Teil 4 | 6 - Die Gruppe der Übriggebliebenen

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Mein Kopf fühlt sich schwer an und meine Lider scheinen wie zugeklebt zu sein. Ich will sie auch nicht öffnen. Ich möchte die Welt da draußen nicht mehr sehen. Ohne ihn scheint alles verloren zu sein.
Ich versuche mich auf meine Umwelt zu konzentrieren, denn ich habe keine Ahnung wie ich in ein Bett gekommen bin oder überhaupt wo ich gelandet bin.
Gedämpft nehme ich Stimmen wahr und versuche mich darauf zu konzentrieren, was sie sagen.
"... sie war da schon ein typischer Karriero, wollte unbedingt gewinnen und hat sich dann ja auch freiwillig gemeldet. Näher kennen tue ich sie allerdings nicht, aber sie ist jemand aus der Heimat."
Ich öffne meine Augen und sehe eine junge Frau im Bett neben mir und erinnere mich an das Gesicht des Mannes der bei ihr steht.
Er hat zusammen mit diesem Bjon die Nachricht gebracht. Die Nachricht die mein Leben für immer zerstört hat.
Sam.
Der Name schießt mir durch den Kopf. So haben sie ihn genannt. Und dann fällt mir sein letzter Satz wieder ein.
Jemand von zu Hause?
"Hast du die Männer gekannt die hingerichtet wurden?", krächze ich und versuche mich gleichzeitig aufzusetzen.
"Mit fast allen war ich zusammen in der Ausbildung.", murmelt Sam und sieht auf seine Hände.
Sofort blickt das dunkelhaarige Mädchen ihn aus großen besorgten Augen an und legt ihre Hand auf seine.
Diese Geste versetzt mir einen Stich, doch ich versuche den Schmerz zu unterdrücken. Ich will nicht darüber nachdenken.
Gleichzeitig will ich jedoch auch wissen, wieso er nicht unter ihnen ist. In Distrikt 2 kann er nicht gewesen sein, ansonsten würde ich mich an ihn erinnern. Woher kommen er und das Mädchen also? Sind sie vielleicht auch Flüchtlinge? Menschen, die fliehen mussten um ihr Leben zu retten?
"Du bist nicht in Distrikt 2 geblieben. Hast du dich hierher versetzen lassen?", langsam habe ich es geschafft mich aufzurichten und lehne mich gegen die Wand.
Ruhig mustere ich das Pärchen neben mir.
"Ich wurde nach Distrikt 4 versetzt, obwohl ich in 2 bleiben wollte. Aber die wenigsten werden gefragt ob und wohin sie gehen wollen.", antwortet er und ich weiß, dass es stimmt.
Kael hat es mir oft genug gesagt. Er hätte jederzeit versetzt werden können, wir haben einfach nur Glück gehabt.
Glück, welches uns nun verlassen hat.
Ich nicke langsam.
"Ja, Kael hat mir das oft genug erklärt.", flüstere ich und starre an die Wand vor mir.
Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Doch ich habe nicht die Kraft wütend zu sein.
"Kael kannte ich auch.", sagt er und fängt meinen Blick auf.
Ich sehe in seinen Augen, dass auch er trauert und das tröstet mich für den Moment. Ich bin nicht allein mit all dem Schmerz. Auch wenn er nicht denselben fühlt wie ich.
"Ich gehe mal schauen ob ich einen Arzt finde. Und bevor du dich aufregst, ich komme gleich wieder.", sagt das Mädchen plötzlich und steht auf.
Es wundert mich, dass sie ihren Freund bereitwillig mit mir allein lässt, denn ich kann spüren, dass es ihr nicht gefällt, nicht mitreden zu können und außen vor zu bleiben.
"Hast du ihn gut gekannt? Kael meine ich.", flüstere ich als die Tür hinter ihr zugefallen ist.
"Er war in der Ausbildung über mir und hat mir oft geholfen. Ich hatte manchmal Schwierigkeiten mich an Regeln zu halten.", beginnt er zu erzählen und schmunzelt kurz. "Man kann sagen er war wie ein Mentor für mich, nur dass er mich nicht auf die Spiele vorbereitet hat."
