Der Schrei eines Vogels ließ sie zusammenzucken und die Augen aufreißen. Erschreckt durch die plötzliche Bewegung der jungen Frau flüchtete ein Gecko blitzschnell über den schneeweißen Sand in das rettende Grün eines Strauchs.
Sie lag auf dem Bauch, die Arme leicht angewinkelt. Ihr nasses, langes, blondes Haar breitete sich wie ein Schleier um und über ihren Kopf herum aus und einige Strähnen klebten in ihrem Gesicht. Der dumpfe Schmerz beim Öffnen ließ sie erahnen, dass ihre Augenlider geschwollen waren. Auch das Brennen ihrer vollen Lippen ließ nichts Gutes erahnen. Auf ihrer rechten Wange brannte etwas. Überhaupt war ihr Körper ein einziger Schmerz. Je wacher sie wurde, desto mehr drängten sich brennende und pochende und ziehende Schmerzen in ihr Bewusstsein.
Unter großer Anstrengung gelang es ihr, sich auf den Rücken zu rollen. Sie atmete schwer. Das tiefe Blau des Himmels spiegelte sich im Grün ihrer Augen. Der bittere Geschmack von Blut in ihrem Mund jagte einen Schauer durch ihren Körper. Mühsam gelang es ihr, eine lange, blonde Haarsträhne aus ihrem Mundwinkel zu streifen. Die Palmenwedel über ihr raschelten im Wind. Sie kniff ihre Augen zusammen, als die Sonnenstrahlen direkt hinein stachen. Dröhnen - nein: Rauschen. Da war ein großes gewaltiges Rauschen in ihrem Kopf. Mühsam hob sie ihren Kopf und sah die Wellen gegen den Strand schlagen. Ein seichter Wind kräuselte die Oberfläche des Meeres. Auf dem Wasser brachen sich die Strahlen der Mittagssonne und erschufen die Illusion tausender, glitzernder Diamanten. Unter der Wasseroberfläche lagen Sandbänke und Korallengärten, die das Sonnenlicht in einem Farbenspiel aus smaragdgrün und azurblau zurückwarfen. Und inmitten dieser Korallenriffe lag eine Insel. Und auf dieser Insel lag sie. Mitten im nirgendwo. Kein Sonnenschirm. Keine Liege. Kein Hotel. Kein Bootssteg. Rein gar nichts. Außer ... ja, außer den Palmen, deren Wedel sich seicht unter einer Brise wiegten. Der weiße, feinkörnige Sand erstreckte sich beinahe makellos in das glasklare Wasser des Meeres.
An einigen Stellen wurden Seegras und Algen an den Strand gespült und dort, wo die ersten Sträucher und Palmen standen, war der Sand übersät mit bunten Blüten, die heruntergefallen waren. Je nach Laune trug der Wind den betörenden Duft exotischer Blumen vom Inselinneren mit sich, der sich mit dem Geruch nach Tang und Salzwasser mischte.
Am Strand waren kleine, weiße Einsiedlerkrebse emsig auf der Suche nach einem neuen Muschelhaus und hinterließen ihre Spuren im Sand. Rot-schwarze Krabben saßen auf Korallenfelsen, die an einigen Stellen aus dem Wasser ragten. Diese Aussicht könnte wunderschön sein, wenn, ja wenn nicht der Anblick ihres weißen, teils mit Blut verschmierten Hemdes, das nass an ihrem Körper klebte und durch das ihre sonnengebräunte Haut schimmerte diese Idylle stören würde. Ihre Shorts waren ebenso durchnässt wie ihr Hemd und an einigen Stellen zerrissen. Einige Schürfwunden färbten ihre sonst bronzene Haut rosa und rot.
Stöhnend sank ihr Kopf zurück in den weichen Sand. Sie würde sterben, dessen war sie sich sicher. Der Schwindel in ihrem Kopf und die drückenden Schmerzen hinter ihren Schläfen ließen wohl keinen Zweifel daran. Sie rang nach Luft und ihre Lungen schienen reißend zerbersten zu wollen. Ihre Stirn legte sich in Falten, als sie unter dem Schmerz der geschwollenen Lider ihre Augen wieder schloss. Bilder erschienen vor ihrem geistigen Auge und ein Gedanke schoss durch ihr Hirn: das ist er, der Film, den man kurz vor seinem Ende sieht ... so sagt man doch, oder?
Eine Insel, das Meer, ein paradiesischer Garten, Gesichter - dunkelhäutige und weiße, das verschwommene Gesicht eines großen, dunkelhaarigen Mannes ... In Sekundenschnelle flogen all diese Eindrücke an ihr vorbei wie auf einer großen Leinwand und in einem Schwindelanfall drehte sich alles. Endlich blieb dieser bizarre Film bei der Großaufnahme eines jungen Mannes stehen.
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Die Insel
RomanceValerie begleitet ihren Freund auf eine traumhafte Geschäftsreise nach Jamaika. Allein mit ihm weit weg von Zuhause bricht ihr bisheriges so sicheres Leben auseinander und Valerie muss sich alleine durchschlagen. Sie lernt den gut aussehenden und m...