Kapitel 65: Alleine

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Am Auto angekommen holte ich erst einmal Luft. Schloss die Augen und versuchte nicht an Mar zu denken. Nicht daran zu denken, wie er auf dem Boden saß, wie der auf der Tasche lag und wie er nach mir gerufen hatte. Aber es war schwerer als gedacht.

Ich stellte den Korb am Auto ab und wartete auf Milo und Ethan, die kurze Zeit später mit meinen Sachen runter kamen. Ethan hatte es dann doch endlich geschafft Mar von meiner Tasche zu bekommen, da er diese in seinen Händen hielt.

Milo öffnete das Auto und die Zwei stellten alles rein. Fertig.

Nun hieß es wieder in unser Haus. Ich hoffte nur, das Elisa nicht da war. Sie wollte ich zusammen mit Mar am liebsten gar nicht mehr sehen.

„Und wohin willst du jetzt, Mama?", fragte Ethan und stellte sich neben mir ans Auto.

„Nach Hause.", beantwortete ich ihm die Frage und streichelte mir über den Bauch, der wieder knurrte.

„Nach Hause? Nach Elisa?"

„Ja Ethan. Wohin sonst? Ich habe noch keine eigene Wohnung, also muss ich in mein Zimmer zurück, aber ihr seid gerne eingeladen mir ab und zu Gesellschaft zu leisten!", sagte ich traurig lächelnd und schaute zu Milo und Ethan, die beide heftig mit den Kopf nickten.

„Das werden wir uns nicht zweimal sagen lassen.", sagte Ethan und umarmte mich. Ich tat es ihm gleich. Es war seltsam, aber es fühlte sich so familiär an.

„Sollte was sein, ruf sofort an, Mel. Wir sind für dich da, ok?", sagte Ethan als er sich aus der Umarmung löste. Ich nickte leicht.

„Danke. Danke für alles.", sagte ich und drehte mich zum Auto um. Da ich aber immer noch den Gips hatte konnte ich nicht fahren. Shit.

„Kann mir noch jemand das Auto bis bei mir vor der Haustüre fahren?", fragte ich leise und Ethan saß schon im Auto. Ich zog die Augenbraue hoch und schaute zu Milo, der Ethan den Vogel zeigte.

„Lass ihn fahren und wir gehen das Stück!", sagte ich und Milo schaute mich kurz an und nickte dann.

„Hier. Mel und ich gehen das Stück zu Fuß. Bis gleich.", sagte Milo und Ethan gab ziemlich viel Gas und fuhr mit quietschenden Reifen vom Hof. Mein armes Auto.

„Moment.", sagte ich und lief in die Küche zurück und holte meine Handtasche und verabschiedete mich von Tessa, Marvin und der Maus. Bedankte mich tausend mal für alles und versprach der Maus, dass ich sie morgen im Laufe des Tages besuchen kommen würde.

Egal, ob ich nicht mehr mit Mar zusammen war, aber von der Maus konnte ich einfach nicht fern bleiben. Und schließlich hatte sie nichts mit dem zu tun, was ihr Bruder gemacht hatte.

Ich lief zurück zu Milo und zusammen gingen wir langsam zu meinem Haus, vor dem auch schon Ethan am Auto stand und auf uns wartete.

„Wird auch Zeit. Hab deine Sachen schon in dein Zimmer getragen. Elisa ist nicht da. Alles schon gecheckt.", sagte er stolz und ich umarmte ihn noch einmal und bedankte mich wieder.

„Kommt ihr noch mit hoch?", fragte ich und beide schüttelten den Kopf.

„Ich muss gleich noch weg.", sagte Milo entschuldigend, auch Ethan sagte, dass er gleich noch weg müsste, aber sie würden Morgen vorbei kommen. Ich nickte und verabschiedete mich von beiden. Bedankte mich noch einmal und ging zur Haustür, drehte mich noch einmal zu den Beiden um und winkte ihnen zum Abschied zu. Verschwand in der Haustür und schloss sie.

Alleine.

Ich ging hoch in mein Zimmer und beschloss erst einmal meine Sachen wieder auszuräumen, alles roch nach Marlon. Scheiße. Das war doch nicht mehr normal. Ich ließ mich an der Wand auf die Erde rutschen und schloss meine Augen.

Alleine.

