3 TRÄUME

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Nenne dich nicht arm, weil deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind!

Wirklich arm ist nur, wer nie geträumt hat.

(Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach)

"ON THE OCEAN". So stand es in großen leuchtenden Lettern über dem Hoteleingang, als Valerie und Mike das weiße, im Kolonialstil erbaute Hotel am Abend erreichten. Doch Valerie nahm es nur oberflächlich wahr. Sie wusste nur, dass sie ihr Ziel, Jamaika, inmitten des Karibischen Meeres, erreicht hatten und das sie selbst bald endlich in ein Bett fallen könnte und schlafen, schlafen, schlafen. Wider erwarten hatte der Flug anstatt einer drei Stunden Verspätung. Danach waren sie zwölf Stunden in der Luft gewesen und Valerie hatte in ihrer Aufregung nicht ein Auge zu tun können. Der Flug war wegen schlechten Wetters sehr unruhig gewesen und immer, wenn sie doch einmal eingenickt war, hatte ein Luftloch oder Mikes Stimme sie aus ihrem Halbschlaf zurückgeholt.

Auf Jamaika angekommen hatte das Warten erst richtig begonnen. Der Zoll hatte Schwierigkeiten mit den Show-Lasern, die Mike einführen wollte, obwohl die Papiere alle in Ordnung waren. Durchschläge, Kopien, Formulare, Rechnungen - sie konnte das alles nicht mehr sehen. Hinzu kam eine beinahe unerträgliche, feuchte Hitze, die ihnen direkt nach der Ankunft entgegengeschlagen war und die ihre Kleidung in feuchte, klamme Wäschestücke verwandelt hatte. Als Mike und Valerie den Flughafen nach vier Stunden endlich verlassen konnten war Valerie so müde, dass sie nicht einmal mehr fragte, wohin die Fahrt eigentlich ging. Sie nahm die eine Stunde im Taxi nur noch im Halbschlaf wahr. Mike und sie waren jetzt fast dreißig Stunden auf den Beinen. Doch nicht einmal die Aufregung oder die Neugierde konnte sie jetzt noch wach halten. Keiner von beiden sprach. Dazu waren sie viel zu erschöpft. Valerie schaffte es nicht einmal mehr, ihren Koffer auszupacken. Sie fiel nur noch auf das Bett und schlief sofort ein.

Valerie erwachte durch einen lauten Knall. Als sie die Augen öffnete, versuchte sie zu ergründen wo sie war. Aber sie wusste es nicht. Von einer inneren Unruhe getrieben setzte sie sich auf und blickte sich um. Erst jetzt drang ein wohlbekanntes gleichmäßiges Atmen an ihr Ohr. Sie blickte auf Mike hinab und allmählich kam ihre Erinnerung zurück. Jamaika! Wir sind auf Jamaika! Mitten in der Karibik! Gott, ich fühle mich, als hätte mich eine Dampfwalze überfahren! Ein gewaltiges Rauschen dröhnte durch ihren Kopf und sie glaubte, noch immer das Brummen der Motoren des Flugzeugs zu hören. Doch nach einigen Augenblicken begriff sie, dass es nicht in ihrem Kopf rauschte, sondern draußen.

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und stand auf, als sie etwas Seltsames auf ihrer klammen Haut spürte – weich, labberig ...! Ein Spinnennetz? Entsetzt fuchtelte sie mit den Armen, während ihre Haut sich kräuselte und ihr entfuhr ein kleiner Schrei. Während ihre Hände versuchten, sie aus diesem – was auch immer – zu befreien, spürte sie, dass es eine Art Gewebe war: fest und ... löchrig? Sie hielt inne und ließ ihre Finger daran entlang gleiten. Ein Moskitonetz! Ich blöde Kuh! Erleichtert stieß sie einen Seufzer aus. Langsam tastete sie sich zur Öffnung vor, schob das Moskitonetz beiseite und warf dem Ding noch einen kurzen, bösen Blick zu, bevor sie aufatmete. Dabei legte sich eine schwere, schwüle Feuchte wie ein Film auf ihre Lungen und erschwerte ihr das Atmen. So ging sie auf zwei große verschlossene Lamellentüren zu, durch die ein wenig Licht in den Raum fiel. Sie schob einen kleinen Riegel zurück und zuckte unwillkürlich zurück, als ihr ein Windstoß die beiden Türen aus den Händen riss und nach innen aufschwingen ließ. Die Wucht hätte sie beinahe zu Boden geworfen, doch mit einem gekonnten Schritt zurück konnte sie ihr Gleichgewicht halten, fing sich und starrte dann hinaus in eine tiefe, schwarze Dunkelheit. Der kühle aber feuchte Wind schlug ihr entgegen und innerhalb weniger Sekunden klebte ihr Nachthemd auf ihrer Haut. Doch das war ihr egal. Ihr strähniges Haar wehte im Wind und Valerie genoss den kühlenden Wind. In diesem Moment zuckte ein gleißender Blitz durch die Nacht. Valerie erschrak. Ihr wurde heiß und kalt und für einen Moment stockte ihr der Atem. Der Sekundenbruchteil grellen Lichts hatte die Gegend um das Hotel in ein bizarres Muster aus Formen und Farben verwandelt, aber die Konturen der Landschaft wurden vom herabfallenden Regen derart verwischt, dass Valerie nichts hatte wirklich erkennen können. Als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, begann sie zu zählen, um die Entfernung des Gewitters abzuschätzen. Jede Sekunde waren ungefähr eintausend Meter zwischen ihr und dem Zentrum des Gewitters: „Eins, zwei, drei, vier, fünf ...", erst dann folgte der Donner mit einem dunklen, gewaltigen Krachen. Valerie zuckte zusammen. Sie glaubte, ein Erbeben zu spüren, so gewaltig grollte der Donner. Tief in ihrem Innern hatte sie das Gefühl, als ob er etwas in ihr aufreisse. Unwillkürlich legte sie ihre Hände auf ihren Bauch. Doch das Gefühl war schon wieder fort.

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