Kapitel 5

4.1K 129 13
                                    

Innerlich ärgere ich mich gerade so extrem, dass ich mir selbst gerne eine gewaltige Ohrfeige geben würde, aber nach außen darf ich mir bloß nichts anmerken lassen, also bin ich ganz seelenruhig und lächle einfach nur. Wie eigentlich immer.
Ob es ihm wohl auffällt? Also was ich mir gerade denke und zu kompensieren versuche?
"Ja, gerne.", grinst er mich höflich an. Er hat es bemerkt. Sonst würde er mir nicht genau jetzt diesen einen Blick zuwerfen. Diesen selbstgefälligen Blick von dem mich jeder beteiligte Gesichtsmuskel provozieren möchte.
Er amüsiert sich an meiner Dummheit, na toll.
"Gut, dann sperre ich mal auf.", kommentiere ich etwas perplex und hilflos. Was genau mache ich jetzt mit ihm? Ich kann ihn ja nicht einfach wieder wegschicken? Ich bin vielleicht naiv und denke nicht immer nach bevor ich etwas sage, aber assozial bin ich bei weitem nicht.
"Und hier bist du gestern mit deinen Füßen hochgekommen? Du konntest ja nicht mal richtig aufsteigen.", schnauft er als wir die letzte Treppe hinaufstapfen.
"Ich bin ja nicht gegangen, ich hab mich mit aller Kraft das Gelände hochgezogen." Und dann präsentiere ich ihm meinen nicht vorhandenen Bizeps den er mit gespielter Bewunderung begutachtet.
"Also DAS nenn ich mal Muskelm, hier siehst du? Wenn du nur 0,2 Gramm abnimmst würde man ihn noch besser sehen! Achso nein, wie dumm von mir, das ist ja dein Knochen." Er tippt sich dabei auf den Kopf um seine Dummheit besser zum Ausdruck zu bringen. Hat er mir gerade indirekt versucht zu sagen, dass ich zu dünn bin?
"Also ich bin stolz auf mein Baby, ich nenne ihn Jay.", scherze ich stolz weiter und küsse meinen gerade getauften Oberarm.
"Jay also. Und ihr beiden seid sowas wie ein Paar?"
"Keine Sorge, er ist nur mein Bro Number 1."
"Ja klar, hätte ich mir fast denken können. Dein Freund wird sicherlich auf ihn eigersüchtig sein, pass nur auf, dass dir Jay nicht zu nahe kommt." Auf das will er also hinaus! Aber wenn er eine Freundin hat, kann ihm mein Liebesleben eigentlich ziemlich egal sein.
"Ich habe keinen.... Oh Gott, jetzt hätte ich fast wieder auf Cindy vergessen. Warum lenkst du mich auch dauernd ab?" Ich schließe die Türe auf und werde von einem ausrastenden Hund, der sich vor Freude nicht einkriegen lässt, begrüßt.
"Na du kleine Prinzessin. Kennst du mich noch?", beginnt er Cindy anzureden, die sich auch über seine Anwesenheit mehr als freut. Übel nehmen kann ich es ihr ja nicht...

"Möchtest du etwas trinken? Kaffee vielleicht?"
"Gerne."
Während ich in die Küche gehe und hektisch nach meinen aus Österreich mitgebrachten Espresso-Kapseln suche, beschäftigt er sich mit Ball werfen und beginnt dann meinen armen austickenden Hund mit Fußballtricks auszuspielen, obwohl der Ball kleiner als ein Tennisball ist.
"Du spielst Fußball?", versuche ich ein Gespräch zu beginnen.
"Ehm ja, so nebenbei ein bisschen.", kommt es aus seinem
Mund geschossen und nachdem ich ihm eine Tasse in die Hand drücke sieht er sich etwas im Raum um.
"Du scheinst ja auch ziemlich daran interessiert zu sein.", meint er mit weit aufgerissenen und geschockten Augen. Findet er das schlecht?
"Ja, ich hatte aber kaum Zeit dafür die letzten Monate wegen meinem Abschluss und so weiter. Ich konnte mich nichtmal auf die EM hier vorbereiten, komisch, nicht wahr?"

"Ach, da verpasst du sicher nichts.", meint er mit seltsam hoher Stimme. Er beginnt sich merkwürdig zu verhalten. Ist er doch ein Creep und nicht der für den ich ihn gehalten habe? Verdammt, jetzt ist er in meiner Wohnung!!
"Ich habe nur heute Morgen mitbekommen, dass Frankreich gut sein soll. Der Busfahrer hat mir von einem Spieler erzählt, wie hieß er nochmal? Ich glaub sein Spitzname war Küken."
Das dürfte ihm den Rest geben und jetzt weiß ich endlich was mir nicht an ihm gefällt. Er ist nicht ehrlich zu mir.

Ladies and Gentlemen, Antoine, wie auch immer er mit Nachnamen heißt, ist NICHT perfekt. Ich wiederhole: er hat Ecken und Kanten!
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie mich das freut. Vielleicht hilft mir diese Erkenntnis meine kleine Verschossenheit in ihn zu minimieren.

"Achso ja, der soll gar nicht so gut sein, hatte nur etwas Glück." Er fährt sich mit unbehaglicher Miene durch die Haare.

"Der Kaffee war echt gut, danke.", unterbricht er eine kurze Stille.
"Kein Problem.", lächle ich ihn nur kurz an. Mit welchem Thema könnte ich ein Gespräch beginnen? Warum ist das alles so schwer?

