Kapitel 21

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Er stütz eine Hand neben mir ab, übertritt dabei die Grenze zwischen uns und lehnt sich noch ein Stück weiter vor.
Ach Gottchen, warum tut er das? Warum um Himmels Willen kann er nicht wie jeder andere Typ sein und mich links liegen lassen? Kann er mir bitte genau so viel Aufmerksamkeit schenken wie Cindy ihrem Gemüse, das ich jeden Tag unberührt wegschmeißen muss? Ich wäre sehr dankbar dafür.
Ihn dürfte es scheinbar nicht interessieren, dass ich unter einem extremen Schweißausbruch leide und bald die Lacken am Boden noch mehr füllen könnte. Ernsthaft, der Saft rinnt von meiner Stirn runter, als ob er noch nie etwas anderes getan hätte und was für ein Glück, bei meinen Händen schaut er auch noch vorbei, dass sie gleich von der Thekenoberfläche rutschen, weil ich mich daran festhalte wie ein Klammeraffe.
Im Moment kommt es mir so vor als ob die Zeit stehen geblieben ist, trotzdem bewegt er sich immer noch im Zeitlupentempo in meine Richtung. Macht er es extra so langsam, dass ich es noch rechtzeitig verkacken kann? Vielleicht knickt mein Arm ja ein und weil ich mich mit voller Kraft daraufstütze, könnte ich ja mit dem Kopf gegen die Platte knallen, auf der ich mich gerade unbehaglich fühle. Das wäre ja mal eine Glanzleistung meinerseits. Dann wäre es nicht nur peinlich, sondern ich hätte noch ein Cut auf meiner Stirn und ich müsste ins Krakenhaus und könnte ihm nie wieder in die Augen sehen weil er dann jedes Mal, wenn er mich sehen würde, daran denken müsste wie ich mit voller Wucht aufknalle. Filmen müsste es noch jemand, dann wäre es perfekt für so eine verblödete Sendung wie "Upps die Pannenshow" wo sich in jeder Folge mindestens ein Kind beim Dreiradfahren überschlägt oder von der Schaukel plumpst. Das ist ja auch soooo lustig. Ich jedoch könnte mal Abwechslung in das ganze bringen. Ich bin mir sicher, dass das noch kaum jemand geschafft hat. Mir würde ich es zutrauen, mit Bravour sogar, 10 von 10 Lächerlichkeitspunkten. Dann würde mein Bekanntheitsgrad so massiv steigen, dass ich in Talkshow-Sendungen eingeladen werden würde, wo ich dann jedes mal demonstrieren müsste wie dumm ich eigentlich bin.
"Alles okay?", flüstert er ganz leise und schaut mir kurz vor einem Zusammenstoß unserer Stirne in die Augen.
Ich könnte den Trick anwenden den mir meiner Oma früher mal beigebracht hat. Immer wenn ich nervös bin, soll ich mir die Menschen mit einer Clownsnase vorstellen. Oder in Unterwäsche. Unterwäsche wäre in dieser Situation eher kontraproduktiv. Das mit der Nase gestaltet sich auch etwas schwierig, weil ich sie auch bei langem Suchen nicht finden würde. Er ist schon ziemlich nahe und jetzt doof nach unten schielen könnte eventuell auch etwas anderes bedeuten. Es reicht wenn ich mich anderwertig blamiere.
"Ehmm... Also eigentlich...", stammle ich vor mich hin und weiß dabei nicht einmal selbst was genau ich sagen möchte. Vielleicht sollte ich mir einfach mit Superkleber den Mund verkleben, dann wäre eines der größten Probleme auf dieser Welt schon weg. Meine Stimmbänder die sich einfach nicht zurückhalten können. So sehr ich sie auch anflehe, sie bringen meine Lippen immer dazu sich zu öffnen um dann den dümmsten Bullshit überhaupt von sich zu geben. Außerdem klinge ich wie ein schreiender Babyaffe dem man einen Zementblock auf die Füße geschmissen hat. Unausstehlich.
