4 URLAUB

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Die Abwesenheit von Alternative klärt den Geist ungemein.

(Henry Kissinger)

Sie hatte Mike nicht bemerkt, als er mitten in der Nacht gekommen war und sie hatte auch nicht bemerkt, wie er am nächsten Morgen das Zimmer wieder verlassen hatte. Alles, was von seiner vorübergehenden Anwesenheit zeugte, war ein zurückgeschlagenes Laken, eine Delle im Kopfkissen und eine Notiz auf ihrem Schreibtisch, dass sie auch heute nicht auf ihn warten solle und die Tatsache, dass seine Kleidungsstücke von gestern über einen Stuhl geworfen waren. Valerie war enttäuscht, dass Mike sie nicht geweckt hatte - weder in der Nacht, noch am Morgen. Der einzige Vorteil, den diese Situation in Valeries Augen mit sich gebracht hatte war, dass Mike sie wegen ihres Sonnenbrandes nicht hatte aufziehen können.

Aber was sollte sie jetzt tun? Sie konnte sich nicht an den Strand in die Sonne legen - so viel war sicher, denn allein das Aufstehen ließ ihr erneut schmerzlich bewusst werden, welchen fatalen Fehler sie gestern begangen hatte. Demzufolge war ihr erster Griff der nach der Lotion auf ihrem Nachttisch und sie rieb sich erneut damit ein. Wenn ihr Konsum weiterhin so enorm war, würde sie Julie eine neue Flasche Lotion kaufen müssen! Endlich wagte sie es, aufzustehen. Sie ging zu den großen Lamellentüren und zog sie auf. Die Sonne lachte ihr beinahe schadenfroh entgegen und als Valerie sie in ihrem Gesicht spürte, kam das Brennen wieder. Sie senkte ihren Kopf und blickte hinunter in den Hof. Der Duft von frisch gesprengtem Rasen stieg in ihre Nase. Der Ausblick vom Balkon war wundervoll: Bunte Blumenbeete säumten die Wege der Hotelanlage und einige Palmen streckten ihre Wedel vorwitzig bis an Valeries Balkon. Sie lächelte leise. Das hier war ein Paradies! Und das Bild, das sich ihr gerade bot, war ein Foto wert. Sie eilte zurück ins Zimmer und kramte den Fotoapparat hervor. Als sie den Innenhof mit seiner Blumenpracht fotografiert hatte, ließ sie die Kamera langsam sinken und betrachtete sie nachdenklich. Ein Gedanke schoss durch ihren Kopf, der sich zu einer Idee formte.

„Ja!", sagte sie entschieden, „Das ist es! Warum bin ich nicht eher darauf gekommen?"

Sie sah sich hektisch um.

Alles, was ich jetzt noch für ein brauchbares Reisetagebuch brauche, dachte sie, Ist ein Stift und etwas Papier! Am besten wäre ein kleines Buch! Und heute ist Montag! In irgendeinem Geschäft werde ich sicher etwas Brauchbares finden!

Zufrieden mit sich und ihrer Idee schlenderte sie ins Bad, ging unter die Dusche, schmierte sich dick mit Julies Lotion ein, zog sich später leichte, weite Baumwollkleidung über und verließ beschwingt ihr Zimmer.

Ein Reisetagebuch! Ich werde alles, was ich sehe, denke und erlebe hineinschreiben. Und ich werde immer eine bleibende Erinnerung an diesen wundervollen Urlaub haben! Und dass es ein wundervoller Urlaub wird, dafür werde ich ab jetzt sorgen! Was bleibt mir auch anderes übrig? Das Sonnenbaden kann ich die nächsten Tage vergessen!

An der Rezeption angelangt warf sie einen Blick auf die Tagesausflüge. Dann wandte sie sich an den Einheimischen hinter der Rezeption:

„Gibt es nur die Ausflüge am Freitag und am Montag?"

„Ja, M'am! Tut mir Leid! Zur Zeit keine Saison. In Saison jeden Tag Ausflüge."

Valerie blickte auf ihre Uhr und dann wieder auf den Aushang.

„Na, für den Montagsausflug ist es ja jetzt auch zu spät! Den habe ich wohl gerade verpasst, hm?"

Der Hotelangestellte nickte, nicht ganz sicher, was Valerie ihm damit sagen wollte.

Sie überlegte eine Weile. Ihr Vorhaben fing ja toll an! Die nächste Inselrundfahrt wäre also erst Freitag und genau damit hatte sie anfangen wollen! Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Als der Hotelangestellte sich räusperte, sah sie ihn fragend an.