Ich nicke. Ja, so habe ich ihn kennen gelernt. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals.
"Es ist meine Schuld, dass er getötet wurde.", bricht es aus mir hervor. Die Erkenntnis dieser Tatsache lässt mich erstarren.
Ja.
Ich bin Schuld an seinem Tod.
Hätte ich damals die richtige Entscheidung getroffen, wäre ich einfach nur irgendein Mädchen geblieben, ohne große Geschichte, ohne Ruhm und ohne Ehre, dann würde er noch leben und wir wären glücklich in Distrikt 2 zurück geblieben.
"Nein, das Kapitol ist Schuld. Wir dürfen uns nichts aufladen was sie allein zu verschulden haben.", sagt er entschlossen.
Ich seufze.
"Wieso seid ihr hier? Was hat euch hergebracht?"
"Nach der Explosion haben sie Annie geholt. Annie Cresta. Elina war bei ihr, zusammen mit einer Freundin. Sarah ist tot und Elina wollten sie töten. Das konnte ich nicht zulassen, deshalb mussten wir weg. Auch weil ich Odair das Versprechen gegeben habe. Manche Sieger hängen enger beieinander als andere. Warum bist du los? Warum allein?"
Gerade als ich antworten will öffnet sich die Tür und das Mädchen, Elina, kommt wieder herein. Allerdings ohne Begleitung.
"Kein Arzt zu finden.", sagt sie knapp und geht wieder zu Sam.
"Naja, es ging alles sehr schnell, bevor es eskaliert ist musste ich weg, um mein Leben zu schützen. Und warum alleine. Naja, ich habe nicht sehr viele Freunde. Und meine beste Freundin hat eine Familie, sie wäre niemals mitgekommen. Enobaria und Brutus, naja, ihr wisst ja was geschehen ist. Kael konnte nicht weg, es war einfach zu wenig Zeit. Er wollte nachkommen und...", meine Stimme bricht und ich wende den Blick von Sam ab.
Ich versuche mich an die Reva zu erinnern, die ich damals, vor scheinbar unendlich vielen Jahren gewesen bin, doch ich finde sie nicht. Sie ist zu tief begraben. Zu viel ist kaputt gegangen. Doch wenn ich wirklich leben will, dann muss ich sie wieder finden, ansonsten kann ich mich jetzt gleich erschießen.
"Dann passt du perfekt zu uns.", sagt Elina bevor Sam etwas erwidern kann und an ihrem Blick kann ich sehen, dass sie es ernst meint.
"Wir sind sozusagen die Gruppe der Übriggebliebenen die trotzdem noch nicht aufgegeben haben und Snow in den Hintern treten wollen. Wobei, vielleicht doch eher ins Gesicht."
Unwillkürlich lache ich auf. Dieses Mädchen, vielleicht gerade einmal 18 Jahre alt, sprüht so viel Lebensmut und Kraft aus, obwohl sie wohl mindestens genauso viel schreckliches erlebt und gesehen hat wie ich. Wie schafft sie es jetzt noch hier zu sitzen und davon zu sprechen aufzubegehren? Doch die Antwort sehe ich in Gestalt von Sam.
Er gibt ihr Kraft. Sie ist nicht allein. Ich aber schon.
"Ich bin gut darin jemandem ins Gesicht zu schlagen. Oder zu schießen. Oder ein Messer zu werfen.", antworte ich und versuche meiner Stimme wieder etwas Kraft zu verleihen.
"Sehr gut, ein Messer fehlt uns eh noch. Dann hätten wir die Pistole, ein Schwert, Pfeil und Bogen und Kreativität und Intelligenz.", lächelt Elina und irgendwie bin ich froh, dass ich ausgerechnet in ihrem Zimmer gelandet bin.

", lächelt Elina und irgendwie bin ich froh, dass ich ausgerechnet in ihrem Zimmer gelandet bin

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Reva Scott 4 - Die FluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt