Die Insel

2 SCHLÜSSEL

Bewältige eine Schwierigkeit und du hältst hundert andere von dir fern.

(Konfuzius)

Sie wusste, dass sie sich ihm ergeben musste, wenn sie heil aus dieser Geschichte herauskommen wollte. Es gab keine andere Möglichkeit. Zwei Wochen hatte er gesagt. Und was kam dann? Wenn er sie weiter auf die Art bestrafte, wie er es gestern getan hatte, dann würde sie bald verrückt werden!

Wenn sie sich aber ergab und einfach tat, was er von ihr verlangte, dann hatte er zumindest keinen Grund, sie zu bestrafen. Irgendwie schien ihm nämlich gerade das Bestrafen besonderen Spaß zu machen. Und diesen Spaß zumindest konnte sie ihm verderben. Sie durfte ihm einfach keinen Anlass mehr geben, sie zu bestrafen, auch, wenn sich tief in ihrem Innern eine Stimme meldete, die ihr sagte, dass Mark sicherlich immer Mittel und Wege und Ausreden finden würde, nur um Valerie zu bestrafen. Wahrscheinlich würde sie immer irgendetwas verkehrt machen! Dennoch erschien ihr der Gehorsam zunächst mal der erste Schritt. Sie brauchte Zeit, um nachzudenken und sich über einige Dinge klar zu werden. Das ging aber nicht, wenn sie ständig damit beschäftigt war, gegen Mark zu rebellieren und vor ihm davon zu laufen. Wenn sie ihm gehorchte, dann würde vielleicht so etwas wie Vertrauen entstehen und vielleicht hätte sie dann die eine oder andere Freiheit und somit ein wenig Zeit, einen klaren Gedanken fassen und später vielleicht so etwas wie eine Strategie planen zu können. Ausserdem könnte sie die Insel auskundschaften und Marks Verhalten analysieren und vielleicht ... vielleicht würde Mike sie in der Zwischenzeit finden ...

Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer war ihr, dass das ihre einzige Chance war. Heute würde Mike beginnen, nach ihr zu suchen und er hatte drei Tage Zeit sie zu finden, bis ihr Flieger nach Hause ging. Er wusste von der „Victoria" und er wusste von Mark. Und sicher gab es auch Aufzeichnungen über diese Insel. Schließlich musste irgendjemand dass hier ja alles gebaut haben ... und Mike war nicht blöd!

Andererseits war es sicher nicht verkehrt, auch selbst ein wenig zu erkunden, ob es eine Fluchtmöglichkeit gab. Und plötzlich wollte Valerie sich nicht mehr alleine auf Mike verlassen. Sie musste weg von hier; weg von der Insel; weg von Mark; nur weg, weg, weg!

Valerie setzte sich auf und ließ ihre Beine über die Bettkante baumeln. Ihr fiel auf, dass sie noch immer nackt war und sah sich im Zimmer um. Sie fand lediglich ein Handtuch, das ihr als Kleidungsstück diente und band es sich um.

Valerie dachte daran, dass ihre Sachen alle noch auf der „Victoria" waren. Ein Gedanke schoss durch ihren Kopf. Sie könnte sich unter dem Vorwand, ihre Sachen holen zu wollen, auf die „Victoria" schleichen und dabei erkunden, ob sie die Yacht irgendwie würde starten und steuern können.

Valerie stellte sich das Steuern einer Yacht nicht viel schwieriger vor, als das Steuern eines Autos. Und wer sagte eigentlich, dass es außer dem Weg durch das Riff, den sie bei der Anfahrt genommen hatten, nicht noch einen anderen, einfacheren Weg von der Insel weg gab?

Valerie war plötzlich seltsam aufgeregt. Ihren ersten Gedanken, Mark zu sagen, dass sie ihre Sachen von der „Victoria" holen wollte, verwarf sie allerdings. Er könnte es ihr ja auch verbieten und damit wäre sie wieder einmal Ziel seiner Bestrafung. Aber bis jetzt hatte er es ihr nicht ausdrücklich verboten....

Behutsam öffnete Valerie die Tür und lugte durch den Spalt. Mark war nicht zu sehen und im Haus schien alles still. Valerie schlüpfte hinaus und schlich die Treppe hinunter. Sie lehnte sich mehrmals über das Geländer, aber von Mark war weit und breit nichts zu sehen. Vorsichtig tastete sie sich endlich an der Wand entlang, dem Eingangsportal entgegen. Für ein paar Sekunden würde sie vom Pool aus zu sehen sein, wo sie Mark beim Frühstück vermutete. Valerie überlegte kurz, ob sie erkunden sollte, wo Mark sich gerade aufhielt, aber die Gefahr, dabei entdeckt und zur Rede gestellt zu werden, erschien ihr zu groß und so verwarf sie den Gedanken wieder.