Kapitel 2

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"So, ich hab schnell ein Erste-Hilfe-Set geholt, dass du zumindest ein bisschen verarztet werden kannst."
"Danke.", gebe ich wieder etwas weniger gereizt und schüchtern von mir. Normalerweise bin ich ja nicht dieser 'ich muss immer dumme Antworten geben'-Typ sondern eher der der kaum ein Wort herausbringt bei Fremden und sich für alles sofort schämt. Er denkt jetzt sicherlich etwas Schlechtes von mir. Ich sollte einfach schnell abhauen.
"Ich gebe dir noch schnell den Verband hier rum, dann hält die Wundauflage besser", setzt er hochkonzentriert fort.

"Danke und auch danke wegen Cindy, also meinem Hund.", bringe ich nur mit viel Mühe heraus.
"Kein Problem, mach ich doch gerne." Er lächelt mich herzlich an und gibt mir dann die Leine bevor ich nach einem "Tschüss" schneller als ihm lieb davon humple.
"Hey, warte doch mal!", läuft er die 4 Schritte die ich mit aller Kraft schon gegangen bin zu mir rüber und stellt sich vor mich.
"Wie wär's mir einem Kaffee?" Bitte nicht! Lass es aufhören!! Ich kann ihn doch nicht einmal normal ansehen, jedes mal springen meine Augen dabei raus und ein Wort bringe ich sowieso nicht raus.
"Ein anderes mal, ja?"
"Sagst du mir wenigstens wie du heißt?"
"Mila."
Und dann gehe, sofern man das so nennen kann, weg. Wieder brauche ich eine Ewigkeit um nach Hause zu kommen. Die Straßen sind gerammelt voll und überall gröllen betrunkene Fußballfans herum.
Müsste ich morgen nicht arbeiten würde ich jetzt bei ihnen sein, ich liebe Fußball, wenn meine Zeit nicht so wichtig wäre um Geld zu verdienen dann...
Aber ich habe es mir ausgesucht und immerhin ist es ja nur eine EM von vielen, außerdem habe ich mich die letzten Monate, vor allem wegen meinem Abschluss, kaum auf die verschiedenen Mannschaften und deren Spieler konzentrieren können und dumm ein Match zu schauen macht auch nur halb so viel Spaß.
Ich biege immer noch von Schmerzen geplagt in das kleine Gässchen in dem ich wohne nachdem ich deutlich mehr Zeit benötige habe als beim Weggehen.
Cindy hat sich wieder beruhigt und erschwert mir Gott sei Dank mein Leben momentan nur kaum.
Wenn sie nicht dauernd all die Fremden begrüßen würde die mir mehr als unheimlich vorkommen, wäre ich ihr zwar dankbar, aber ändern kann ich es sowieso nicht, jeder hat so seine Vorlieben...
Ich krame schon etwas genervt von all dem Dreck und der extremen Lautstärke hier draußen meinen Hausschlüssel aus der Hosentasche, was mir nach etlichen Versuchen erst gelingt und der dann aus meiner Hand direkt in ein halb-verwestes Sandwich, dessen Dressing hoffentlich auch wirklich eines ist, fällt.
Angeekelt und mit durchgebluteten Verbänden auf meinen Knien schnaufe ich erst einmal tief durch bevor ich schnell den Schlüssel aufhebe, das Schloss aufsperre und mich so schnell es möglich ist zu meiner Türe die Treppen am Gelände hochziehe.
Wieder sperre ich ein Schloss auf und schmeiße das Metallstück in einen mir unbekannten Saft getränkt in das Waschbecken meiner Küche bevor ich es mit Wasser und Seife übergieße.
Ach ja, das Choas hier habe ja ich hinterlassen.
Ich beginne alles am Boden liegende so gut wie möglich einzusortieren und an den dafür bestimmten Platz zu bringen bevor ich irgendwann auf meinem Sofa einschlafe.

Um 6:30 weckt mich dann der Wecker, der mich bereits in der Grundschule immer um die selbe Zeit geweckt hatte, nur dass ich jetzt deutlich mehr als eine halbe Stunde brauche um mich für meinen Probetag fertigzumachen.
Ich springe energiegeladen auf, greife mir dabei vor Schmerz an meine Wunden, die ich schon wieder ganz vergessen hatte und humple in die Küche um nicht nur meinen Schlüssel abzutrocknen sondern auch um mir eine große Tasse Kaffee einzuflösen. Dann lege ich Rekordzeit verdächtig einen Sprint zu meinem Kleiderschrank hin, aus dem ich mir dann eine weiße Bluse, also wie ein Hemd mit etwas mehr Ausschnitt, und eine blaue Jean aussuche in die ich mich durch hüpfen und hie und da ein paar mal herumziehen versuche hineinzuzwängen. Weiter geht es im Badezimmer nach Zähneputzen, Make up Creme und Wimperntusche mache ich mir noch einen Pferdeschwanz und bin pünktlich fertig um das Haus zu verlassen. Ich kann nur hoffen, dass der heutige Tag besser wird als der gestrige, sonst lande ich vermutlich noch irgendwo in einem Krankenhaus oder in einem Straßengraben aus dem ich ja nicht herauskommen würde wegen meinen Beinen.

