Ist Liebe genug?

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Ich habe jegliches Zeit und Raumgefühl verloren, ich könnte erst ein paar Minuten in diesem Raum sein, aber auch schon Stunden. Ich weiss es nicht. Meine Hände habe ich auf meinen Mund gepresst, meine Lungenflügel krampfen sich bei jedem Atemzug zusammen. Es tut weh zu atmen, am liebsten würde ich es einstellen. Doch das lässt mein Körper nicht zu, also stehe ich da und habe keine Ahnung wie lange ich schon so verharre. Wie kann das sein? Wie kann das sein, dass ich nie etwas bemerkt habe? Gab es Anzeichen und habe ich diese ignoriert? Wieso besitzt Miles so einen Raum? Und sind das wirklich seine Bilder und seine Krankenakte die auf dem Boden verstreut liegt? Auf diese Fragen besitze ich keine Antwort. Noch nicht.

Ich brauche aber Gewissheit, brauche irgendwelche Informationen. Als hätte jemand mit den Fingern geschnipst löse ich mich aus meiner Starre und sammle die Blätter ein. Lege sie auf dem Schreibtisch aus und überfliege den Inhalt. Das meiste kann ich sowieso nicht lesen da es auf Arabisch geschrieben ist. Doch einige Dokumente sind in Englisch verfasst worden. Wie ein Süchtiger der auf der Suche nach neuem Stoff ist, lese ich die Texte durch. Überfliege das Kauderwelsch das jemand auf dieses Papier getippt hat und bin noch verwirrter als vorher. Alles was ich daraus lese ist, dass dieser Mensch ziemlich krank ist. Ich kenne diese Wörter nicht, die Wörter die beinahe eine Zeile lang sind und die ich kaum aussprechen kann.

Es ist als hätte jemand diese Briefe in einer verschlüsselten Sprache geschrieben damit es niemand lesen kann ausser demjenigen der ebenfalls diese Sprache versteht. Innerlich weiss ich, dass ich nur Gewissheit bekomme wenn ich Miles darauf anspreche. Aber wie soll ich das machen? Immerhin weiss ich nicht wo er ist und ausserdem ist es sein Geburtstag. Wie viele Geburtstage wird er wohl noch erleben? Nach diesen Dokumenten zu urteilen, nicht mehr viele. Aber ich habe keine Ahnung was er hat und diese Ungewissheit bringt mich beinahe um. Entschlossen verlasse ich den Raum und mache mich auf die Suche nach Miles, doch dieser bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Im Ballsaal habe ich sowieso keinen Überblick, also suche ich ihn in seinen Räumen. Doch weder in seinem Arbeitszimmer noch in seinem Schlafzimmer kann ich ihn finden. Ich drehe mich einmal um die eigene Achse und könnte mir die Haare herausreissen. Jedes einzelne. Wie kann es sein, dass er unauffindbar ist? In seinem eigenem Palast?

Erschöpft setze ich mich auf sein Bett und starre die Tür an. In der festen Überzeugung, dass er jeden Moment durch sie hindurch schreitet und mir Rede und Antwort steht. Der letzte Teil ist wohl mehr eine Wunschvorstellung als der Realität entsprechend. Immerhin hat er mich die ganze Zeit angelogen. Hat er das überhaupt? Nicht einmal das weiss ich genau. Er hat es verschwiegen, aber macht das ihn gleich zu einem Lügner? Während ich über diese Frage nachdenke vergehen Minuten über Minute. Es ist als würde die Zeit stehen bleiben, mich damit quälen weil ich mich umgesehen und den falschen Raum gewählt habe. Je mehr Zeit vergeht, desto schneller schiessen mir die Fragen durch den Kopf. Ich kann sie aber nicht alle einfangen und wenn der Moment dann da ist, werde ich wohl keine dieser Fragen stellen. Doch, und da bin ich mir sicher, eine Frage werde ich stellen. Die Frage nach dem Was. Was hat er, diese Frage quält mich immer mehr. Was wenn es tödlich ist? Was machen wir dann? Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ich schrecke hoch als ich die Tür aufgehen höre. So schnell wie noch nie bin ich auf den Beinen und mache das Licht an. Ich sehe Miles wie er mich überrascht ansieht und auf mich zu kommt.

„Wo warst du die ganze Zeit? Ich habe nach dir gesucht." Das wollte ich eigentlich sagen, aber ich lasse es. Eigentlich weiss ich gar nicht wie ich anfangen soll. Welche Frage ich zuerst stellen soll. „Ach wirklich? Ich habe dich auch gesucht. Ich habe dich aus dem Ballsaal gehen sehen und wollte dir hinterher, habe dich aber nirgends gefunden." Er zieht sein Jackett aus und lockert die Krawatte, doch er sagt nichts. Weder wo er gewesen ist noch sonst etwas. Sollte mir das verdächtig vorkommen? „Ich musste kurz telefonieren. Es ging um etwas Geschäftliches. Das du mich nicht gefunden hast, ist komisch denn ich bin gleich danach wieder zu meinen Gästen gegangen." Ich weiss nicht was ich davon halten soll. Immerhin habe ich diesen Raum entdeckt. „Vielleicht haben wir uns einfach verpasst." Miles nickt und will mich in seine Arme ziehen, was ich auch zulasse aber ganz bei der Sache bin ich nicht. Noch immer hängt dieser verdammte Raum wie ein Damoklesschwert über uns. Es könnte jederzeit auf uns hinunter stürzen und uns tödlich verletzen. Aber vielleicht ist er das auch schon, dieser Gedanke lässt mich innerlich zusammen zucken.

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