"Schön hast du's hier, echt. Zwar klein aber sehr niedlich. Passt zu dir."
Himmel sei Dank, er redet wieder normal. Aber ob er das ernst meint oder ob es reine Verarsche ist kann ich echt schwer sagen.
"Ach, findest du?"
"Ja, finde ich.", kommt mit sanfter Stimme zurück bevor wir uns eine Zeit lang nur gegenseitig anstarren.
"Alles okay bei dir?", fragt er nachdem ich mich etwas beschämt wegdrehe und sichtlich angespannt bin.
"Ja natürlich."
"Wir können uns auch auf deinem Balkon setzen, sieht echt gemütlich aus da draußen." Er zeigt freudig nach draußen und scheint sich selbst gerne auf die Schulter klopfen zu wollen für diese großartige Idee.
"Ja können wir, stellst du bitte einen 2. Sessel nach draußen, ich hole ein paar Snacks." Ich habe keinen Hunger, glaubt mir. Wenn ich so nervös bin kann ich nichts essen, aber ich brauche ein paar Minuten um mich ein bisschen zu fangen. Seine Anwesenheit überfordert mich gerade etwas. Warum muss er auch alles so sagen, dass es eine Anmache und gleichzeitig auch eine Verarsche sein kann? Und was mach ich eigentlich mit ihm draußen? Reden? Über was denn? Und von anschweigen habe ich heute auch schon mehr als genug... Warum will er überhaupt hier bleiben?

"Kommst du?", höre ich ihn ganz leise rufen. Okay. Tief durchatmen und ruhig bleiben.
"Ja sofort, ich zieh mich nur noch schnell um." Ich hätte zuerst nachdenken sollen bevor ich soetwas sage. Was soll ich denn anziehen? Schon klar, meine Arbeitsklamotten sind alles andere als bequem und stehen tun sie mir auch nicht perfekt, aber kann ich mir einfach so eine Jogginghose und ein Shirt anziehen? Andererseits will ich ja offiziell nichts von ihm, da kann er mich schon in meinem Penner Outfit sehen, oder kommt das blöd rüber? Ich will ja auch nicht wie eine Getto Tusse aussehen oder gar wie Cindy aus Marzahn.
Kurz vorm Verzweifeln nehme ich einfach meine schwarze lange Jogginghose und ein eng anliegendes zartrosa Kurzarmleibchen mit kleinen Stickerein am Dekolleté, made by H&M, also echt nichts aufregendes, aus meinem Schrank und schlüpfe schnell hinein.
"Ich habe leider nur mehr ganz normale Chips zu Hause, zum Einkaufen bin ich leider noch nicht gekommen.", erscheine ich im Türrahmen mit einer Schüssel in der Hand.
"Chips sind doch perfekt, mehr brauchen wir doch nicht und jetzt setz dich, die Sonne geht gleich unter." Er klopft mit seiner Hand auf den freien Sessel nahe der Türe, er selbst hat sich ins Eck gesetzt mit den Füßen auf einen kleinen Tisch gelegt.
Die meisten würden jetzt einen Herzkasperl bekommen und es als Unverschämtheit sehen was er da tut, aber genah dafür habe ich den Tisch gekauft also Leute, keine Sorge. Das macht ihn nicht gleich zu einem schlechten Menschen, was meine Mutter aber als Grund sehen würde mir den Kontakt mit ihm zu verbieten.
"Hier, nimm mal." Ich drücke ihm den bedürftig aussehenden 'Snack' in die Hand und mache es mir gemütlich. Er wiederum beobachtet mich dabei und zeigt erst jetzt wieder sein ganzes Gesicht indem er seine lächerliche Verkleidung ablegt. Und ich dachte schon, dass er das nie macht.
"Schön hier draußen.", murmelt er scheinbar glücklich.
"Mhmmmm." Ich schließe meine Augen und genieße noch die restlichen Sonnenstrahlen.
"Mila, hey, mach die Augen auf, schnell!" Ich werde durch ein sanftes Rütteln geweckt und schrecke peinlich berührt auf.
"Was?"
"Die Sonne geht gleich unter, sie dir das an!" Er springt auf und lehnt sich mit den Unterarmen an das Gelände.
"Noch nie einen Sonnenuntergang gesehen?", frage ich ihn neckisch und stelle mich neben ihn.
"Doch, aber du siehst von hier aus sogar den Eiffelturm. Siehst du da drüben, ganz rechts hinten? Dort wohne ich die nächsten Wochen, meinen Großeltern gehört das Haus seit 50 Jahren..."
"Die nächsten Wochen?" Meine Stimme verschwindet bei jedem Buchstaben ein bisschen mehr. Was meint er damit?
"Ja, ich lebe den Rest des Jahres in Madrid. Beruflich.", antwortet er etwas nachdenklich.
"Oh." Mehr bekomme ich auch mit viel Mühe nicht heraus.
Der Himmel beginnt ganz blau zu werden und die lila gelb roten Akzente verblassen langsam. Sterne breiten sich großflächig aus und ich setze mich wieder in meinen Sessel. Antoine dreht sich nach mir um und nach einem Lächeln platziert er sich in sein Eck.

Irgendwann merke ich nur mehr wie meine Harre vom Wind herumgewirbelt werden und in meinem Gesicht landen, aber ich bin zu müde um mich darüber aufzuregen wie ich es sonst immer mache und schlafe einfach in der Kälte ein. Ob er noch da ist? Keine Ahnung. Ich kann mir auch nicht erklären warum ich einen Fremden in mein Haus lasse und mich dann nicht vergewissere, dass er es wieder verlässt und ich die Türe hinter ihm doppelt verriegle...

Ein Leben in Paris? - Antoine Griezmann FanficWo Geschichten leben. Entdecke jetzt