Gezwungen - 29. Kapitel

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„Es ist wie ein schlechter Witz", meinte Sorin und blinzelte zur Sonne hinauf. Seine Hände langen entspannt auf dem kalten Stein des Geländers. „Sie hat sich immer für uns ein solches Leben gewünscht und nun kann sie nicht mehr dabei sein, wenn wir es endlich leben."
Cosmin erwiderte nichts. Seit Wochen sprach er nicht. Sie lebten alle bei ihm im Haus, aber er hatte bisher kein Wort mit ihnen gewechselt. Er brachte es nicht über sich, über das zu sprechen, was seine Gedanken voll und ganz einnahm. Über sie.
„Ich möchte dir danken, für das, was du uns gibst. Ich meine, du hast es ihr versprochen, aber ich hoffe, dass... du es auch von dir aus tust." Sorin sprach sachlich, gefasst. Cosmin hatte ihn nächtelang auf dem Balkon stehen sehen. Er wusste, dass das nur die Fassade war, die er sich aufbaute. Doch er bewunderte ihn dennoch dafür. Und er fragte sich, ob es den Schmerz linderte, nach außen jemand anderes zu sein. Vielleicht sollte er das auch mal ausprobieren. Cosmin nickte.
Wenn sie sie nicht zu retten versucht hätten, wäre Lia noch am leben. Das war einer der Gedanken, die in seinem Kopf herumgeisterten, aber im selben Moment schalt er sich dafür. Denn das, was geschehen war, hatte sie in vollem Bewusstsein riskiert. Ich war schuld. Das war ein anderer Gedanke. Er hatte sich selbst geschworen, sich in den Weg zu stellen. Und dann hatte er in einem unbedachten Moment nicht aufgepasst. Die Kugel hätte genauso gut ihn treffen können.
„Wie auch immer", murmelte Sorin und ließ ihn allein. Cosmin atmete erleichtert auf. Die Luft rasselte in seiner zugeschnürten Kehle. Er hatte nicht das alleinige Recht zu trauern, das wusste er, aber jeder hatte seine eigene Weise und er brauchte die Einsamkeit, um sie wieder lebendig zu machen. Zumindest in Gedanken.
Der Balkon war der perfekte Ort dafür. Hier war sie meistens hergekommen. Hier hatte sie gesessen, hier hatte sie angeklopft.
„Hey, wir wollen was gemeinsam spielen. Sorin sollte dich eigentlich fragen, aber er ist eben ein Sturkopf. Ich wollte dich fragen, ob du nicht vielleicht mitspielen möchtest?"
Cosmin schaute zu ihr. Oana sah Lia so ähnlich, dass es manchmal nicht möglich zu sein schien. Das machte es umso unerträglicher.
„Bitte, Papa." Ihre Stimme war weich und warm.
In dem Moment brach er zusammen. Er fiel auf die Knie und umarmte sie. Er hatte Lia versprochen, sich um ihre Familie zu kümmern und das würde er auch tun. Welchen besseren Weg gab es, ihr treu zu bleiben, als nach ihren Vorsätzen zu leben? Er ließ das lächelnde Mädchen los und folgte ihm in die Bibliothek.

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