KAPITEL N E U N

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KAPITEL N E U N

„Nein, danke. Ich komm schon alleine klar." Plötzlich überkommt mich ein Übelkeitsgefühl und ich übergebe mich direkt vor seine Füße.

Ich kämpfe gegen die aufkommenden Tränen an. „Ich bring dich jetzt nach Hause. Du bist ja völlig blass um die Nase." Ich weiß, dass ich scheiße aussehe. Du musst es mir also nicht unter die Nase reiben. „Wo wohnst du?"

Das werde ich dir mit Sicherheit nicht sagen. Es wäre mir lieb, wenn wir mitten in der Pampa leben würden, damit wir keine Nachbarn haben, die zufälligerweise mit diesen Leuten in Kontakt stehen. Man weiß nicht, wer alles zu diesem Klan gehört und wer nun hinter uns her ist.

„Ich finde schon alleine Heim!", versuche ich es mit Nachdruck. „Geh du lieber deinen Bruder im Krankenhaus besuchen!" Seine Miene verfinstert sich. Hab ich da einen Wunden-Punkt getroffen?

„Lass mich einfach in Ruhe, okay?!" Damit laufe ich an ihm vorbei. Überquere die Straße und habe keine Ahnung wo ich eigentlich hin laufe. Wieso sollte er mich nach Hause bringen? Er ist nicht mein Babysitter. Außerdem kennen wir uns nicht mal.

„Michelle, das vorhin...das dut miaa laidd. Dass wa nich so gemeind." Tatsächlich habe ich den Weg nach Hause noch gefunden. Zu mindestens das Haus in dem wir wohnen. Ob ich es jemals mein Zuhause nennen werde steht noch in den Sternen. „Wirklich, das hätte ich nicht sagen dürf-", er hickst. Er lallt. Er ist sturzbetrunken  besoffen. Mit der leeren Wodka-Flasche schwankt er auf mich zu. Ich hatte zwar keinen Lust nach Hause zu gehen, jedoch hat es angefangen zu regnen. Und weil ich keinen Ort in dieser Stadt kenne zu dem ich gehen hätte können, musste ich wohl oder übel zurück gehen. Das Papa in der Zeit noch mal ordentlich gar gegeben hat, damit habe ich nicht gerechnet.

Wieso halten ihn nicht meine Geschwister auf? Nick lässt ihn doch sonst nicht zum völligem Absturz kommen. Wieso jetzt nicht?

„Papa, leg die Flasche weg und setz dich hin!", mir ist zwar nicht danach, ihn jetzt zu bemuttern. Aber ich weiß, dass wenn es sonst keiner macht, dass es bis zum Krankenhaus nicht mehr lange dauert. Und darauf habe ich keine Lust. Auch wenn es doof klingt, Papa muss Arbeiten gehen. Wir haben gerade mal so viel Geld zusammen, dass wir uns dieses Haus leisten können. Wenn Papa jetzt ausfällt und auch noch extra Kosten verursacht, weiß ich nicht, wie lange wir hier noch leben können.

„Verzeiiist du miiiir?",er schwankt zur Wand und stütz sich dort ab. Man merkt förmlich, dass er nicht mehr weit entfernt ist, völlig abzuschweifen. „Jackson! Nick! Alex!" Wieso ist keiner hier um das zu verhindern? Warum ist ihnen die Familie so egal? Gerade jetzt in dieser schweren Zeit in der wir besonders aufeinander achtgeben sollten. Ich gehe auf Papa zu und nehme ihm die Falsche, die er gerade wieder an den Mund ansetzten will, ab und greife ihm unter die Schultern um ihn ins Wohnzimmer zu bringen. Doch als er sich völlig kraftlos auf mich abstütz, merke ich, dass es keine gute Idee von mir war. Ich kann mich noch an der Kommode stützen sonst wären wir beide umgekippt.

Papa lehnt sich in der Zwischenzeit komplett auf mich und hickst immer mal wieder. „Jackson!",schreie ich verzweifelt, weil ich langsam das Gefühl bald zerquetscht zu werden. „Alex!" Wo sind die denn? „Nick!",schrei ich nun so laut ich kann.