„Verzeihung, M'am! Sie wollen Insel sehen? Warum nehmen sie nicht einen Mietwagen?"

Valerie musste ihn verdutzt angeglotzt haben, denn sein breites Grinsen zog sich beinahe von einem Ohr zum anderen und zeigte seine makellosen, weißen, geraden Zähne, die in seinem schwarzen Gesicht wie aufgereihte Perlen wirkten. Er fuhr unbeirrt fort:

„Mietwagen sind nicht so teuer und sie sehen mehr von der Insel, wenn sie selbst fahren, weil, sie können anhalten wo sie wollen!"

Valerie lächelte leise über sein beinahe perfektes Englisch. Er verstand es als stille Zustimmung. Und ehe Valerie irgendetwas sagen konnte, schwatzte er weiter:

„Oh, sie denken, sie haben nicht genug Geld, Mietwagen zu bezahlen? Kein Problem! Ich kann auf ihre Rechnung setzen und sie zahlen am Ende von Urlaub! Welche Zimmer Nummer haben sie, bitte?"

Auf die Rechnung? dachte Valerie und ein schelmisches Grinsen huschte über ihr Gesicht.

„Ja! Warum eigentlich nicht? Nummer 218!"

Zufrieden lächelnd schob er ihr ein Formular über die Theke und wandte sich ab während Valerie sich über den Mietvertrag für ein Golf Cabriolet beugte. Plötzlich hörte sie ihn hüsteln und blickte auf.

„Verzeihung, M'am ... ich sehe: Sie Nummer 218? Ihr ... äh ... Mann hat einen Wagen! Das wusste ich nicht! Wollen sie wirklich noch einen?"

Valerie lächelte charmant und der Mann hob entschuldigend die Schultern und sagte:

„Kein Problem! Muthu macht das für sie! Kein Problem!"

„Ach, sagen sie ...", begann sie zuckersüß, „Was ist das übrigens für ein Wagen, den mein Mann fährt?"

„Ist eine Limousine mit Klimaanlage. Hier ...", er hielt ihr den Mietvertrag unter die Nase. Valerie überflog ihn: Weißer Opel Astra Kombi, Kennzeichen JAM 01948.

„Danke, schon gut.", sagte sie zufrieden, beugte sich ein wenig vor und flüsterte:

„Sagen sie ... äh Muthu?", sie wartete ab, ob sie seinen Namen richtig ausgesprochen hatte und als er freudestrahlend nickte, fuhr sie fort: „Nur so unter uns - wohin sollte man denn hier auf der Insel fahren? Ich meine, was sollte man sich ansehen?"

Der Jamaikaner nickte wissend und sagte:

„Ah, M'am sind zum ersten Mal hier, hä? Ich verstehe!"

Er holte ein abgegriffenes Heft hervor, blickte nach rechts und links und flüsterte dann:

„Das hier ist guter Stoff. Steht alles drin, was man auf Jamaika gesehen haben muss! Ich leihe ihnen - umsonst! Service von Muthu!", fügte er großzügig hinzu, tippte sich auf die Brust und Valerie verstand. Dieser Service würde sie bei Gelegenheit ein entsprechendes Trinkgeld kosten.

„Das ist sehr großzügig, Muthu! Mein Name ist Valerie Mansing. Nennen sie mich Val. Das tun fast alle!"

„Sehr großzügig, M'am, Valerie!"

„Einfach Val! Das reicht!", sagte sie lachend und deutete auf den Automietvertrag, den Muthu ihr gegeben hatte:

„Also ich denke: ich nehme einen Mietwagen, aber nicht unbedingt ein Cabriolet!"

Muthu grinste sein breites Grinsen, während sein Blick über Valeries sonnenverbranntes Gesicht wanderte:

„Ich verstehe schon! Aber das ist kein Problem! Cabriolet hat automatisches Dach, M'am Valerie! Die ersten Tage können sie geschlossen fahren und wenn das Feuer auf ihrer Haut besser ist, dann können sie offen fahren! Ist angenehmer auf der Insel! Frischer Wind geht immer!"

Valerie zog skeptisch ihre linke Augenbraue hoch, während sie Muthu musterte. Doch sein zuversichtliches Grinsen ermutigte sie. Und obwohl sie sich sicher war, dass er das alles nicht ganz uneigennützig tat – sicher verdiente er seinen Anteil bei der Vermittlung des Autos - füllte sie den Mietvertrag aus, kritzelte ihre Unterschrift auf die drei Durchschläge und nahm keine zehn Minuten später den Schlüssel in Empfang.

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