Ich vermisste das Chaos um einen herum. Das nervende Klopfen an der Tür, das Schreien der anderen. Das weinen der Maus und sogar die nervende Musik, die Tessa in der Küche immer an hatte. Es war ein komisches Gefühl wieder in mein 'altes' Leben zurück zu sein. Ich fühlte mich nicht mehr wie die neue Melody, nein, ich fühlte mich wieder wie die alte Melody, die mit den zu großen Sachen, die die sich im Zimmer verkroch und lernte, die die ich vor Marlon und der Gruppe war. Komisch, das es noch nicht einmal 10 Minuten gedauert hatte, dass ich dieses Gefühl hatte.

Alleine.

Ich musste raus. Ich stand auf, nahm mir mein Handy und meinen Schlüssel und lief runter und die Türe raus, schloss diese ab und lief zum Spielplatz. Es war unerträglich. Ich wollte nicht mehr zurück in alte Muster fallen, wollte nicht mehr die alte Melody sein.

Alleine.

Auf der Schaukel angekommen setzte ich mich und schaute in den Himmel, der massig Sterne zu bieten hatte. Es war Vollmond, super. Was sollte ich machen? Ich fühlte mich leer. Ich konnte es schlecht beschreiben, den ganzen Tag brauchte ich mir keine wirklichen Gedanken über Marlon zu machen, da mich die anderen ziemlich gut abgelenkt hatten. Auch, als ich ihn eben gesehen hatte war es mir egal. Aber wenn ich ehrlich war, redete ich mir alles nur ein.

Mir war das nicht egal. Ich liebte Marlon. Und wie ich ihn liebte, aber ich konnte ihm das nicht verzeihen. Er hätte seine Zunge in meinem Hals stecken können, aber nein, er nahm sich lieber irgendeine Hure. Wieso hatte er das gemacht? Ich verstand es nicht. Reichte ich ihm nicht mehr? War ich ihm wirklich so egal? Und was sollte mit dem Würmchen sein?

Eine bald alleinerziehende Mutter war ich, die weder eine Wohnung, noch wirklich Geld hatte. Das Leben hätte nicht besser laufen können.

„MANNNNNNNN!", schrie ich rum und stieß mich wütend mit den Füßen ab. Kaum war man alleine kamen die Gedanken. Das Leben hätte so schön sein können, aber dieser scheiß Typ musste alles kaputt machen. Fuck.

„Fick dich, Marlon. Fickkkk dichhhh richtig hart!", rief ich, auch wenn es mir nichts brachte, aber ich musste die Wut rauslassen, die Wut auf ihn - auf alles. Er hatte alles zerstört. Nur er. Verdammte Scheiße!

Und das war der Zeitpunkt, an dem mir doch wegen ihm die Tränen kamen. Den ganzen Tag über hatte ich sie verdrängt. Ich wollte nie weinen. Nicht, wegen seiner Fehler. Aber es ging nicht mehr. Alles war kaputt, obwohl es noch nicht einmal richtig angefangen hatte.

Wieso dachte er vorher nicht darüber nach? Wieso?

Ich schaute wieder zu den Sternen. Hier am Spielplatz hatte alles angefangen.

Die Erinnerungen an unsere Kindheit. Schon damals waren Mar und ich die perfekten Spielpartner. Grundsätzlich waren wir in einer Mannschaft, egal was gespielt wurde. Immer waren wir zusammen unterwegs. Wasserschlachten, Fußball, Fangen, Verstecken, die Straße mit Kreide voll malen. Immer zusammen, bis wir in die Pubertät kamen.

Als ich diejenige war die sich dank Elisa zurück gezogen hatte. Und nun sollte ich mich dank Marlon zurück ziehen? Nein. Ich wollte das alles nicht mehr. Die Wochen in denen ich so sein konnte wie ich war, waren die schönsten in meinem Leben. Ich wusste endlich was Leben war. Wie es sich anfühlte, wenn man Freunde hatte, wenn man Spaß hatte.

Auf dem Spielplatz kamen wir vor 2 Wochen zusammen. Hier, hier an der Schaukel. Immer wieder verband mich mit diesem Ort etwas. Hierhin lief ich, als ich von der Schwangerschaft erfahren hatte. Hier fand mich Milo. Irgendwas hatte dieser Ort.

Und dieser Ort verband mich immer wieder mit Marlon.

Ich wusch mir die Tränen weg und stand von der Schaukel auf, ging am Klettergerüst vorbei und strich mit der Hand drüber. Erinnerte mich, als Mar damals darunter fiel und ich schnell zu Tessa laufen musste, weil er blutete und so tat, als wenn er sterben würde. Ich lächelte leicht und ging zurück zur Straße und machte mich langsam wieder auf den Weg zum Haus.

Alleine. Alleine mit dem Würmchen. Alleine in eine ungewisse Zukunft. Alleine. Ganz alleine.

Summer MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt