Kapitel 29 ~ 1.Regel No Help
Rückblick
"Alles in Ordnung bei dir", fragt mich meine Oma und streichelt mir sanft über meine offenen Haare. Ich nicke. Die Stimmung in diesem überfüllten Raum ist erdrückend. Überall um mich herum sitzen trauernde Menschen. Viele weinen. Aber ich denke, das ist normal auf einer Beerdigung...
Als wir die Halle verlassen und als geschlossene Gemeinschaft den Weg zu dem ausgehobenen Grab in Angriff nehmen, umfasse ich die Hand meiner Großmutter. Ich fühle mich unwohl und fehl am Platz. Die Verstorbene ist eine Schulfreundin meiner Großmutter gewesen, die ich nicht kannte.
Der Weg führt vorbei an dutzenden von Gräbern. Viele sind liebevoll mit Blumen verziert. Andere sind kahl und trostlos. Besonders eines fällt mir auf. Die Blumen sind verwelkt. Die Erde ist abgesackt. Die Steinränder versinken unter einer Schmutzsicht und der Grabstein steht schief.
Wer hier wohl liegt?
"Schau mal", mache ich meine Oma auf das Grab aufmerksam. Sie folgt meinem ausgestreckten Finger. "Das Grab ist aber nicht sehr schön." Oma nickt zustimmend. "Nein, das stimmt leider. Nicht um jedes Grab wird sich liebevoll gekümmert." Gedankenverloren, als würde sie etwas beschäftigen, läuft Oma weiter.
"Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Oma. Wenn es bei dir irgendwann soweit ist, werde ich mich um dein Grab kümmern. Das verspreche ich dir. "
Meine Großmutter wirft mir einen liebevollen Blick zu. "Das ist aber lieb mein Engel. " Sie wirkt als hätte ich ihr eine schwere Last abgenommen.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wendet meine Großmutter sich dem Geschehen zu. Doch schnell weicht das Lächeln vielen kleinen Tränen.
Der Sarg wird in das dafür vorgesehene Loch abgelassen.
Rückblick: Ende
Meine Augen sind nass. Zwei Tränen haben sich den Weg an meinen Wangen herunter gebahnt und fallen nun auf die trockenen Fliesen und hinterlassen nasse Spuren.
Mit meinem Pulloverärmel wische ich mir über die Augen.Ich stehe immer noch auf dem Gang. Mit meinen Gedanken weit weg von hier. Bei meinen Eltern und Großeltern.
Ich schlucke, das schlechte Gewissen lässt mich nicht mehr los. Vielleicht kann ich ihnen in den nächsten Ferien einen Besuch abstatten.
"Was war das denn für ein misslungener Abgang? Da habe ich eindeutig schon bessere gesehen", höre ich eine allzubekannte Mädchenstimme. Jacqueline. Schnell schiebe ich die Gedanken bei Seite.
"Hast du nichts dazu zu sagen", fragt sie hämisch. "Es ist unhöflich Leuten während eines Gesprächs den Rücken zu zu wenden. Hat man dir das nicht beigebracht?"Langsam drehe ich mich um. "Doch, aber es besteht ein Unterschied darin ob die Konversation auf beiderseitigem Einverständnis beruht oder nicht."
"Schwach, Marple, wirklich schwache Verteidigung."
Unbeeindruckt begutachtet sie ihre Fingernägel. Am liebsten würde ich ihr einen nach dem anderen abbrechen.Ist da etwa jemand wütend?
Kaum.
Höre ich im Kopf meine gepresste Stimme.
"Ich sehe keinen mir würdigen Gegner also deswegen..." Gespielt enttäuscht suche ich den Saal nach einem 'mir würdigen' Gegner ab und schüttele vielsagend den Kopf. "Nein, dein Niveau ist eben auch unterdurchschnittlich", sagt Jacqueline erklärend.
"Du meintest wohl dein Niveau. Meins fühlt sich hier eindeutig unterfordert", verbessere ich sie gehässig.
