7 KARIBISCHE NACHT

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Die glücklichsten Begegnungen verdanken wir dem Zufall.

(Ciacomo Girolamo Casanova)

Valerie erwachte durch Musik. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte oder wo sie war, denn um sie herum war alles dunkel. Erst allmählich traten einige Konturen vage hervor. Sie setzte sich auf und als sich ihre Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten, entdeckte sie über dem Bett einen Lichtschalter. Vom eingeschalteten Licht zunächst geblendet versuchte sie, etwas zu erkennen und langsam wurden aus dunklen Schatten Wände und Möbel, bis Valerie das Hotelzimmer wieder erkannte. Es roch muffig und Valerie stockte der Atem in der schwülen, feuchten Luft. Sie hielt Ausschau nach einem Fenster. Hinter einem blauen Vorhang fand sie eines und ließ die Flügel weit aufschwingen. Erst jetzt erkannte sie, dass es Nacht war. Eine frische Brise kam vom Meer herüber und strömte ihr entgegen und Valerie atmete, als ob es das erste Mal wäre. Die Reggae-Rhythmen, die sie geweckt hatten, drangen jetzt sehr viel lauter an ihr Ohr und Valerie suchte ihre Quelle. Sie blickte hinunter in den Hof, konnte dort jedoch keine Aktivitäten erkennen. Etwa fünfhundert Meter weiter sah sie eine bunt erleuchtete Hütte am Strand. Von dort kam die Musik.

Ärgerlich dachte sie, dass es um ihre Nachtruhe hier wohl nicht sonderlich gut bestellt war. Wie sollte jemand bei so lauter Musik schlafen können?

Enttäuscht wandte sie sich ab und blickte auf ihren Koffer auf dem Bett. Die Erinnerung kam zurück und mit ihr die Tränen.

Was will ich eigentlich hier? dachte sie deprimiert, Vielleicht hätte ich doch besser nach Hause fliegen sollen!?

Doch jetzt war es zu spät. Sie erinnerte sich daran, vierzehn Mal Übernachten mit Frühstück an der Rezeption gebucht zu haben und sie dachte, dass sie mit diesen knapp dreihundert Dollar immer noch günstiger wegkam, als wenn sie einen Flug nach Hause für achthundert gebucht hätte. Aber das steigerte ihre Laune auch nicht. Lustlos ging sie zu ihrem Koffer und öffnete ihn. Vielleicht würde es ihr besser gehen, wenn sie ihre Sachen erst einmal ausgepackt hatte.

Muthu hatte Recht gehabt mit seiner Empfehlung. Als Valerie das Bad betrat stellte sie zufrieden fest, dass es tatsächlich sauber war. Sie stellte ihre Toilettentasche auf das Waschbecken, als ihr Blick plötzlich in den Spiegel darüber fiel. Valerie erschrak. War das wirklich ihr Gesicht, das sie aus dem Spiegel ansah? Ihre Augen, ihre Nase und ihre Wangen waren rot und geschwollen. Spuren von Tränen schimmerten noch immer vereinzelt in ihren Wimpern. Vielleicht würde eine Dusche etwas Frische in ihr Gesicht und auch in ihren Körper zurückbringen, doch zunächst wollte sie den Koffer ganz auspacken.

Duschen hatte in vielen Lebenssituationen eine beruhigende und ausgleichende Wirkung auf Valerie. Hinterher hatte sie das Gefühl, den Dreck, den Schweiß und sogar etwas von ihrem Kummer mit dem Wasser durch den Ausguss gespült zu haben. Sie fühlte sich ein wenig besser, als sie aus der Dusche kam. Sie setzte sich auf das Bett und ihr Blick fiel auf ihre Handtasche, aus der eine Ecke ihres kleinen Reisetagebuches vorwitzig hervorlugte. Valerie grinste müde und zog es hervor.

„Fühlst dich wohl benachteiligt, wie? Da geht es dir wie mir!"

Sie blätterte ein wenig in ihren Aufzeichnungen und las:

„Film 3, Foto 19 bis 36, Film 4, Foto 1 - 5: die Bucht von Negril, besucht am fünften Tag auf Jamaika. Aber weder Discovery Bay (ich berichtete vorgestern), noch Runaway Bay oder die Bucht von Negril ähneln der in meinem Traum. Aber das ist auch egal. Jede Bucht für sich ist ein Erlebnis. Ich bin froh, dass ich auf Muthu gehört habe und den Mietwagen genommen habe. Schade ist nur, dass Mike das alles nicht miterleben kann. Die letzten drei Nächte ist er gar nicht ins Hotel zurückgekommen, sondern hat mir nur eine Nachricht an der Rezeption hinterlassen. Er fehlt mir so ... ich würde diese Eindrücke gerne mit ihm teilen. Aber er muss arbeiten. Ich wusste es vorher und dennoch ... ohne ihn ist dieses Paradies nur halb so schön.

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