Okay, ich sollte jetzt nicht die Nerven wegschmeißen. Nicht dass ich mir die Nervenbahnen wirklich rausreißen würde um sie dann in einem lodernden Lagerfeuer zu vernichten. Ich meine es eher metaphorisch. Sagt man das so? Wenn ich nervös bin rede ich immer so viel und schnell und ich kann nicht mehr aufhören, weil ich in so einem Redefluss drinnen bin der nicht einmal von herabfallenden Kühen gestoppt werden kann und dann rede ich so viel Schwachsinn, was mir im Nachhinein so peinlich ist, dass ich mir am liebsten eine Tüte mit zwei Löchern für meine Augen aufsetzen würde um dann mit einem Schreikrampf in meinem Bett zu landen, was ich übrigens für die nächsten 2 1/2 Jahre nicht verlassen würde und....
Puh.
Zu viel auf einmal. Seht ihr was ich meine? Ich schaffe es immer wieder alle Leute zu verkraulen. Insgeheim ist Cindy ja auch ein Grund warum ich überhaupt soziale Kontakte haben werde. Sie ist immer diejenige die mich in Konversationen mit Fremden verwickelt. Die meinen dann zwar meistens 'ach was ist dass denn für ein liebes Hundi Wuffi Baby Bärchen', aber in Wirklichkeit denken sie sich nur 'Na wenn die das Tier noch mehr mastet, kann sie beim Fleischer bald einen Tonnenpreis dafür verlanen. Das arme Tier, ich streichle es mal lieber weil es von diesem assozialen Kind bestimmt keine Liebe bekommt'. Das SAGT zwar niemand, aber der Großteil denkt sich sicher soetwas. Ganz bestimmt sogar. Ich könnte Cindy auch auf den Bauch legen und ihr einen Schubser geben, dann könnte sie ganz alleine Gassi 'rollen' und ich könnte Menschen aus dem Weg gehen, die mich in eine Lage wie diese hier momentan versetzen würden.
Außerdem, was will Antoine eigentlich von mir? Hat er Mitleid weil ich 'forever alone' bin und man mir das ansieht? Ein anderer Grund fällt mir auf die Schnelle nicht ein, ich würde ja noch gerne weiter darüber grübeln, aber die Zeit um mir Gedanken darüber zu machen ist ziemlich kanpp. Mein herumgestammle hat ihn zwar für kurze Sekündchen gestoppt, abgehalten von dem was er machen möchte hat es ihn aber trotzdem nicht, sonst würde er nicht sein zweite Hand neben meinem anderen Oberschenkel legen, was nebenbei bemerkt eine akrobatische Hochleistung für mich wäre. Ich komme nicht mal mit den Fingerspitzem zur Hälfte meines Schienbeins und er verenkt sich nur um direkt vor mir zu sein. Es ist ja nicht so als ob er runterspringen könnte um sich wie ein normaler Menschen auf seine zwei gesunden Beinchen zu stellen. Nein. Es muss immer alles kompliziert sein. Einfach existiert weder in meinem, noch in seinem Wortschatz des alltäglichen Leben.
"Wir sollten lieber wieder arbeiten...", flüster ich ganz leise.
"Willst du wieder den Raum aufhübschen indem du dich wie ein Kartoffelsack hinstellst?", lächelt er frech ohne auch nur einen Mikrometer nach hinten zu schnellen. Er bleibt dort wo er ist. Spührt er nicht dieses Unbehagen? Also ich schon. Nicht mal mein dummes Gelaber kann ihn stoppen. Dann muss ich mich also doch verletzen... Oder ich warte einfach was passiert. Eine höhere Macht sollte ihn lieber davon abhalten. Ich bin anscheinend unfähig dazu.
Hinter uns beginnt es plötzlich laut zu werden und Antoine schrickt zurück. Ach. Komische Geräusche helfen? Wenn ich das eher gewusst hätte, hätte ich meine Kuh-Imitation gebracht.
Um einen kurzen Blick auf das zu erhaschen was mich gerade noch aus einer komischen Situation gerettet hat, versuche ich mich zum Schaufenster umzudrehen. Es bleibt jedoch nur beim Versuch. Antoine reagiert blitzschnell, zieht mir die Kaputze seiner Jacke, die ich immer noch trage, über meinen Kopf, springt von der Theke und hebt mich runter um dann nach meiner Hand zu greifen und schnell in einen anderen Raum zu gehen. Was war das für ein Geräusch? Und warum verdeckt er mich? Ich hätte besser hinhören sollen. Stattdessen habe ich keine Ahnung von irgendetwas. Und wo ist Isabelle?

Ein Leben in Paris? - Antoine Griezmann FanficWo Geschichten leben. Entdecke jetzt