Ich schließe ab, gehe nochmal sicher, dass man das hervorgequollene Blut nicht durch meine lange Hose sieht und gehe zufrieden raus.
In den Straßen ist es ruhig und ich erwische gerade noch den Bus in dem ich mich sogar hinestzen kann weil so wenig los ist.
"Nochmal Glück gehabt, was?", beginnt der Fahrer mit mir zu quatschen weil ich in seiner unmittelbaren Nähe sitze.
"Wie bitte?"
"Haben Sie gestern nicht das Match gesehen, 2:1 gegen Irland, wir sind im Viertelfinale! Oder was denken Sie warum keiner im Bus ist? Gefeiert haben sie alle."
"Ach ja, stimmt. Wie konnte ich das vergessen.", murmle ich gelogen.
"Pollito hat uns schon wieder zwei Tore geschenkt, was für ein Spieler, nicht?"
Ich habe weder eine Ahnung von wem er spricht, noch warum er ihn Küken und das auf spanisch nennt aber ich lächle einfach nur und nicke.
Mitlerweile trauen sich die ersten Menschen auf die Straßen die deutlich an Schlafmangel leiden, wie man an ihren zusammengekniffenen Augen, den Augenringen und der buckeligen Körperhaltung entnehmen kann.
"Man sieht sich Mademoiselle.", ruft mir der nette alte Herr noch nach nachdem ich mich ebenfalls freundlich verabschiedet hatte und bereits bei der 4. Station ausgestiegen bin.
Das Café in dem ich arbeite ist nicht zu übersehen obwohl es klein ist. Es liegt an einer Ecke an der viele Leute vorbeikommen dürften, wie an den ganzen leeren Bechern und Flaschen am Boden zu erkennen ist.

"Bonjour.", gebe ich mit selbstsicherer Stimme von mir als ich die beim öffnen raschelnde Türe ein Stück aufmache.
"Aaah, die Neue! Mila, richtig? Ach wie gut, dass du da bist. Ich bin Isabelle, freut mich, dass du so schnell kommen konntest!"
"Vielen Dank, dass Sie mir eine Chance geben ich..."
"Ach Schätzchen, ist doch selbstverständlich! Außerdem werden die Gäste deinen süßen Akzent lieben! Hier, die Schürze wirst du brauchen! Ein Block ist bereits drinnen für die Bestellungen und Tisch abräumen und abwischen sollte dir auch nicht schwer fallen, kassieren übernehme heute ich."

Nach diesem Überschuss an Informationen kann ich nicht anders als wie vorhin schon im Bus lächeln und nicken. Na wenn mich das mal nicht überfordert.

Ich habe nur kurz Zeit die Speisekarte durchzusehen bevor auch schon die ersten Kunden kommen die ich voller Optimismus bediene und die mir sogar 4€ Trinkgeld hinterlassen. Nicht gerade eine gute Summe, würden meine Eltern meinen, aber ich freue mich wie ein kleines Kind an Weihnachten wenn es seine Geschenke auspacken darf.
"Mila, alles in Ordnung bei dir?", erkundigt sich meine Chefin zwischendurch immer wobei ich ihr jedes mal nur die selbe Antwort geben kann: "Alles fantastisch."

Es ist bereits Nachmittag und alle Tische sind belegt, bis auf einen den ich gerade abräume und sauber wische.
"Entschuldigung, ist hier frei?", erschreckt mich ein Mann mit Kapuzenjacke und einer Kappe, mit welchen er anscheinend seinen ganzen Kopf bedecken möchte und der dabei kaum daran interessiert zu sein scheint wie dumm er damit aussieht.
"Ja, Sie können schon Platz nehmen, ich bin gleich bei Ihnen."
Als ich das schmutzige Geschirr in der Küche untergebracht habe und gerade wieder zu dem Kunden von vorhin gehen möchte, nimmt dieser seine Tarnung ab und ihr dürft drei mal raten wer es ist.

Fertig mit raten?
Okay, ich sag es euch einfach schnell.
DER Typ. Ihr wisst schon, der Franzose den ich kennengelernt habe. Also nicht der vom Umzugsservice oder der Busfahrer. Der andere. Mr Perfect.

Warum genau er sich so versteckt und erst als er drinnen einen Tisch hat sich wieder zeigt ist mir zwar ein Rätsel aber hey, jeder hat seine Macken. Vielleicht leidet er ja an Verfolgungswahn, wer weiß das schon. Das einzige was ich weiß ist, dass ich jetzt mit Sicherheit nicht zu ihm hin gehen werde. Mir ist heute nicht so nach blamieren, außerdem kenne ich nicht einmal seinen Namen. Andererseits, er kann sich auch sicherlich nicht mehr an mich erinnern, was soll ich also machen?
"Schätzchen, könntest du den Tisch bitte übernehmen? Ein richtiges Schnuckelchen, nicht? Nur keine Angst, er beißt dich nicht aber denk daran: nicht sabbern und deine Augen sollen ihn nicht anspringen. Nur Mut und Selbstbewusstsein, du hast Grund genug dafür.", zwinkert mich Isabelle ganz freundlich an als sie sich unauffällig an mir vorbeischmiegt. Ich schnaufe kurz durch, stelle mich aufrecht hin und gehe an seinen Tisch.
"Was darf ich Ihnen bringen?"

"Ich hätte gerne einen Cappuccino, Mila, nicht wahr?", grinst er mich spitzbübisch an, als er erst nach der Bestellung seinen Kopf von der Karte zu mir wendet.
"Ja, richtig. Ehm, Kommt sofort.", kommt es nur sehr schwer aus meinem Mund und ich schreibe hektisch dieses eine Wort auf meinen Block, tippe mit dem Stift darauf "Einen Cappucino."
Und dann versuche ich ganz gelassen davon zu kommen, was eher aussieht als ob ich mir in die Hose gemacht hätte, weil mein Gang immer noch sehr eingeschränkt ist wegen meiner Tollpatschigkei.

Ein Leben in Paris? - Antoine Griezmann FanficWo Geschichten leben. Entdecke jetzt