"Das glaubst aber auch nur du", meint Jacqueline zynisch und lässt ihre Hände sinken. "Kann sein. Aber gegen Unterentwicklung kann ich auch nichts machen", entschuldigend zucke ich mit den Schultern. Meine Gegenüber kocht förmlich, was meine Wut ein wenig besänftigt. Meinen 'Sieg' einsackend gehe ich weiter. "Man sieht sich."
Leider...warum muss ich aber auch mit so einem Persönchen ein Zimmer teilen?
Meine unnötige innere Stimme bleibt stumm.
Kopfschüttelnd mache ich mich auf den Weg in mein Klassenzimmer.
Der Tag beginnt schonmal vielversprechend.
~★~
Und er wird auch nicht besser.
Im Unterricht versuche ich Colleen so gut es geht zu ignorieren, aber auch sie lässt nicht locker und schreibt mir immer wieder neue Zettelchen, die sie mir dann zuschiebt.
Auf dem Flur stolpere ich und trete auf ein Herbstblatt, wegen welchem ich ausrutsche und mich ablege. Als mir Liam helfen will, weise ich ihn ab.
Hier tritt nämlich eine meiner neuen Regeln in Kraft um in meinem Fall weiter zu kommen und diese lautet: No Help!
Und denn ganzen Tag über verfolgen mich die Blicke der anderen Schüler, die verwundert über mein Handeln miteinander tuscheln. Wie ich diese Traschtanten doch liebe...nicht!
Gerade liege ich auf meinem Bett und lese, - Das Leben und seine Tücken in 3 1/2 Phasen. Ein Jugendroman von Dorothea Fischer. - als die Zimmertür mit Schwung aufgerissen wird. Verwundert drehe ich mich um und reiße die Augen weit auf.
Fehlt ihnen denn nun jeglicher Anstand? Ich meine-
Halt! Stop! Sprech es nicht aus. Was ich sehe reicht mir eindeutig.
Jetzt lass mich doch fertig denken. Immerhin bin ich keine Nonne.
Nein, aber fast.
Damit ihr dieses Drama in meinem Kopf versteht sollte ich euch vielleicht die Situation erläutern.
Vor mir - genauer, auf dem Bett gegenüber - vergnügen sich gerade Leander und Jacqueline, wobei sie sich beinahe auffressen. Allein bei dem Anblick läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Muss das sein? Doch den gedanklichen Schlussstrich ziehe ich in dem Moment, in dem ich ein verschwitztes Jungenshirt zu spüren bekomme. Schnell stehe ich auf, werfe einen letzten Blick auf mein weiches Bett und verschwinde mit samt meinem Kissen und im Pyjama aus dem Zimmer.
Die Hoffnung, sie würden sich von mir stoppen lassen, habe ich schon erstickt bevor sie überhaupt entflammt ist, aber was jetzt? Ich kann ja schlecht die Nacht auf dem Flur mit seinen kalten Wänden und Fliesen verbringen. Brrrr...
Colleen?
Kommt nicht in Frage. Ich kenne mich so gut um zu wissen, dass ich nicht lange dicht halten kann.
Gut...hast du eine bessere Idee?
Natürlich...wie wäre es wenn...wir..Leanders Bett beziehen?
Na, wenn du meinst.
Ja, ich meine.
Ich will nicht wissen, was dort schon alles von statten gegangen ist...
Anna ignorierend und mit sicheren Schritten mache ich mich auf den Weg zu Leanders und Liams Zimmer.
DU LIEST GERADE
***PAUSIERT***Das unverwechselbare Leben der Lou Marple
Teen FictionLou Marple ist ein normales 16-jähriges Mädchen, in wessen Leben unvorhersehbare Dinge geschehen. Nicht das es schon genug wäre, dass ihr Vater auf unerklärliche Weise stirbt. Nein, nachdem sie auch noch Morddrohungen bekommt, scheint das Chaos in...