Kapitel 29

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Nach einiger Zeit lösen wir uns aus unserem innigen Kuss.

"Wieso bist du zurück gekommen, Leela?", fragt er mich ernst, während er mir dabei tief in die Augen sieht. Sofort verliere ich mich wieder in ihnen. Er ist der einzige, der so etwas bei mir bewirken kann.

Als ich beginne ihm die komplette Geschichte zu erzählen, hört er mir gespannt zu. Den Teil das ich mit Arijit geschlafen habe lasse ich vorerst aus. Ich werde es ihm noch gestehen, aber nicht hier und nicht jetzt.

"Dann haben Raghav und ich einen Plan entwickelt, wie wir alle hier befreien können. Und Ajay lässt mich wirklich hier allein herum laufen, schon von Anfang an. Ich weiß nicht wieso aber-"

"Weil er dich liebt.", greift mir Varun plötzlich ernst in mein Wort.

"Was redest du da? Lieben soll er mich? Deswegen hat er dich auch hier einsperren lassen und Akira umgebracht, nh? Weil er mich ja so sehr liebt.", rege ich mich auf.

"Ja, verstehst du denn nicht? Er will dich komplett für sich haben. Keiner soll ihm dabei in die Quere kommen.", antwortet Varun ruhig.

"Ist er bescheuert? Egal was er tut, ich werde immer dich lieben!"

Daraufhin senkt Varun seinen Blick.

"Hey, tu das nicht! Schau mir in die Augen, ich liebe dich! Und zwar nur dich, hörst du?", sage ich hektisch während ich seinen Kopf wieder anhebe, sodass er mir wieder in meine Augen schaut.

"Ich liebe dich auch.", sagt er nur.

"Ich weiß. Niemand wird uns trennen können, auch nicht Ajay, dass weißt du oder?"

Regungslos lässt er sich wieder auf die schäbige Matratze nieder, ich setze mich daraufhin neben ihn.

"Wenn er dich wirklich liebt, dann wird er mich umbringen. Jetzt da du mich gefunden hast."

"Das werde ich niemals zu lassen. Ich werde mich schützend vor dich stellen, denn ich weiß das er mir nichts tun würde. Das hat er noch nie, er hat immer nur den anderen weh getan.", erkläre ich.

"Siehst du, dass ist es doch. Er kann dir nichts antun, weil er dich liebt."

"Aber Varun, was soll das bitte für eine Liebe sein? Eine in der er mir alles nimmt das ich liebe? So etwas kann man doch nicht Liebe nennen.."

"Wie ich eben schon sagte, er will dich nur für sich haben.", sagt er ruhig.

"Das ist doch krank", sage ich abwertend.

"Ich weiß. Aber irgendwo kann ich es auch verstehen.", sagt Varun während er mich dabei an sich zieht. Ich kuschele mich näher an ihn heran und lege dann meinen Kopf auf seiner Schulter ab.

"Warum kannst du es verstehen?", frage ich neugierig.

"Er wurde damals nie richtig von Mutter geliebt, er hat alles dafür getan das sie ihm Liebe schenkt oder ihn beachtet, aber das tat sie nie. Sie hat ihn immer nur gehasst, frag mich nicht wieso. Ich verstehe es selber nicht! Wenn ein Mensch als Kind keine Liebe kriegt, wie soll aus ihm dann ein guter Mensch werden? Verstehst du was ich meine?"

"Ich verstehe.. Und wie war sie zu dir?", will ich sofort wissen.

"Mir hat sie immer den Himmel auf Erden geschenkt, während sie ihn immer wie Dreck behandelte. Dabei war er immer ein viel lieberes Kind als ich.. Er hat immer allen geholfen wo er nur konnte, er hat den Haushalt geschmissen, er hat sich besser um mich gekümmert als Mutter es tat. Er war für mich da, immer.", bringt Varun nur sehr schwer heraus und ich bemerke sofort das er gerade schwer mit den Tränen kämpft.

