3 STRAFE

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Wenn man einen Menschen ändern will, muss man ihn erst einmal respektieren.

(Romano Guardini)

Die Sonne war gerade über der Insel aufgegangen und warf ihr goldenes Licht auf den Strand. Die Luft war klar und rein und ein lauer Wind wehte von Südwesten her über die Insel und ließ die Palmenwedel sich sanft darin wiegen. Mark lief rückwärts vor Valerie her und beobachtete sie.

„Was zum Teufel soll das, Valerie? Kannst du es nicht richtig machen oder willst du es nicht richtig machen? Du sollst richtig laufen ... die Knie höher! Ja, so ist es besser. Schneller, du musst schneller werden!"

Valeries Atem ging stoßweise und ihre Beine schienen schwer wie Blei, aber sie lief weiter und weiter.

Zuerst hatte Valerie sich geweigert, doch Marks erhobene Hand hatte ausgereicht, sie vom Gegenteil zu überzeugen und jetzt lief sie vor ihm her und fühlte sich elend. Bereits nach einer Runde hatte sie aufgeben wollen, doch eine heiße Hand auf ihrer Pobacke hatte sie weitergetrieben und sie wusste: weitere schmerzhafte Aufforderungen würden folgen, wenn sie aufgab, bevor er es ihr erlaubte.

Seit drei Wochen ging das nun schon so. Manchmal war Valerie drauf und dran gewesen, ihm ein Messer zwischen die Rippen zu stoßen und alle ihre guten Vorsätze über den Haufen zu werfen! Doch dann sagte sie sich, dass sie durchhalten musste, sonst würde es ihr niemals gelingen, ihn zu besiegen! Und sein Tod - so sehr sie ihn sich manchmal auch wünschte - würde ihr eher schaden als nützen!

Und so trieb Mark sie früh am Morgen aus dem Bett und jagte sie im Dauerlauf dreimal um die Insel bevor es Frühstück gab. Danach musste Valerie mindestens eine Stunde schwimmen und erst in der Mittagszeit hatte sie drei bis vier Stunden Zeit für sich. Am Nachmittag musste sie die ganze Insel mit einem Reisigbesen von heruntergefallenen Blüten und Blättern reinigen. Und jeden Tag sah der Strand erneut so aus, als ob sie ihn niemals vorher gefegt hätte! Der Sport und die ihr aufgetragenen Arbeiten machten sie meist so müde, dass sie abends nach einem Dinner, dass Mark für sie bereitete, erschöpft auf ihr Bett sank und es nicht jeden Tag schaffte, Eintragungen in ihr Tagebuch zu machen. Aber das erschien ihr auch gar nicht mehr so wichtig, denn die Tage der letzten drei Wochen waren vom Ablauf her ziemlich gleich gewesen!

Aber die Arbeiten, die sie verrichten musste, hatten auch gewissen Vorteile: Valerie kannte die Insel beinahe wie ihre Westentasche und auch ihre freie Zeit hatte Valerie genutzt, die nähere Umgebung über und unter Wasser näher zu erkunden. Die Insel war ein Atoll; sie war in Jahrtausenden aus einem Korallenriff erwachsen. Vorbeischwimmender Sand und Pflanzenreste hatten sich an den absterbenden Korallen angesammelt und weiter und weiter aufgetürmt, bis die Sandbank aus dem Wasser ragte. Angeschwemmte Samen hatten schließlich für die Begrünung der Insel gesorgt. Die Insel maß etwa 1000 Meter an den Längs- und 300 Meter an den Querseiten. Rund um die Insel waren Korallenbänke und –riffe unter Wasser zu bestaunen. Die Artenvielfalt der Fische in diesen Gewässern brachte bunte Akzente hinzu. Valerie hatte Rochen und Schildkröten bei ihren Schnorchelgängen bestaunen können. Sogar einer Mouräne war sie begegnet und am Riff auf der Rückseite hatte sie fast täglich kleine Schwarzspitzenhaie gesehen, die sich zwischen den Korallenbänken vor ihren größeren Artgenossen zu verstecken schienen. Eine wunderbare, handgroße Jakobsmuschel hatte sie gefunden, sie aber wieder zurück gelegt, als sie gesehen hatte, dass diese noch bewohnt war. In solchen Momenten hatte sie sich dabei ertappt, dass ihr die Insel und deren Umgebung gefiel! Die Insel konnte ja auch nichts dafür, dass sie hier war! Der Insel gab sie keine Schuld und auch der Natur um sie herum nicht. Gerade, wenn sie abends am Strand saß und die Sonne langsam im rot-gelben Zwielicht verschwand, dann fühlte sich Valerie seltsam frei.

Die InselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt