Gezwungen - 16. Kapitel

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Lia versuchte, durchzuatmen. Er hatte bezahlt, er war ein Mann. Er war wie alle anderen. Ihre Augen brannten. Sie ging langsam auf ihn zu. Ihre Hand zitterte unmerklich, als sie seine Brust entlangwanderte. Beinahe hätte sie die Knöpfe seines Hemdes nicht aufbekommen. Als es schließlich offen war, stockte ihr Atem. Er war nicht der erste Mann, den sie nackt sah, aber der erste, der ihr etwas bedeutete. Ihr Finger streiften über seine Haut, hinterließen eine Gänsehaut. Auch sie selbst blieb nicht unberührt. Schauder elektrisierten sie. Sie schob das Hemd von seinen Schultern, sodass es zu Boden fiel. Lia ließ ihre Hände über seine Brust zurück zu seinem Gesicht wandern, legte sie an seinen Hals und zog seinen Kopf zu sich. Zuerst war der Kuss zögerlich, gar nicht richtig da. Ihre Lippen berührten sich, lösten sich wieder, bis sie schließlich aneinander liegenblieben. Unwillkürlich schloss sie die Augen. Lia versuchte, ihre Nerven nur auf diesen Punkt zu konzentrieren, wo sich ihre Lippen berührten. Die Wärme und das Gefühl, willkommen zu sein, wollte sie um jeden Preis behalten und niemals wieder vergessen. Vielleicht konnte es ihr Inspiration zum Träumen geben, von einer besseren Welt, in der die Liebe über alle Sorgen und über die Lust gestellt wird. Sie bewegte ihre Lippen, ihre Zunge, bat um Einlass und er gewährte ihn ihr. Als sich ihre Zungen berührten, explodierte alles in ihr. Die vielen Gefühle, von denen sie nicht mal gewusst hatte, dass sie überhaupt da waren, weil sie sie so lange Zeit schon betäubte. Die Wut. Die Enttäuschung. Die Sehnsucht. Lia wusste nicht, worauf sie wütend war. Sie wusste auch nicht, woher die Enttäuschung kam, oder was sie sich konkret erhoffte. Aber diese und viele andere Emotionen brachen sich Bahn und übernahmen die Kontrolle. Das, so dachte sie, musste wahre Leidenschaft sein. Etwas, für das ihr Leben nicht annähernd genug Raum bot.
Sie weinte stille Tränen. Deshalb war er nicht hergekommen. Das einzige, was er wollte, war ihr Körper, keine Gefühle. Und das tat ihr unheimlich weh. Vor allem, etwas zu tun, was ihr so viel bedeutete, ihm aber nicht.
Das Nächste, was sie wahrnahm, war der Stoff des Bettbezuges an ihren Armen und Beinen und seine Haut an ihrer. Seine Jeans. Sein heißer Atem, seine Lippen, die ihren Hals küssten, ihr Dekolleté, ihre Schulter, und die dabei eine feurige Spur hinterließen.
Und dann wandte er sich ab. Lia suchte ganz automatisch wieder Körperkontakt zu ihm, aber er rutschte noch weiter ab. Hatte sie etwas falsch gemacht?
„Was ist?", fragte sie. Ihre Stimme war ganz heiser.
Er fuhr sich durch die Haare. „Ich will dich nicht zu etwas zwingen, was du nicht tun willst. Oder kannst. Ich will es nicht, wenn es nicht echt ist. Ich sollte besser gehen. Von nun an werde ich mich von dir fernhalten, versprochen." Er stand auf und nahm sein Hemd vom Boden. Er wandte sich bereits zur Tür, als Lia aufbegehrte.
„Aber es ist echt." Das hatte sie gespürt. Manchmal verbrachte sie ganze Tage in einer Art Delirium, in dem sie nicht richtig wach war, nur, um den Schmerz nicht spüren zu müssen. Aber gerade jetzt, wenn sie sich ihm so nah fühlen konnte, war sie hellwach, und sie wusste auch, dass das ein einzigartiges Gefühl war. Und sie wollte mehr davon. Er würde es unterlassen, wenn sie ihn darum bat. Er würde sich nach ihrem Wunsch richten. Das hielt sie fast nicht aus.
Und wenn du meinst, dass er okay ist, und das funktionieren könnte, dann...
Ich soll... kämpfen?
In diesem Moment traf Lia eine Entscheidung: Sie würde es probieren und sich nicht länger sträuben. Sie würde sich hingeben, und wenn es für sie ewige Trauer und Dunkelheit bedeutete, dann würde sie das in Kauf nehmen, für den Moment des Lichts. Sie brauchte ihn, und sie wollte nicht, dass er ging. „Es ist echt", wiederholte sie. „Cosmin, bitte geh nicht."
Er seufzte. „Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen."
„Und ich niemanden wie dich." Sie beobachtete ihn, wie er dort stand, und sie beobachtete.
„Ich will es dir nicht schwerer machen. Du musst selbst entscheiden, ob du es mit dir vereinbaren kannst."
Lia nickte. „Ich weiß." Dann stand sie auf und zog ihren Spitzen-BH aus, während sie langsam auf ihn zuging. „Ich weiß", sagte sie und küsste ihn. Echte Lust durchströmte ihre Adern, als er seine Hände auf ihre Brüste legte und mit seiner Zunge ihre umspielte. Nie hatte sie jemanden so sehr gewollt, wie ihn in diesem Moment. Sie stieg aus ihren Schuhen. Cosmin hob sie hoch und trug sie zurück zum Bett. Ohne ihre Lippen von seinen zu lösen, streifte sie ihm das Hemd wieder ab und zog ihnen die Hosen aus. Als schließlich beide unbekleidet waren, zog sie ihn mit sich zum Kopfende des Bettes. Sie küssten sich, als gäbe es kein Morgen, und für sie gab es das auch nicht. Weder ein Gestern noch ein Morgen, weder Trauer noch Schmerz noch Sorgen und Dunkelheit. Sie liebte ihn, wie sie nie zuvor jemanden geliebt hatte. Als zwischen ihnen endlich nichts mehr stand, keine Ängste oder Befürchtungen, als zwischen sie nicht mal Luft gepasst hätte, fühlten sie beide etwas ganz Besonderes, von dem sie sicher waren, dass es nirgendwo sonst auf der Welt existierte, als in ihren Herzen.

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