Und dann endlich kommt Alex. Er greift Papa unter die Arme und bringt ihn ins Wohnzimmer. Ich sehe denn beiden nur hinterher. Und jetzt wagt sich auch mal Jackson in den Flur. Er schaut mich leicht genervt an. „Was?!" „Ist dir jetzt eigentlich alles egal? Macht es dir nichts aus, dass Papa sich immer öfter betrinkt? Denkst du Nick, macht das alles immer?" „Ach ja? Warum soll ich das machen? Du drückst dich doch auch die ganze Zeit? Und jetzt komm mir nicht mit der Vergewaltig-Nummer!  Ich versteh zwar, dass es dir deshalb scheiße geht. Aber nicht nur dir sind in den letzten Wochen Sachen passiert. Also was gibt dir das Recht, mich hier an zu kacken?" Entsetzt sehe ich ihn an. „Was habe ich denn gerade versucht?"

„Ach ja, ich sehe aber nur Alex, der sich um ihn kümmert!",er verengt die Augen und schaut mich vorwurfsvoll an.  Die Arme vor der Brust verschränkt. „Es tut mir leid, dass ich nicht die Kraft habe ihn ins Wohnzimmer zu schleppen!"

„Leute klärt das doch wann anders!",wirft Alex vorwurfsvoll ein. Ich sehe zu ihm rüber. Er schaut uns verzweifelt an. Papa hat die Augen geschlossen. Hickst manchmal auf. Jedoch kann man nicht genau sagen, ob er schläft oder noch wach ist.

„Wo ist Nick?", frage ich dann. „In seinem Zimmer, wo sonst?"

„Warum ist er nicht hier? Er sorgt doch sonst immer dafür, dass er es nicht übertreibt..." Alex und Jackson wechseln einen Blick. Dann schaut mich Alex ernst an. „Nick hat anscheinend keinen Bock mehr! Keine Ahnung was mit ihm los ist. Aber er ist schon den ganzen Tag so komisch drauf. "

Ich schaue meine beiden Geschwister an. Die Ähnlichkeit, der drei zu Paul kann keiner leugnen. Die Vier sehen sich alle verdammt ähnlich. Und jedes Mal wenn ich einen von ihnen ansehe, dann muss ich an ihn denken. Warum musste das passieren? Paul hat das nicht verdient. Er hat gerade erst angefangen sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Wieder den richtigen Weg einzuschlagen. Doch er hat seinen Weg nicht zu Ende führen dürfen. Es ist so ungerecht. Wieso er? Und wenn ich daran denke, dann wird mir klar, wie knapp ich dem nur entwichen bin. Dass ich fast genauso geendet hätte, wie er. Und ich weiß nicht, ob es vielleicht besser gewesen wäre. Dann wäre vielleicht alles besser. Niemand müsste sich wegen einem Kind sorgen machen. Dann würde es nur noch die Drillinge heißen und nicht mehr die Vierlinge. Ich weiß nicht ob es egoistisch ist, so etwas zu denken. Einfach so zu denken, dass man die Familie so im Stich lassen kann. Nein, auch wenn ich schon an Selbstmord gedacht habe, steht mein Entschluss fest. Das kann ich ihnen nicht antun. Dann bin ich lieber ein Frack, als ein Egoist. Nick, Alex, Jackson und Papa sind momentan das Einzige was mich davon abhält. Und wenn ich ehrlich bin habe ich Angst, dass ich es wirklich machen, wenn die Familie weiter so zerbricht.

„Ich gehe nach ihm schauen. Kümmert ihr euch um Papa?"

Ich sehe wie Jackson schon wieder am liebsten an mir rumgemeckert hätte, doch Alex kommt ihm zu vor: „Ja, geh, wir schaffen das schon." Er lächelt mich matt an. Dann wirft er Jackson einen strengen Blick zu.

„Nick, bitte schließ die Tür auf", ich klopfe zaghaft gegen seine Tür. Es bleibt still hinter der Tür. „Bitte Nick." Wieder nichts. Ich klopfe wieder. Nichts.

„Bitte Nick, rede mit mir. Es bringt doch nichts es totzuschweigen." Ich weiß, dass gerade ich dies nicht sagen dürfte, aber ich mache mir Sorgen um Nick. Nick ist der Letzte, der sich von der Familie abwenden würde. Dafür bedeuten wir ihm einfach zu viel.

Er lacht hinter der Tür. „Das sagt die Richtige." Ich wusste, dass so etwas kommen würde.

„Wir sind uns halt sehr ähnlich." „Kommt vor..." „Jetzt komm. Mach die Tür auf. Du weißt, dass du mit mir reden kannst. Egal was es ist." Und dann öffnet sich die Tür. „Ich weiß."

Vierlinge Survival (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt