Die Sonne ging gerade erst auf über Arad und tauchte den Himmel in Mattrosa. Die Nächte wurden immer länger, das Jahr wandte sich dem Winter zu. Wenn Lia an die kalten Zeiten dachte, fröstelte sie jetzt schon. Sie nahm sich vor, noch mehr Decken für ihre Geschwister zu kaufen, bevor es Frost geben würde.
Leise setzte Lia ihre Tochter zurück auf ihr Bett aus Decken und Stroh und krempelte ihr T-Shirt wieder nach unten. Anschließend stand sie auf und zog sich ihren Pullover über.
„Tschüss, meine Süße. Ich bin bald zurück. Aber Sorin ist noch da.“ Sie küsste Oana auf die Stirn, die sie mit großen Augen ansah. Kurz warf sie einen Blick auf ihre schlafenden, jüngeren Geschwister, dann machte sie sich auf den Weg. Gerade, als sie die Lagerhalle verlassen wollte, kam Sorin herein.
„Willst du gehen?“, fragte er und deutete auf ihren Pullover.
„Ja, ich will Cosmin besuchen.“
„Du bist oft bei ihm“, stellte er fest.
„Soso...“, begann sie, doch er unterbrach sie.
„Nein, warte. Darauf wollte ich gar nicht hinaus. Ich war gestern bei ihm, als du einkaufen warst. Ich... hab mich in ihm getäuscht. Er... ist eigentlich voll in Ordnung. Du hast einen guten Geschmack.“ Er schenkte ihr ein Lächeln und Lia erwiderte es.
„Danke“, sagte sie, „das bedeutet mir viel. Und heute Mittag bin ich wieder da, weil heute Nachmittag haben wir ja schon Spiele geplant.“ Sie zwinkerte ihm zu.
„Vielleicht bringst du ihn mal mit“, schlug Sorin vor, aber Lia verzog das Gesicht.
„Ich denke nicht, aber ich überleg's mir. Bis nachher.“ Mit diesen Worten trat sie in die aufgehende Sonne hinaus und ein Gefühl der Freiheit durchströmte sie. Momentan gab es verhältnismäßig wenig, über das sie sich Sorgen machen musste.
Als sie bei Cosmin an die Terrassentür der Bibliothek klopfte, empfing er sie mit offenen Armen. Er schien scheinbar in diesem Raum zu leben, das war sein Gebiet. Der Rest des Hauses gehörte seinem Vater. Er hatte gerade in einem Sessel gelesen und trug noch eine Schlafanzughose. Lia fand, dass es nicht schlecht aussah. Ganz im Gegenteil.
„Hey“, begrüßte er sie, zog sie an sich und küsste sie. Als sie Florica und Oana mitgebracht hatte, waren sie aus Rücksicht nicht weiter gegangen, aber es fühlte sich gut an. Sehr gut sogar. Lia strich mit ihren Händen über seinen Rücken, während sie seinen Kuss erwiderte. Erinnerungen an das letzte Mal, dass sie sich so nah gewesen waren, stiegen in ihr auf und eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig. Cosmin zog sie mit sich auf das Sofa, sodass sie auf seinem Schoß saß. Als er Anstalten machte, ihren Pullover auszuziehen, hielt sie inne.
„Meinst du“, sie stockte. „Wir können das jetzt... schon wieder... Ich meine das letzte Mal ist nicht lange her.“
Er lächelte. „Das sagst gerade du? Wie oft die Woche hast du denn in der Bar gearbeitet?“
Lia senkte den Blick. „Das ist was Anderes. Das ist es wirklich. In der Bar war es nie was Besonderes. Aber mit dir soll es das bleiben.“
Cosmin strich eine ihrer Haarsträhnen hinter ihr Ohr, die mittlerweile schon wieder recht lang geworden waren. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber für mich wird es mit dir immer etwas Besonderes bleiben.“ Mit den Fingerspitzen strich er ihr über die Lippen. „Und außerdem“, fügte er hinzu, „ist das letzte Mal schon drei Tage her, oder so.“
Lia lachte auf. „Okay“, murmelte sie leise und fuhr mit ihren Händen über seine Brust.
„Was? Ich hab's nicht genau verstanden.“ Das hatte er sehr wohl, und Lia wusste das auch.
„Okay“, wiederholte sie und legte ihre Lippen auf seine. Diesmal ging ihre Zunge zuerst auf Entdeckungsreise. Sie genoss es, mit ihr über seine Zähne zu fahren und schließlich mit seiner Zunge zu spielen. Sein heißer Atem strich über ihre Wange, als er Luft durch die Nase ausstieß. Seine Hände glitten unter ihren Pullover und unter ihr Shirt darunter, legten sich um ihre Hüften und zogen sie noch näher an sich heran. Ab und zu fuhr er mit den Fingern auch unter den Bund ihrer Hose, während sie sich ebenfalls an seiner zu schaffen machte. Sie ließ ihre Hände darunter gleiten und kostete das Gefühl ganz aus, als er wegen ihrer Berührung erstarrte und erschauderte.
„Deine Hände sind kalt“, sagte er atemlos.
„Nicht mehr lang“, erwiderte sie mit einem frechen Grinsen.
