Gezwungen - 8. Kapitel

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In dieser Nacht sollte die Übergabe stattfinden. Sorin blieb extra wach, damit sie nicht verschliefen, denn sie besaßen keinen Wecker oder dergleichen. Als der Silbermond schließlich seinen Zenit erreichte, stand er auf, weckte seine Schwester und packte den Goldschmuck, den sie gestohlen hatten, in einen ledernen und schon sehr mitgenommen aussehenden Rucksack, den ihr Vater dagelassen hatte, als er gegangen war. Florica und Elisei hatten sie bereits erklärt, dass sie in der Nacht nicht da sein würden, und nachdem sich Lia vergewissert hatte, dass sie alle noch schliefen, machten sie sich auf den Weg. Es war nicht das erste Mal, dass sie nachts über die Felder liefen, aber in dieser war es trotzdem etwas anderes: Sie hatten noch nie mit so wertvollen Dingen gehandelt. Wenn sich der eine Gedanke in ihren Kopf schlich, den sie unter keinen Umständen zulassen wollte, schob sie ihn so gut es ging wieder beiseite. Den Gedanken, dass das Leben sie nun unweigerlich zu Verbrechern gemacht hatte. Zu Einbrechern und richtigen Dieben. Nicht dass der Taschendiebstahl legal oder eher zulässig wäre, aber er war irgendwie zur Gewohnheit geworden. Wenn man in Arad unterwegs war, musste man damit rechnen, dass man bestohlen wurde, und das machte es erträglicher. Man konnte sich einreden, dass die Passanten vorgewarnt waren und der Diebstahl auf ihrer Unaufmerksamkeit begründet lag. Aber der Einbruch und der Schmuck, denn sie hatten mitgehen lassen, ließ Lia doch zweifeln, ob ihnen das nicht eine Nummer zu groß war. Sie fürchtete sich davor, am Ende vielleicht sogar unfreiwillig zur Mörderin zu werden.

Sie trafen sich außerhalb der Stadt bei einer Scheune, die zwar tagsüber in Betrieb war, aber um diese Uhrzeit vollkommen verlassen dalag. Lia und Sorin zogen sich die Kapuzen über den Kopf, damit ihr Handelspartner nicht sehen konnte, wer sie waren. Der Mann, der ganz unvermittelt vor ihnen stand, hatte seine Kapuze ebenfalls tief ins Gesicht gezogen. Er war viel breiter gebaut als Sorin, jedoch kleiner als er. Ohne ein Wort reichte Sorin ihm den Rucksack mit dem Schmuck. Der Fremde leuchtete kurz mit einer Taschenlampe hinein, schaltete sie gleich darauf aber sofort wieder aus.
Mit tiefer Stimme sagte er: „Ich gebe euch tausendfünfhundert Lei dafür.“
Lia sog scharf die Luft ein. Sie hatte nie die Möglichkeit in solch hohen Dimensionen zu denken.
Ihr Gegenüber lachte leise. „Meine Kunden bezahlen dafür zweitausend, wenn nicht mehr, also in sofern...“ Damit reichte er Sorin die tausendfünfhundert Lei und verstaute den Schmuck in seiner eigenen Tasche. „Also, wenn ihr noch einmal so etwas Wertvolles zu verkaufen habt, ihr wisst, wo ihr mich findet.“ Er drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit.
Sorin drehte sich zu ihr um, betrachtete aber immer noch das Geld in seiner Hand. Lia griff nach dieser und strich mit dem Daumen über das Geld.
„Tausendfünfhundert Lei“, flüsterte sie fassungslos.
Als Sorin den Blick hob, leuchteten seine Augen. „Wir sind reich, Lia. Wir sind reich.“
Das war der Moment, in dem sie sich in die Arme fielen. Morgen würden sie einkaufen gehen. So richtig. Und keiner von ihnen würde noch daran denken, dass das Geld eigentlich unrechtmäßig erworben war.

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