Gezwungen - 18. Kapitel

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Das Eis war gebrochen. Oana und Florica hatten Cosmin akzeptiert, mochten ihn sogar. In dieser Hinsicht waren sich alle drei einig. Die beiden Mädchen saßen auf dem Fußboden und puzzelten, ein Spiel, das auch Liana bisher noch nicht gekannt hatte. Sie selbst und Cosmin standen draußen auf dem Balkon.
„Ich finde es schön, dass du sie mitgebracht hast“, meinte er und nahm ihre Hand.
Lia lächelte und legte den Kopf schief. „Weißt du was? Ich finde es auch richtig schön. Ich bin so... glücklich.“
Cosmin erwiderte ihr Lächeln, zog sie an sich und küsste sie. Es war so einfach. Ein einfacher Kuss, eine einfache Berührung ihrer Lippen, ohne Bedenken, ohne Sorgen. Womöglich musste es nicht immer so kompliziert sein. Es war ein Einschnitt, eine Wendung in Lias Leben, von dem sie niemals gedacht hätte, dass so etwas einmal passieren würde. Aber wahrscheinlich sollte sie sich nicht zu viele Gedanken machen, sondern es einfach genießen. Denn glauben, dass es nun bergauf gehen würde, konnte sie noch nicht wirklich.
Schließlich brachen Liana, Florica und Oana wieder auf, um nach Hause zu gehen. Cosmin hatte ihnen zwar vorgeschlagen, in der Villa zu übernachten, aber Lia dachte an Sorin und Elisei. Sie würden sich nur Sorgen machen und das Schlimmste vermuten. Ihre Schwester und ihre Tochter waren so ausgelassen und fröhlich, wie sie sie selten erlebt hatte. Das Stofftier hatten sie mitgenommen. Auch das Kleid hatte Cosmin ihr in die Hand gedrückt, als sie sich verabschiedet hatten.

„Wo wart ihr?“, fragte Sorin, als sie die Fabrikhalle erreichten.
„Bei Cosmin“, erzählte Florica sogleich. „Lias Freund. Er ist voll nett und hat uns einen Teddy geschenkt. Siehst du?“ Sie hielt ihn ihm hin.
Sorin blickte zu Liana. Sie redete sich ein, dass sie kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte, er hatte es ihr schließlich erlaubt und es war ihr Leben. Aber sie wollte nicht, dass Sorin das Gefühl bekam, er würde ausgeschlossen. Sie wollte nicht, dass sie sich noch weiter auseinanderlebten. Um glücklich zu sein, musste auch das Verhältnis zwischen ihr und ihren Brüdern stimmen.
„Soso...“, begann sie, doch er nahm sie bereits am Arm und zog sie mit sich nach draußen.
„Wieso tust du das?“, warf er ihr an den Kopf. „Wieso zeigst du ihnen den Luxus und die Möglichkeiten, die sie nie haben werden?“ Er kreuzte wütend die Arme vor der Brust. „Willst du, dass sie enttäuscht werden?“
„Das ist überhaupt nicht meine Absicht“, widersprach sie. „Sorin, sie wissen nicht mal, wie ein ganz normales Haus von innen aussieht. Das... das ist doch echt traurig, oder nicht?“
„Denkst du denn, es wird irgendwann mal wichtig für sie sein?“
„Stellst du dir ihre Zukunft so vor wie das hier?“ Lia machte eine Handbewegung, die die Lagerhalle umfasste. „Hast du keine Hoffnung mehr, dass sich das irgendwann ändern könnte?“
„Ich bin nur realistisch“, erwiderte er. „Das schützt vor Enttäuschung.“
„Glaubst du, ich weiß das nicht? Aber weißt du was? Ich habe meine Lebenseinstellung geändert. Ich habe vor, alles aus dieser Situation rauszuholen. Und warum soll ich das alles für mich behalten? Wieso soll ich meiner Familie nicht auch ein bisschen Freude und Spaß ermöglichen, wenn ich es doch kann? Denn eins sag ich dir: So macht das Leben mehr Spaß. Wenn du nicht mehr hoffen kannst, hast du schon verloren.“
„Wenn du meinst. Ich jedenfalls weiß, dass man immer tiefer fallen kann. Irgendwann heilt das Herz nicht mehr, Lia.“ Damit wandte er sich ab.
„Warte, Sorin.“ Sie griff nach seinem Arm und hielt ihn auf. „Ich weiß das. Dass man immer tiefer fallen kann, glaub mir. Ich weiß, wie sich Enttäuschung anfühlt. Aber wieso soll man sich nicht das nehmen, was man kriegen kann, um glücklich zu werden? Warum soll man bitte nicht kämpfen? Aus Angst vor Enttäuschung aufzugeben, ist kein guter Grund. Ich vermisse dich und ich hasse es, mit dir zu streiten. Ich will meinen Bruder zurück.“
Sorin schloss für einen Moment die Augen, dann sah er sie an. „Ich hasse es auch. Ich fand es viel schöner, als wir noch ein Team waren.“ Er streckte den Arm aus und zog sie an sich. Die Erleichterung war fast zu viel für sie, die sie verspürte. Endlich umarmte er sie wieder.
„Ich hab dich lieb und ich hab doch nur Angst um dich“, murmelte er in ihr Haar.
„Weißt du, nur weil ich einen Freund habe, heißt das nicht, dass ich meine Familie vernachlässige.“
Er seufzte. Sie wusste, dass sie recht hatte, er musste es nicht sagen. Es war vielleicht noch nicht alles perfekt, aber es war ein guter Anfang. Ein sehr guter sogar...

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