Als er ihr bloßes Streicheln schließlich nicht mehr aushielt, wendete er das Blatt, indem er sie von seinem Schoß schob. Ihre Hände wurden so unweigerlich aus seiner Hose gezogen. Cosmin öffnete ihre Jeans und streifte sie von ihren Beinen, genauso wie ihre Unterhose. Allein wenn Lia an die intime Berührung seiner Finger dachte, schüttelten sie wohlige Schauder. Sie umschlang mit ihren Beinen seinen Bauch so eng sie konnte, sodass ihre Haut direkt an seiner lag. Er schob ihr Oberteil nach oben und küsste ihren Bauch. Mit seiner Zunge wanderte er immer tiefer. Lias Atem ging flach und sie hielt kurz die Luft an, als er mit ihr in sie fuhr. Um dieser Folter zu entgehen setzte sie sich auf und zog ihr Shirt und ihren Pullover in einem aus und warf beides von sich. Der BH folgte beinahe zeitgleich. Sie umarmte Cosmin und vergrub ihre Hand in seinem Haar.
„Jetzt zieh endlich deine Hose aus“, forderte sie an seinem Ohr.
„Nur Geduld“, meinte er lächelnd, tat aber, was sie verlangt hatte, als sie ihn wieder losließ. Allerdings hatte er noch nicht im Sinn, sie zu erlösen, denn er senkte seinen Kopf zuerst noch auf ihre Brüste und liebkoste sie. Lia stöhnte auf. Sie waren beide längst bereit, sich zu verbinden, aber er zog es unerträglich in die Länge.
„Cosmin, muss ich es wieder selbst in die Hand nehmen?“, fragte sie ungeduldig.
„Okay, na gut“, entgegnete er, rutschte hoch und legte seine Lippen auf ihre, während er sie endlich befreite.„Du hattest recht, es war was Besonderes“, meinte Lia, als sie Arm in Arm auf dem Sofa lagen. Die Sonne war bereits aufgegangen und beschien sie. Beide hatten sie die Augen geschlossen.
„Ich liebe dich, Lia.“
Sie rieb mit der Hand über seine Brust und legte sie schließlich an seinen Hals.
„Und du hattest auch recht“, ergänzte er. „Jetzt sind deine Hände nicht mehr kalt.“
Lia strich mit ihrem Daumen an seinem Kiefer entlang. „Ich liebe dich auch“, sagte sie leise. Es war das erste Mal, dass sie dieses Eingeständnis laut aussprach. Sie schaute zu seinem Gesicht und auch er öffnete die Augen und schaute sie an. Seine Augen leuchteten nicht nur von der Sonne. Für einen Moment verloren sie sich im Anblick des anderen.
„Ich hab Hunger“, stellte Cosmin schließlich fest. Der Kommentar war so unpassend und ruinierte die romantische Stimmung dermaßen, dass Lia laut loslachen musste. Cosmin fiel bald mit ein. Liana war sich nicht sicher, wann sie jemals so herzhaft gelacht hatte, oder ob sie es überhaupt ein einziges Mal getan hatte. Sie wusste jedenfalls sofort, dass sie das häufiger machen wollte. So oft wie möglich. Schließlich standen sie auf und zogen sich wieder an. Cosmin holte Frühstück und auch Lia freute sich, noch etwas in den Magen zu bekommen.
Gegen Mittag machte sie sich auf den Weg nach Hause. Sie hatte während des Frühstücks wirklich daran gedacht, Cosmin zu fragen, ob er mitkommen wolle, aber sie entschied sich dagegen. Auch wenn sie es nicht so formuliert hätte, genierte sie sich, ihm ihre Armut so zu präsentieren. Es reichte ihr, dass sie an ihrer Kleidung haftete wie Pech.
Sie war glücklich, als sie schließlich das Feld überquerte und an Cosmin, ihre Familie und den bevorstehenden Spielenachmittag dachte. Sie freute sich darauf, ihre Geschwister glücklich zu sehen.
„Ich bin wieder da!“, rief sie fröhlich, als sie die Lagerhalle betrat. Hier, so weit von der Stadt entfernt, brauchte sie keine Angst zu haben, dass sie jemand hörte, der sie nicht hören sollte. Doch als sie an ihrem Ziel ankam, fand sie nur Decken und Heu vor. Das machte sie stutzig, denn normalerweise machte Sorin keine Ausflüge mit Florica oder Oana. Vielleicht spielten sie schon im Wald hinter der Fabrik. Sie verließ die Lagerhalle durch einen Hinterausgang, doch alles, was sie fand, waren schwache Reifenspuren im trockenen Gras. Kalte Angst stieg in ihr auf, doch sie versuchte, sie sie nicht kontrollieren zu lassen. Sie kehrte zurück in die Lagerhalle, setzte sich auf eine der Decken und wartete. Sie wartete, dass sie zurückkehren würden, wo auch immer sie hingegangen waren. Sie wartete darauf, dass sie gleich aus ihrem Versteck springen würden und „Überraschung!“ schreien würden, weil sie ihr einen Streich gespielt hatten. Sie wartete auf irgendetwas. Aber sie wartete vergebens.
Als es bereits wieder Abend wurde, stand sie auf und ging los. Hinterher konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie sie hergekommen war. Aber nun stand sie hier, auf Cosmins Fußmatte. Sie klingelte an seiner Tür. Er öffnete. Sie musste leichenblass sein, denn er blickte sie besorgt an.
„Was ist passiert?“, fragte er.
Lia sah sich um und blickte ihn dann mit starrem Blick an. Sie atmete flach. In ihren Ohren rauschte das Blut. „Ich glaube...“ Sie schluckte. Ihr Blick glitt ins Leere. „Meine Geschwister wurden von Kinderfängern entführt.“ Dann übermannte sie die Panik.
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Gezwungen #BestsellerAward2018
General FictionAlleine. Keine Eltern. Kein Geld. Zu fünft wohnt Liana mit ihren Geschwistern und ihrer kleinen Tochter in einer verlassenen Fabrik in der Nähe von Arad, Rumänien. Der Taschendiebstahl auf dem Markt reicht nicht, um ihre Geschwister zu ernähren. Des...