Ruckartig ziehe ich ihn in eine Umarmung.
"Psscht, es ist okay zu weinen. Danke, dass du mir so sehr vertraust das du mir das erzählst."

"Das war noch nicht alles, seit Vater angefangen hatte zu trinken wurde es dann noch schlimmer für ihn. Jeden Abend kam er nach Hause und schlug meine Mutter, meine Mutter gab immer Ajay die Schuld dafür. Ich verstehe nicht wieso, er hatte doch nie etwas getan? Er musste mit so viel Schmerz leben.. Vater hat uns dann irgendwann verlassen, ich weiß selbst nicht wohin er ging, ich glaube er hat einfach eine neue Frau gefunden. Ajay ist dann daraufhin schwer arbeiten gegangen und ohne ihn wären wir damals verhungert, er war der einzige der Geld ins Haus gebracht hat und noch nicht einmal dafür war Mutter ihm dankbar. Irgendwann starb Mutter dann und obwohl sie immer so gehässig zu ihm war, weinte und trauerte er mehr als ich es jemals tat.", erzählt Varun die Geschichte weinend zu Ende.

Mittlerweile habe auch ich angefangen zu weinen. Das wusste ich alles vorher nicht, die Geschichte hat mich so sehr mitgenommen, dass ich schon anfange zu schluchzen.

"Was ist mit ihm passiert? Er war so ein lieber Mensch.."

"Ich weiß es nicht, nach Mutters Tod ist er irgendwie kalt geworden, hat angefangen Frauen zu verachten. Er ist dann frauenfeindlich geworden und ich sage dir, daran ist nur Mutter schuld! Hätte sie ihm damals Liebe geschenkt, wäre aus ihm ein anständiger Kerl geworden. Stattdessen gab sie ihm die Hölle auf Erden. Irgendwann hat er dann angefangen diesen Laden hier aufzubauen, er meinte das Frauen nichts wert seien und das sie nichts anderes verdienen würden.."

"Eure Mutter ist wirklich Schuld daran..", gebe ich leise zu.

"Ich weiß.", antwortet Varun mit tränenden Augen.

Alles wonach sich Ajay jemals sehnte, war die Liebe seiner Mutter. Und nach ihrem Tod realisierte er, dass er diese Liebe niemals zu spüren bekommt. Es ist eine psychische Störung, er hat das alles nur aus diesem einen Grund gemacht. Langsam verstehe ich, warum er so frauenfeindlich ist. Wie Varun eben schon sagte, wie kann man von einem Menschen der keine Liebe erfahren hat erwarten das er ein guter Mensch wird? Aber wieso tut er mir dann nichts an? Ich habe ihm doch auch keine Liebe gegeben und trotzdem ist er so nett zu mir.

"Varun, ich muss ihm weiterhin meine Liebe geben.", sage ich.

"Deine Liebe geben?", hakt er nach.

"Wenn ich es schaffe ihn weich zu kriegen, dann wird er das alles hier wahrscheinlich auflösen, verstehst du?"

"Nein, Leela. Bitte, du darfst nicht mit ihm spielen. Das würde ihn nur noch mehr verletzen."

"Ich glaube es ist bereits zu spät. Ich wusste das alles doch nicht. Ich habe mir sein Vertrauen erschlichen um Elena und Jaya zu befreien und um dich zu finden. Ich habe seine Schlüssel geklaut, es ist zu spät Varun. Es ist zu spät, es tut mir so leid.", stammele ich.

"Ist schon gut, du hast gedacht er ist ein mieses Arschloch. Dich trifft keine Schuld, ihn trifft die Schuld. Was er hier macht ist nicht in Ordnung."

Wortlos nicke ich nur. Ein schlechtes Gewissen habe ich aber trotzdem.

"Du sagtest du hast die Schlüssel?", lenkt er von Thema ab.

"Ja.", antworte ich knapp.

"Okay, verständige diesen Raghav. Ich habe eine Idee.", sagt er plötzlich mit viel Euphorie.

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