8 VICTORIA

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Nichts auf der Welt ist so kraftvoll wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

(Victor Hugo)

Als Valerie am nächsten Morgen erwachte, waren ihre Augen geschwollen und ihre Glieder schmerzten. Sie hatte keine Lust aufzustehen, aber sie musste ja auch nicht. Niemand wartete auf sie und niemand vermisste sie. Müde wanderte ihr Blick zu den blauen Vorhängen, hinter denen sich ein blendend sonniger Tag verbarg und unwillkürlich trat das, was letzte Nacht passiert war, wieder in ihr Bewusstsein.

Noch einmal sah sie das Messer auf sich zukommen und sie fragte sich, wieso sie diese Möglichkeit bei all ihrem Training nicht in Betracht gezogen hatte!? Sie entschuldigte ihr Fehlverhalten mit mangelndem Training und erhöhtem Alkoholgehalt und auch für diese beiden Dinge war einzig Mike verantwortlich!

Mike! Der Gedanke an ihn war hinter den Geschehnissen der vergangenen Nacht in den Hintergrund getreten. Dennoch blieb der Schmerz, von ihm dermaßen betrogen worden zu sein.

Valerie verschränkte ihre Arme hinter ihrem Kopf und starrte jetzt gegen die weiß getünchte Decke. Er war ja überhaupt Schuld daran, dass sie hier in diesem Hotel war und letzte Nacht beinahe getötet worden wäre, wenn ... ja, wenn da nicht der Fremde gewesen wäre!

Valerie kaute auf ihrer Unterlippe. Nur widerwillig gestand sie sich ein, dass sie diesem Fremden ihr Leben zu verdanken hatte und auch, wenn ihr das im Augenblick nicht viel bedeutete, so hatte er doch sein Leben riskiert, um ihr zu helfen. Sie fragte sich, ob sie ihm in ihrer Aufregung überhaupt dafür gedankt hatte und überlegte fieberhaft, was sie eigentlich zu ihm gesagt hatte. Endlich kam sie zu dem Ergebnis, dass sie zumindest nicht besonders höflich zu ihm gewesen war! Eine Entschuldigung für ihr überspanntes Verhalten wäre sicher angebracht! Aber hatte er es mit seinem Macho-Getue nicht herausgefordert? Oder war sie einfach zu empfindlich gewesen?

Andererseits hatte sie so wenigstens einen Grund aufzustehen und nicht so selbstmitleidig im Bett rumzuliegen. Sie setzte sich auf. Der Gedanke an ihn schwirrte noch immer in Valeries Kopf herum. Was war so Besonderes an ihm, dass der Gedanke an ihn sie verfolgte? Vielleicht war es das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Zumindest konnte ein persönlicher Dank, nachdem sich die Gemüter beruhigt hatten, nicht schaden.

Valerie hatte geduscht und fühlte sich frisch, aber enorm hungrig. Sie schlüpfte in eine luftige weiße Leinenkombination aus langer Hose und langer Bluse und ging hinunter in den Frühstücksraum, war jedoch von dem ihr vorgesetzten Frühstück enttäuscht.

„Ist das alles?", hatte sie den Kellner mürrisch gefragt, nachdem er ihr zwei Scheiben Toast, etwas Butter, etwas Marmelade und eine Tasse Kaffee vorgesetzt hatte. Doch der Kellner hatte nur entschuldigend die Schultern hochgezogen und geantwortet:

„M'am können froh sein, überhaupt noch was zu bekommen! Andere Touristen denken gerade darüber nach, welches Menü sie zum Mittag haben wollen!"

Valerie hatte verstohlen auf ihre Uhr geblickt und festgestellt, dass es Elf Uhr war, als ihr ein anderer Gedanke kam. Der Kellner hatte sich gerade zum Gehen gewandt, als Valerie ihn fragte:

„Sagen sie ... kennen sie den „Caribbean Reggae-Night Club"?"

Der Kellner war stehen geblieben und wandte sich ihr langsam und fragend blickend zu.

„Den Club kennt hier jeder!", sagte er, als ob ihre Frage eine Beleidigung gewesen wäre.

„Dann ... wissen sie vielleicht auch, wem er gehört?"

Jetzt hatte er sich ganz umgedreht, grinste übertrieben freundlich und kam an ihren Tisch zurück. Valerie kannte dieses Grinsen. Es würde sie ein paar Dollar kosten. Während sie auf dem ersten Bissen ihres Toasts kaute, kramte sie in den Taschen der weißen weiten Leinenhose und zog einen Geldschein hervor. Sofort war der Jamaikaner gesprächig:

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