5 GOLDENEYE

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Es sind nicht die Erfolge, aus denen man lernt, sondern die Fiaskos.

(Coco Chanel)

„Film 3, Foto 19 bis 36, Film 4, Foto 1 - 5: die Bucht von Negril, besucht am fünften Tag auf Jamaika. Aber weder Discovery Bay (ich berichtete vorgestern), noch Runaway Bay oder die Bucht von Negril ähneln der in meinem Traum. Aber das ist auch egal. Jede Bucht für sich ist ein Erlebnis. Ich bin froh, dass ich auf Muthu gehört habe und den Mietwagen genommen habe. Schade ist nur, dass Mike das alles nicht miterleben kann."

Sie machte eine Pause und blickte von ihrem Heft auf. Für einen Moment überlegte sie und kaute auf ihrem Bleistift, bevor sie weiterschrieb:

„Die letzten drei Nächte ist er gar nicht ins Hotel zurückgekommen, sondern hat mir nur eine Nachricht an der Rezeption hinterlassen. Er fehlt mir so ... ich würde diese Eindrücke gerne mit ihm teilen. Aber er muss arbeiten. Ich wusste es vorher und dennoch ... ohne ihn ist dieses Paradies nur halb so schön ...".

Sie schloss das Heft und legte es auf den Nachttisch. Für einen Augenblick starrte sie gedankenverloren darauf. Würde Mike heute Nacht ins Hotel kommen? Bis jetzt war keine Nachricht an der Rezeption für sie abgegeben worden und es war schon nach Elf!

Sie zweifelte nicht daran, dass Muthu, der Portier, der ihr so selbstlos seinen Reiseführer zur Verfügung gestellt hatte – was sie ihm mit zehn Dollar vergütet hatte - und der diese Woche zur Nachtschicht eingeteilt war, eine Nachricht von Mike sofort zugeleitet hätte. Es lag einfach an Mike. Aber schließlich war Mikes Arbeit der Grund, warum sie überhaupt hier war! Und Mikes Arbeit war auch der Grund dafür, dass sie bereits eine stattliche Fotosammlung mit den entsprechenden Kommentaren zusammengetragen hatte. Ein seltsamer Gedanke huschte durch Valeries Kopf. Mikes Arbeit war ein Teil dieses Urlaubs, denn nur durch seine Arbeit hatte sie schließlich so viel Zeit für sich und war überhaupt auf den Gedanken gekommen, dieses Tagebuch zu führen. Da Mikes Arbeit also ein Teil dieses Urlaubs war, könnte sie ihn doch bei der Arbeit fotografieren!? Warum war ihr dieser Gedanke nicht schon eher gekommen? Sie wusste zwar nicht, in welcher Diskothek Mike arbeitete, aber so viele Diskotheken mit Showlasern konnte es auf der Insel nicht geben. Entschlossen sprang sie auf.

„Muthu?", fragte sie vorsichtig, als sie niemanden an der Rezeption sah. Und im nächsten Augenblick kam er aus dem Hinterzimmer, schüttelte seine pechschwazren Locken und grinste sein weißes, breites Grinsen.

„Ah, Miss Valerie!"

Noch immer amüsierte sich Valerie über das von Muthu so stark gerollte „R" in ihrem Namen.

„Noch keine Nachricht von Mike!"

„Ja, ja. Schon gut.", wehrte sie ab und stützte sich auf die Theke. Dann sah sie ihm tief in die beinahe schwarzen Augen:

„Muthu ... welche Diskotheken gibt es auf der Insel, größere meine ich?"

Muthu wich langsam ein Stück zurück und sah sie beinahe von unten herauf schelmisch grinsend an. Dann sagte er:

„Vergnügen, häh? Abwechslung! Es gibt einige. Aber heute kein guter Tag für Besuch. An- und Abreisetag. Bis morgen... ich suche die besten raus, okay?"

Valerie lächelte zufrieden, stieß sich von der Theke ab und sagte:

„Okay!"

Valerie ging durch die Lobby und spürte plötzlich ein seltsames Kribbeln in ihrem Nacken. Ihre Hand fuhr in ihr Genick und sie dachte an einen Moskito. Doch als sie ihre Hand zurückzog war das nichts. Nein, dachte sie, es fühlt sich anders an ... wie ein ... brennender Blick? Langsam drehte sie sich um. Es war ein Gefühl des Beobachtet-Werdens. Sie hatte Muthu in Verdacht, doch als sie sich umgedrehte, war er längst im Hinterzimmer der Rezeption verschwunden. Das einzige, was sie aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, war eine Silhouette, die gerade durch den Eingang in die Nacht verschwand. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und ging zurück auf ihr Zimmer.

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