12 KREUZFAHRT

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Hüte dich vor dem Entschluss, zu dem du nicht lächeln kannst.

(Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein)

„Hast du ihr Gesicht gesehen?", fragte Valerie, als sie ausgelassen im Schein des Mondes die Stufen zum Deck der „Victoria" emporstieg. Sie verharrte auf einer Stufe, zog ihre Pumps aus und nahm sie in die Hand. Sie wedelte damit durch die Luft, während sie auf Mark, der hinter ihr die Treppe hinaufkam, herabblickte.

„Du meine Güte! Ich dachte, sie würde mich mit ihren Blicken töten!"

„Ja!", stimmte Mark ihr zu, „Das dachte ich auch! Aber Gott-sei-Dank hat sie es nicht getan!"

Valerie wandte sich wieder der Treppe zu. Vor ihren Augen verschwammen die Stufen und sie torkelte, fing sich gerade noch und setzte ihren rechten Fuß auf die nächste Stufe.

„Ups ...", stieß sie auf, „Vielleicht habe ich doch ein klitzekleines Gläschen zuviel getrunken!"

Sie atmete tief durch, bevor sie die nächste Stufe erklomm. Plötzlich kicherte sie:

„Diese Frau hatte nicht einmal einen Slip an! Sie hatte unter diesem breiten Gürtel, den sie wahrscheinlich einen Rock nennt, nicht einmal einen Slip an! Hast du das bemerkt?"

Und wieder drehte sie sich zu Mark und sah ihn an.

Mark grinste.

„Oh ja! Das habe ich! Und ihr Busen quoll frivol aus dem Oberteil heraus! Daran kannst du sehen, womit ich tagtäglich zu kämpfen habe. Verstehst du mich jetzt? Jedenfalls wird sie mich nach deinem Auftritt wohl endlich zufrieden lassen! Es war jetzt das vierte Mal, dass sie mich derart angemacht hat!"

Valerie täuschte Mitleid vor und verzog ihr Gesicht zu einer mitfühlenden Grimasse. Dann säuselte sie:

„Das hoffe ich auch, Schatz!"

Erneut kicherte sie und erklomm endlich die letzten Stufen. An Deck angekommen, rang sie nach Luft. Lag es an der „Victoria" oder an ihr selbst, dass sie das Gefühl hatte, zu schaukeln?

Mark, der direkt hinter ihr war, nahm ihren Arm und Valerie war dankbar, dass er ihr Halt bot. Mark führte sie zur Sitzgruppe und setzte Valerie auf das Sofa.

Er verschwand im Salon und kam kurz darauf mit zwei Drinks zurück. Valerie winkte ab:

„Oh nein! Wenn ich noch einen Drink nehme, dann falle ich in ein tiefes Koma!"

„Aber nein!", winkte Mark ab, „Dieser Drink ist ohne Alkohol. Ein Mix aus verschiedenen Säften."

Er ließ sich in die andere Ecke des Sofas fallen und für eine Weile saßen sie schweigend da und blickten in den zunehmenden Mond.

„Es ist wunderschön ...", bemerkte Valerie plötzlich, „Man hört nur das seichte Plätschern der Wellen. Eine solche Ruhe habe ich noch nie empfunden. Immer waren da andere Geräusche: Flugzeuge, Autos ... ich werde mich zu Hause gerne an diese Ruhe zurückerinnern!"

Zuhause ... ich weiß nicht einmal mehr, was ein Zuhause ist! Ist es da, wo man sich wohlfühlt? Da, wo man sein Bett stehen hat? Oder ist Zuhause nur so eine romantsiche Beschreibung des Ortes, an dem man am liebsten ist? Zuhause ... wie ist es, dein zu Hause?", fragte Mark. Valerie riss ihren Blick vom Mond und der silbernen Straße, die sein Schein auf die Oberfläche des Meeres zauberte los und versuchte, Marks Gesicht zu erkennen. Mark jedoch saß im Schatten. Valerie nahm ihren Drink in die Hand und blickte in das Glas, als ob sie dort eine Antwort lesen könne. Endlich sagte sie:

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