkt, dass er völlig am Ende ist.

Erschrocken sehe ich mir die Küche an. Überall Scherben. Und ein aufgelöster Vater. Als er sich umdreht ziehe ich schnell den Kopf ein und drücke mich gegen die Wand. Hoffentlich hat er mich nicht gesehen. Es ist einen Moment still. Dann steht er auch schon vor mir.

„Michelle...ich....",beginnt er, doch ich mache einen großen Schritt nach hinten. Was ist los mit ihm? Warum betrinkt er sich? Ich drehe ihm den Rücken zu und gehe zielstrebig zur Treppe. „Michelle..." Doch ich reagiere nicht. „Mila!" Dies Mal drehe ich mich um. „Wag es nicht noch einmal diesen Namen in den Mund zu nehmen!" „Es ist aber nun mal dein Name!"

„Nein, das ist er nicht mehr! Das musste ich zurück lassen! Genauso wie alles andere auch! Genauso wie Paul, Mama und Kira!"

„Nenn diese Frau nicht deine Mutter!"

„Das hast du mir nicht vor zu schreiben! Ich glaube, ich ziehe zu ihr...."

„Meinst du sie will dich noch? So ein Krüppel wie du bist!" Entsetzt sehe ich ihn an. „Michelle, das-"

Es passiert alles wie in Trance. Ich kann gar nicht wirklich realisieren, was passiert. Da bin ich auch schon aus dem Haus gestürmt. Wäre beinahe noch in Alex gerannt. Und dann renne ich einfach. Ich weiß nicht wohin. Ich weiß nicht wie lange. Alles was ich weiß, dass ich so eine Trauer und Wut in mir rumtrage. Dass keine anderen Gefühle mehr Platz haben. Er hat recht! Ich bin ein Krüppel. Ein psychisches Frack. Ich habe das Gefühl von allem Erdrück zu werden. Und ganz besonders von dem Kind, bei dem ich nicht mal weiß, ob es wirklich existiert.

Die Ereignisse die vor ein paar Wochen passiert sind. Mich durchzuckt ein Stick. Schmerzen die ich eigentlich gewohnt sein müsste. Seitenstechen. Zwei Mal habe ich versucht zu fliehen. Es ist mir nicht gelungen. Das rennen versetzt mich in die Situation zurück.

Es ist dunkel. Ich renne. Ich habe Schmerzen. Doch ich renne weiter. In mir weiß ich, dass je länger ich brauche um das nächste Dörfchen zu finden, meine Chancen immer mehr verschwinden. Ich weiß nicht, warum und weshalb sie mich so unbedingt brauchen oder wollen. Aber ich glaube, dass es gewaltig gegen ihren Strick geht, dass ich fliehen konnte.

Mich packt eine Hand.

Mich packt eine Hand.

Ich versuche mich aus ihrem Griff zu befreien.

Ich versuche mich aus ihrem Griff zu befreien.

Jemand spricht, doch ich kann die Wort nicht einordnen.

Ich werde zu Boden gedrückt.

Ich sacke zu Boden.

Meine Hände werden hinter meinen Rücken gezerrt.

„Michelle. Michelle!",jemand schreit mich an. Durch die Tränen, die schon seit einer ganzen Weile über meine Wangen laufen, ist meine Sicht nicht klar und ich erkenne die Person nicht. Dann zieht mich diese Person auf die Beine und dann etwas hinter sich her. Ich atme schnell. Schniefe. Doch meine Sicht wird besser und ich erkenne, dass mich diese Person von eine Hauptstraße runter gezogen hat. Die Autos fahren hier locker fünfzig oder mehr.

Dann schaue ich zu der Person, die anscheinend mein Leben gerettet hat. Und dann erschrecke ich selbst. Wieso er?

„Alles okay?", fragt er besorgt. Ich wische mir mit dem Ärmel meines Pullis meine Tränen weg und stehe auf, damit ich nicht so weit hoch schauen muss.

„Ja." Nein, ganz und gar nicht. Nichts ist okay.

Skeptisch sieht mich der große Bruder von Tyler Gonzales an. Alessandro Gonzales. Alessandro Gonzales, dessen Bruder mein Bruder krankenhausreif geprügelt hat.

„So siehst du aber nicht aus...",stellt er fest. „Soll ich dich nach Hause bringen?"

Wieso sollte er das tun?  „Nein, geht schon." Ich klopfe mir den Dreck ab und sehe ihn dann an. Nach Hause will ich jetzt sowieso nicht. Ich weiß nicht mal, ob das wirklich mein zuhause ist. Ich weiß nichts mehr.

„Bist du dir sicher?" „Ja!" Dabei muss ich jedoch schwer mit den Tränen kämpfen.

Doch dann sehe ich mich um und ich habe keine Ahnung wo ich bin. Weiterhin skeptisch sieht er mich an. Auch wenn ich den Weg nicht weiß, werde ich jetzt nicht nach geben und seine Hilfe annehmen.

„Ich bring dich heim! Am Ende begehst du hier noch Selbstmord und rennst noch mal auf die Straße!"

„Ich will aber nicht nach Hause!", versuche ich es anders.

Verwirrt sieht er mich an. „Und wohin dann?"

Ich zucke mit den Schultern. Mir wäre jetzt jeder Ort lieber, als zuhause. „Okay, dann kommst du eben mit zum Skater-Platz. Aber alleine bleibst du hier nicht!"

Vierlinge Survival (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt